Doch kein Appetithemmer
Beizen haben Zertifikats-Schock schon (fast) verdaut

Mit der Einführung der Zertifikatspflicht bekam Gastrosuisse weiche Knie. Der Verband um Präsident Casimir Platzer rechnete mit massiven Umsatzeinbussen. Neue Konsumdaten der Universität St. Gallen zeigen aber: Das Horror-Szenario von Platzer bleibt aus.
Publiziert: 28.09.2021 um 17:39 Uhr
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Ob für einen Espresso im Lieblingskaffee oder zum Znacht in der Dorfbeiz: Nur wer geimpft, genesen oder getestet ist, darf sich in den Innenräumen der Restaurants aufhalten.
Foto: Keystone
Darija Knezevic und Ulrich Rotzinger

Seit gut zwei Wochen geht der Restaurantbesuch nicht mehr ohne: Für einen Espresso mit Gipfeli im Lieblingskaffee oder ein Znacht in der Dorfbeiz braucht es ein Covid-Zertifikat. Es gilt: Nur wer geimpft, genesen oder getestet ist, darf sich in den Innenräumen der Restaurants hinsetzen und bedienen lassen.

Und das tun bereits wieder deutlich mehr als kurz nach der Verschärfung des Zertifikats-Regimes am 13. September. Das Zertifikat, ein Appetithemmer? Bedingt, aber bei weitem nicht so wie von Casimir Platzer (53) vorausgesagt. Der Präsident des Branchenverbands Gastrosuisse sprach von einem Rückgang der Umsätze von bis zu 50 Prozent und mehr.

Sein Horror-Szenario ist nicht eingetroffen. Im Gegenteil. Die Ausgaben der Schweizerinnen und Schweizer haben schon fast wieder das Niveau von vor dem 13. September erreicht. Blick liegen die neuesten Daten zu den Ausgaben in Restaurants in der ganzen Schweiz vor, die regelmässig von der Universität St. Gallen erhoben werden. Hier das Resultat des Projekts «Monitoring Consumption Switzerland»:

Liessen die Gäste in der Woche vor der Einführung der Zertifikatspflicht 113,3 Millionen Franken in den Restaurants liegen, waren es in der letzten Woche bereits wieder 101,7 Millionen Franken. Die Woche davor betrugen die Umsätze 97,7 Millionen Franken. Der Trend nach einem Rückgang kurz nach Einführung geht deutlich in Richtung Niveau vor der Beizen-Zertifikatspflicht.

Landbeizen haben es schwerer als städtische Betriebe

Matthias Fengler (48), Wirtschaftsprofessor an der Universität St. Gallen, bleibt vorsichtig: «Es ist noch zu früh, von einer Erholung zu sprechen, sondern eher von einer Stabilisierung.» Es gebe viele saisonale Bedingungen, die zurzeit die Restaurantbesuche begünstigten, wie das gute Wetter oder der Zahltag. Er weiss aber: «Die Impfquote ist in Städten deutlich höher. Damit könnten die städtischen Restaurants dank des Zertifikats ihre Kapazitäten besser ausschöpfen.»

Fenglers Auswertungen zeigen weiter: Während sich die Restaurants in Städten gut erholen, haben Gastrobetriebe auf dem Land noch etwas Mühe. Landbeizen verzeichnen weiterhin ein Umsatzminus von rund 20 Prozent.

Gastrosuisse hat noch kein klares Bild. «Wir erhalten viele Zuschriften von Mitgliedern, deren Umsätze seit der Einführung der Zertifikatspflicht stark eingebrochen sind», sagt ein Sprecher. Einzelne Betriebe berichten auch von Zunahmen, weil sie die Lokale wieder richtig füllen können. «Die Betroffenheit ist stark unterschiedlich. Sie hängt vom Standort, vom Betriebstyp, der Zielgruppe und den Aussenflächen ab», heisst es weiter.

Bankette und Anlässe fehlen weiterhin

Schweizweit liegen die Beizen-Umsätze nun im Vergleich zu denjenigen vor der Zertifikatspflicht noch rund zehn Prozent im Minus. «Wir hoffen, dass der Schock nun verdaut ist. Jedenfalls stellen wir positive Signale fest, die uns hoffen lassen», sagt Urs Pfäffli (59). Die Ausgabenzahlen sollten differenziert betrachtet werden, sagt der Präsident des Verbands Gastro Zürich City. «Bei vielen Restaurants war vor der Zertifikatspflicht der Umsatz noch nicht auf dem nötigen Niveau. Insbesondere wegen des fehlenden Mittagsgeschäfts durch Homeoffice und fehlender ausländischer Touristen. So gesehen erachte ich zehn Prozent als viel.»

Ebenfalls nicht zu vergessen seien die fehlenden Bankette und Anlässe, sagt Bruno Lustenberger (57). «Der schmerzt uns Gastronomen noch sehr», so der Wirt des Restaurants Krone in Aarburg AG und Chef von Gastro-Aargau. «Die Tagesumsätze dagegen sind mittlerweile aber wieder gut.»

«Uns fällt auf, dass sich unsere Gäste sehr vertraut mit dem Zertifikat bewegen. Beim Eingang halten sie ihre Handys mit dem Zertifikat (oder auch in Papierform) sowie IDs meist ohne Aufforderung bereit», sagt Sebastian Graber (43), Wirt des Restaurants Löwen in Messen SO.
Für ein Umsatz-Fazit sei es zwei Wochen nach der Einführung der Zertifikatspflicht aber noch zu früh.

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