Es ist ohrenbetäubend laut im Sudhaus der Doppelleu-Brauerei in Winterthur ZH. Und heiss. Draussen herrscht kühles Herbstwetter, drinnen ist es 30 Grad warm. Ilirida Mahmudi (22) rinnt der Schweiss übers Gesicht, als sie einen 25-Kilo-Malzsack hochstemmt und dessen Inhalt in einen riesigen Stahltank leert. Es ist einer von 60 Säcken, den Ilirida herumwuchtet, als Blick ihr einen Besuch abstattet. Bis Feierabend wird sie 1,5 Tonnen Malz bewegt haben. Mit reiner Muskelkraft!
Ilirida Mahmudi ist eine von ganz wenigen gelernten Bierbrauerinnen in der Schweiz. Das Abschlussfoto ihrer dreijährigen Lehre zeigt Ilirida umringt von ihren Klassenkameraden. Sie ist die einzige Frau.
«Frauen sind beim Verkosten besser»
«Klar, es ist körperlich anstrengend», gibt Ilirida Mahmudi zu. «Aber wer sagt denn, dass Frauen nicht stark sind?» Mahmudi ist gerade einmal 1,57 Meter gross. Ihre männlichen Arbeitskollegen überragen sie locker um zwei Köpfe. Umso anstrengender ist es für sie, die Malzsäcke hochzuheben. Mahmudi nimmt das schulterzuckend zur Kenntnis. «Dafür sind Frauen beim Verkosten besser.»
Denn ja, Biertrinken gehört zum Beruf. Manchmal schon um neun Uhr morgens. Mahmudi beginnt ihre Arbeit um sechs Uhr. Einige Stunden später ist das frisch filtrierte Bier zur Verkostung bereit. «Man nimmt einen oder zwei Schlucke, keinen Halbliter.» Kaffee zum Start in den Tag ist tabu. «Sonst schmecke ich nicht mehr, ob das Bier unseren Anforderungen entspricht.» Es schmeckt dann nur noch nach Kaffee.
Die Verkostung braucht es zur Qualitätskontrolle. Stimmt der Alkoholgehalt? Der PH-Wert? Wie sieht die Farbe des Bieres aus? Das Vorurteil, Brauer (und eben auch Brauerinnen) seien ständig betrunken, stimme hingegen nicht. «Während der Arbeit haben wir ein Alkoholverbot», sagt Mahmudi. Die kleinen Verkostungsschlucke ausgenommen. «Die Sicherheit der Mitarbeiter und der Anlagen wäre sonst gefährdet.» Erst nach Dienstende gibt es für Mahmudi und ihre Arbeitskollegen öfter mal ein Feierabendbier.
«Ich bin verliebt in diesen Beruf»
Nach einem prüfenden Blick auf zwei grosse Computerbildschirme klettert Mahmudi eine Metalltreppe hoch. Von oben schaut sie in die Stahltanks, wo Hunderte Kilo Malz nun mit Wasser vermengt und später filtriert werden. «Nicht anfassen!», ruft sie. Die Gefässe und Leitungen sind siedend heiss.
Ein paar Minuten später sitzt die junge Brauerin in einem Büro gleich neben dem Sudhaus. Die Schweisstropfen auf der Stirn trocknen langsam, auch der Lärm aus der Brauanlage ist hier nur noch gedämpft zu hören. Bierduft liegt aber immer noch in der Luft. Vielleicht liegt es daran, wie Mahmudi über die Bananenaromen der Hefe philosophiert. Über den Orangengeruch des Hopfens. «Ich bin verliebt in diesen Beruf!», schwärmt sie.
Meist braut Mahmudi nach Rezepten der Braumeister im Betrieb. Aus Malz, Wasser, Hopfen und Hefe wird so etwa das klassische Chopfab Draft. Aber manchmal wird sie kreativ. Gemeinsam mit anderen Lernenden hat sie kürzlich zum Beispiel ein Tiramisù-Bier gebraut. «Ein Imperial Stout, das wir mit Kakao, Kaffee und Vanille gebraut haben.»
Mahmudi ist erst vor fünf Jahren in die Schweiz gezogen. Zuvor lebte sie in Italien, besuchte dort das Gymnasium. Schwerpunkt: Naturwissenschaften. In der Schweiz reichte es für die Aufnahme ins Gymi dann nicht, zuerst musste sie Deutsch lernen. Also wurde sie eben Bierbrauerin. «Ich wollte etwas, das mit Biologie, Chemie und Lebensmitteln zu tun hat.»
