Inflation bringt Walliserin in Geldnot
«Mit 3500 Franken monatlich kann man überleben, aber nicht leben!»

Mit jeder Rechnung steigt ihr Stresspegel. Sie führt ein Leben, in dem die Arbeit die Hauptrolle spielt, aber am Ende des Tages kaum etwas in der Kasse bleibt. Blick zu Besuch bei einer Frau in Monthey VS.
Publiziert: 29.08.2022 um 18:02 Uhr
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Aktualisiert: 30.08.2022 um 08:04 Uhr
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Vasilica Contesse lebt finanziell am Limit. Sie ist wütend über die «Untätigkeit der Behörden» angesichts der Inflation.
Foto: Darrin Vanselow/Blick
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Antoine Hürlimann

Ein lauer Sommerabend. Die Terrassen der Restaurants sind voll, Männer spielen eine gemütliche Partie Boule in einem Park an der Avenue de la Gare in Monthey VS. Es ist 19 Uhr. Vasilica Contesse (50) erscheint zum Treffen mit Blick. Ihr Arbeitstag ist gerade erst zu Ende gegangen.

Jetzt ist es Zeit für einen Aperitif oder eine Pizza. Na ja... für diejenigen, die es sich leisten können. Vasilica Contesse, die seit vielen Jahren für eine grosse Modekette in der Gegend arbeitet, gehört nicht dazu. Erst recht nicht, seit die Inflation in der Schweiz Schlagzeilen macht. «Alle Preise steigen, aber die Löhne nicht», sagt die gebürtige Rumänin und gelernte Schneiderin.

Arbeiten reicht nicht zum Leben

Die 50-Jährige bekommt die Teuerung knallhart zu spüren. Sie arbeitet 39 Stunden pro Woche und berät ihre Kundinnen auf der Suche nach dem richtigen Stoff und der zu ihnen passenden Farbe. Ein Job, der sie ausfüllt, aber kaum zum Leben reicht: «Ich liebe meine Arbeit, weil sie mir die Möglichkeit gibt, Frauen ins rechte Licht zu rücken. Das ist meine Leidenschaft!»

Diese Leidenschaft zahlt sich kaum aus. Wie viel Geld steht am Ende des Monats auf ihrer Lohnabrechnung? 3549 Franken. Nach Abzug der verschiedenen Sozialversicherungsbeiträge werden Contesse nur 3059.40 Franken auf ihr Konto überwiesen.

«Mit 3500 Franken brutto im Monat lebt man nicht, sondern man überlebt», sagt Vasilica Contesse. Und das, obwohl man nicht auf der faulen Haut liegt. «Es ist verrückt, in der Schweiz so etwas ertragen und erleben zu müssen.» Sie fügt hinzu: «Von einigen Politikern hört man, dass sich die Wirtschaft systematisch an die Lebenshaltungskosten anpasse und dass man nicht eingreifen müsse. Aber ich habe in meinen 15 Berufsjahren nur ein einziges Mal eine Lohnerhöhung bekommen! Mein Stundenlohn ist von 19.50 Franken auf 21 Franken gestiegen. Das ist alles.»

Sie versichert Blick, dass sie um eine Lohnerhöhung gebeten habe. «Ich habe es versucht, aber mein Arbeitgeber hat es abgelehnt, weil er kein Geld hat», so Contesse. Trotzdem eröffnet die Kette immer neue Verkaufsstellen. «Ich verlange keinen überrissenen Lohn: 25 Franken pro Stunde. Um besser zu leben, natürlich, und auch, weil ich nach so vielen Jahren diese Geste als normal empfinden würde.»

Sie senkt resigniert den Kopf. «Was soll ich machen? In meinem Alter nehme ich zwar kein Blatt mehr vor den Mund, bin aber auch realistisch: Es ist besser einen schlechten Lohn zu haben, als gar keinen.»

Die Inflation verschlimmert die Situation

Seit einigen Monaten muss die Verkäuferin laut eigener Aussage «in der Schublade alles zusammenkratzen», um ihre Rechnungen zu bezahlen. Sie sagt: «Mit den steigenden Preisen wird alles noch schwieriger. Wenn man so viel verdient wie ich, macht es sich am Ende stark bemerkbar, wenn man ein paar Franken mehr für Versicherungen, Einkäufe und Transport ausgeben muss. Ich bin normalerweise schon am Limit, aber jetzt …»

Die Folge: Vasilica Contesse hat neben ihrer Arbeit und den Ausflügen mit ihrem Hund kaum noch Hobbys. Aus Geldmangel besitzt sie kein Auto und verlässt ihre Heimatstadt Monthey nicht mehr, «um unnötige Kosten zu vermeiden».

Auch die seltenen Restaurantbesuche, die sie sich mit ihren Freundinnen gönnte, hat sie eingeschränkt. «Ich kann gerade so meine Schulden bezahlen. Heute ist das alles, was zählt. Ich würde lieber verhungern, als Schulden zu haben.»

«Die da oben sollen die Augen aufmachen!»

Die einzigen Ausgaben im Budget, die sie ab und zu kürzen kann, um zwei Wochen im Jahr bei ihren Eltern in Rumänien Ferien machen zu können, sind Lebensmittel. «Das ist der Bereich, in dem ich am besten zurückstecken kann», sagt sie. «Wenn ich sehr genau darauf achte, was ich kaufe, und welche Rechnungen ich bezahlen muss, kann ich manchmal 300 Franken auf die Seite legen.»

Je mehr Zeit vergeht, desto mehr ärgert sie sich über die «Untätigkeit der Behörden» angesichts der Inflation. «Ich wünschte, die Leute da oben, die dieses Land regieren, würden endlich die Augen öffnen. Es ist unerträglich, dass Arbeitnehmerinnen nicht genug verdienen, um davon leben zu können. Es ist sogar beschämend!»

Welche Lösungen sieht sie? «Die Unternehmen zwingen, die Löhne zu erhöhen. Oder zumindest dafür zu sorgen, dass nicht mehr alles teurer wird. Der Staat hat Geld, unser Geld, also soll er handeln.»

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