«Die ganze Welt ist gegen uns!»
1:39
Russen über den Krieg:«Die ganze Welt ist gegen uns!»

In Russland leidet vor allem die Bevölkerung
Putin lassen die internationalen Sanktionen kalt

Russland hat viele Wirtschaftsexperten überrascht: Die Zahlen sehen nach einem Jahr Krieg besser aus als erwartet. Unter den Sanktionen des Westens leidet derzeit vor allem die Bevölkerung.
Publiziert: 24.02.2023 um 09:24 Uhr
|
Aktualisiert: 25.02.2023 um 14:04 Uhr
1/8
Die hohen Energiepreise haben Russland im letzten Jahr wichtige Einnahmen gebracht und einen grossen Teil der Sanktionsfolgen aufgefangen.
Foto: Keystone
RMS_Portrait_AUTOR_377.JPG
Martin SchmidtRedaktor Wirtschaft

In Russland macht derzeit ein trauriger Witz die Runde: «Papa, trinkst du weniger?» «Nein, Sohn, du wirst weniger essen.» Steckt ein Quäntchen Wahrheit darin, müsste die russische Bevölkerung seit dem Einmarsch in die Ukraine den Gürtel enger schnallen. Die russische Regierung stützt mit ihren offiziellen Wirtschaftszahlen aber eine andere Erzählung.

Kreml-Chef Wladimir Putin (70) lässt keinen Zweifel daran, dass die westlichen Wirtschaftssanktionen versagt haben. So sank die Wirtschaftsleistung 2022 bloss um 2,1 Prozent. Dabei hatten westliche Ökonomen mit einem Einbruch von bis zu 10 Prozent gerechnet. Die Arbeitslosigkeit nahm bis auf 3,7 Prozent im Dezember ab. Russland hat im Kriegsjahr auch die hohe Inflation von 17 auf unter 12 Prozent heruntergebracht. Die russische Wirtschaft ist deutlich widerstandsfähiger, als viele Experten erwartet hätten.

So tickt Wladimir Putin
3:33
Sein Leben in zehn Stationen:So tickt Wladimir Putin

«Die Menschen leiden stark unter den Preisen»

Russland konnte seinen Handel mit Ländern wie China oder Indien stärken und baut neue Strassen und Pipelines in Richtung Osten. Die Immobilienbranche im Land boomt so sehr, dass auch das Risiko auf eine Blase stetig steigt. Die vor dem Krieg schwache Pharmabranche hat ihre Produktion um 25 Prozent hochgefahren. Inländische Firmen haben Geschäfte und Fabriken von ausländischer Konzerne übernommen.

Und einige westliche Güter wie iPhones, die nicht mehr in offiziellen Stores verkauft werden, gelangen via Transit-Routen, beispielsweise über die Türkei, ins Land.

Bei einem genaueren Blick zeigt sich jedoch ein düstereres Bild. «Die Menschen leiden stark unter den steigenden Preisen», sagt Ekaterina K. (31) stellvertretend für andere Einwohner zu Blick. Sie arbeitet als Digitaldesignerin in Moskau und will aus Angst vor Konsequenzen nicht mit ihrem richtigen Namen hinstehen.

Soldat rappt bei Putin-Show in Moskau
1:59
Propagandaveranstaltung:Soldat rappt bei Putin-Show in Moskau

Einige Oligarchen machen das grosse Geschäft

Die Privathaushalte geben Monat für Monat weniger Geld für Lebensmittel aus – allein im letzten September Minus 3,5 Prozent und im Oktober Minus 4,3 Prozent. Die Lebensmittelpreise steigen trotz sinkender Nachfrage weiter. Viele Russinnen und Russen müssen auch bei anderen Produkten und Dienstleistungen sparen. Am Konsum gemessen lebt mittlerweile jede fünfte Person in Armut. Tendenz steigend. Die Sanktionen treffen vor allem die Bevölkerung.

Bei den reichen Oligarchen finden sich Verlierer und Profiteure. Die EU konnte bei einem Teil der 1386 Personen auf ihrer Sanktionsliste Vermögenswerte wie Bankkonten einfrieren und Super-Yachten beschlagnahmen. Die regierungskritischen Oligarchen halten sich im Ausland auf. Andere in Russland machen gerade den grossen Reibach bei der Übernahme ausländischer Firmen zum Nulltarif.

Tatsächliche Arbeitslosigkeit liegt viel höher

Auch die tiefe Arbeitslosigkeit hält einem genaueren Blick nicht stand: Einerseits sind Hunderttausende, oft gut qualifizierte Russen nach dem Kriegsausbruch ins Ausland geflohen. Weitere 1,5 Millionen sollen bis März in der Armee aktiv sein. Das verzerrt die Zahlen, genauso wie die extrem flexiblen Arbeitsverträge. Stehen Fabriken still, bleiben die Leute weiterhin beschäftigt, erhalten oft aber nur noch einen reduzierten oder gar keinen Lohn mehr. Rechnet man diese versteckte Arbeitslosigkeit hinzu, sind derzeit zwischen 10 und 13 Prozent der Russinnen und Russen arbeitslos.

Die Wirtschaftsleistung ist ebenfalls nicht frei von Verzerrungen: So haben die hohen Ausgaben fürs Militär einen stärkeren Einbruch verhindert. Zudem rechnete die Regierung vor dem Einmarsch ins Nachbarland noch mit einem Wirtschaftswachstum von 2,5 Prozent fürs Jahr 2022. Damit wären durch den Krieg gar 6 Prozent der Wirtschaftsleistung verloren gegangen. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD geht davon aus, dass die russische Wirtschaft 2023 um weitere 5,6 Prozent schrumpft. Russland selbst prognostiziert eine Veränderung von Minus 1 bis Plus 1 Prozent.

Doch Putin muss bereits die Sparschraube anziehen: Die Exporteinnahmen im Energiesektor sinken. Das Loch in der Staatskasse wächst. Allein im Januar soll die Verschuldung gemessen an der Wirtschaftsleistung um mehr als 1 Prozentpunkt auf über 20 Prozent angestiegen sein. Das ist im internationalen Vergleich immer noch ein tiefer Wert. Doch Wladimir Putin stellt sich auf einen länger andauernden Krieg ein und kürzt Ausgaben und erhöht die Steuern für gewisse Branchen. Damit dürften die Reserven für drei weitere Kriegsjahre ausreichen.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.