Bei den Schweizer Bierbrauereien ist der Fachkräftemangel akut. Auf 1200 Brauereien im Land kommen pro Jahr lediglich zwölf Lehrlinge. Viele Betriebe arbeiten daher mit Brauern aus Deutschland – oder reaktivieren schon mal pensionierte Leute vom Fach, wie es beim Brauerei-Verband heisst. Dieser will nun mehr Lehrlinge ausbilden. Statt einem Dutzend sollen es immerhin bald 20 sein. Das Problem: Nur die wenigsten Brauereien sind überhaupt gross genug, um Lernende auszubilden. Wer zum Beispiel keine eigene Abfüllanlage hat, muss den Stift für mehrere Monate zur Konkurrenz schicken. Hinzu kommt, dass die grossen Brauereien selbst die wenigen bestehenden Ausbildungsplätze kaum besetzen können. Offenbar ist der Beruf dermassen unbekannt, dass Bewerbungen nur spärlich eingehen.
Bei den Schweizer Bierbrauereien ist der Fachkräftemangel akut. Auf 1200 Brauereien im Land kommen pro Jahr lediglich zwölf Lehrlinge. Viele Betriebe arbeiten daher mit Brauern aus Deutschland – oder reaktivieren schon mal pensionierte Leute vom Fach, wie es beim Brauerei-Verband heisst. Dieser will nun mehr Lehrlinge ausbilden. Statt einem Dutzend sollen es immerhin bald 20 sein. Das Problem: Nur die wenigsten Brauereien sind überhaupt gross genug, um Lernende auszubilden. Wer zum Beispiel keine eigene Abfüllanlage hat, muss den Stift für mehrere Monate zur Konkurrenz schicken. Hinzu kommt, dass die grossen Brauereien selbst die wenigen bestehenden Ausbildungsplätze kaum besetzen können. Offenbar ist der Beruf dermassen unbekannt, dass Bewerbungen nur spärlich eingehen.
«Das machen die Schweizer falsch!»
Offiziell heisst ihre Berufsbezeichnung denn auch nicht Bierbrauerin, sondern Lebensmitteltechnologin mit Schwerpunkt Bier. Sie hätte auch einen anderen Schwerpunkt wählen können, Käse oder Fleisch zum Beispiel. Mahmudi überlegt kurz. «Ich stamme aus einer Bauernfamilie. Ich weiss, woher Käse und Fleisch kommen.» Bei Bier hingegen habe sie das nicht gewusst. Gerade, weil in Italien häufiger Wein getrunken wird. «Nur zur Pizza trinkt man Bier. Das machen die Schweizer falsch – sie trinken Wein zu Pizza!», ruft Mahmudi aus und lacht.
Weiter geht es in die nächste Halle, wo das Bier nach dem Gärprozess abgefüllt wird. Ilirida Mahmudi schleppt nun 15 Meter lange Schläuche. Schliesst sie an die grossen Stahltanks an. Im Hintergrund klappern die Chopfab-Glasflaschen auf einem endlosen Fliessband.
«Die meisten beschweren sich, dass meine Führungen zu lange dauern»
So geschäftig wie heute ging es während Mahmudis Lehre in der Brauerei aber nicht immer zu. «Wegen Corona waren die Restaurants zu, da haben auch wir weniger gearbeitet.» Nach den Lockdowns kam noch der regnerische Sommer hinzu. Mittlerweile hat sich die Lage beruhigt, es werden jeden Tag wieder über 30'000 Liter Bier gebraut.
Mahmudi lässt sich weder von Corona noch Regenwetter die Lust aufs Bier verderben. Sogar am Wochenende ist sie häufig in der Brauerei anzutreffen, macht mit Freunden und Familien private Führungen durch die Hallen. «Die meisten beschweren sich, dass meine Führungen zu lange dauern.» Drei Stunden nimmt sie sich dafür Zeit. «Ich will eben alles erzählen!»
Sogar in den Ferien dreht sich bei Mahmudi alles ums Bier. «Ich habe Reisen durch Italien und Belgien gemacht und dort Brauereien besucht.» Und was machen andere Länder beim Bierbrauen besser als die Schweiz? «Nichts», kommt es wie aus der Pistole geschossen. Und dann, mit einem schallenden Lachen: «Sie trinken vielleicht mehr.»