Es ist ruhig im Schwyzer Muotatal, der Himmel über dem «Hölloch» ist wolkenverhangen. Der Kanton Schwyz hat eine der tiefsten Impfquoten der Schweiz. Weniger als 60 Prozent sind hier doppelt geimpft. Bruno Suter (60) gehört nicht dazu.
Suter führt das Restaurant Hölloch seit mehr als 35 Jahren. Er verkauft dort Pizza, Cordon bleu und Fleischplättli an Besucher und Einheimische und vermietet einige Zimmer an Touristen. Aber diesen Herbst ist nichts mehr so wie früher. Bruno Suter wehrt sich seit Monaten gegen die Zertifikatspflicht, legt sich seit Monaten mit den Behörden an. Blick hat Suter über die letzten Monate mehrmals im Muotatal besucht, hat ihn durch den Corona-Herbst begleitet.
«Das Zertifikat ist eine rote Linie»
Wir schreiben den 13. September 2021. Die Zertifikatspflicht gilt ab heute in allen Restaurants, Fitnesszentren und Kinosälen. Im Muotatal scheint die Sonne. Auf Suters Terrasse sitzen Dutzende Ausflügler. Im Innenbereich: gähnende Leere.
Suter kommt es gerade recht. Er hätte sowieso keine Zertifikate kontrolliert. «Das Zertifikat ist für mich eine rote Linie», schimpft er. In seinen Augen schliesst es ganze Bevölkerungsgruppen aus. Besonders im Muotatal, wo im Juni über 80 Prozent gegen das Covid-Gesetz stimmten.
«Ich bin kein Querulant!»
Drei Tage später, am 16. September, fährt die Polizei erstmals beim «Hölloch» vor. Suter hat Glück. Es ist kein Gast im Restaurant. Er gibt aber unumwunden zu, dass er keine Zertifikate kontrolliert.
Es dauert noch einmal fünf Tage, bis zum 21. September, bis Suter seine erste offizielle Verwarnung kassiert. Wenn er nicht anfange, die Zertifikate zu kontrollieren, werde das «Hölloch» dichtgemacht, droht der Kanton. «Ich bin kein Querulant!», stellt Suter gegenüber Blick klar. Was ist er dann, wenn kein Querulant? «Da müsst ihr jemand anderen fragen.»
Suter sei «der liebste Mensch, den ich kenne», heisst es im Dorf – auch von Leuten, die politisch nicht auf einer Wellenlänge mit ihm sind. Er gilt als Ikone im Tal, als waschechter Muotataler. Wahrscheinlich hilft ihm, dass er praktisch jedem Gast zum Abschied ein «Höllchräpfli» in die Hand drückt, ein Muotataler Gebäck mit Nussfüllung.
Suter wäre ums Haar Regierungsrat geworden
Aber Suter gilt eben auch als Querdenker und Behördenschreck. Und zwar nicht erst seit Ausbruch der Pandemie. Bereits vier Mal kandidierte er für den Schwyzer Regierungsrat, stets als Parteiloser gegen die Obrigkeit, stets ohne Erfolg. 2004 war es allerdings haarscharf: Nur 1600 Stimmen fehlten ihm zur Wahl.
Zurück ins Jahr 2021. Am 30. September fährt die Polizei erneut beim «Hölloch» vor. Diesmal erwischt sie im Restaurant tatsächlich drei Gäste ohne Zertifikat. Sie werden rausgeworfen und gebüsst. Suter bezahlt die Bussen aus dem eigenen Sack, für ihn eine Selbstverständlichkeit. Gegen Suter wird ein Verfahren eröffnet.
Eine Woche später taucht die Polizei kurz vor dem Mittagsservice wieder auf, ordnet eine siebentägige Schliessung an. Was tut Suter? Er serviert seinen Gästen zuerst in aller Ruhe das Mittagessen. «Ich werfe doch keine Lebensmittel weg», wehrt sich der gelernte Koch. Die Polizei lässt ihn gewähren.
An diesem Abend, es ist ein Donnerstag, versammeln sich Dutzende Freiheitstrychler und andere Sympathisanten vor dem «Hölloch», protestieren gegen die Schliessung. «Das freut mich», sagt Suter. «Aber es macht mich auch traurig.» Die Demonstration beweise doch, dass viele andere die Zertifikatspflicht ebenfalls als Diskriminierung sehen, so der Wirt.
Picknick vor dem Regierungsgebäude
Suter nutzt die Solidarität und veranstaltet wenige Tage nach der Zwangsschliessung seiner Beiz ein Picknick auf der Treppe vor dem Schwyzer Regierungsgebäude – aus Protest. 150 Leute schliessen sich ihm an. «Ich hätte mit maximal zehn Leuten gerechnet», sagt er.
Es wird heisser Punsch ausgeschenkt. Einige kauen an einem Sandwich. Suter erhält immer wieder Applaus. Aber nicht alle sind ihm wohlgesinnt, das «Hölloch» macht mittlerweile schweizweit Schlagzeilen. Suter erhält Hassmails. «Es ist mir ein Gräuel, bei Ihnen Ferien zu verbringen», schreibt einer und wirft Suter vor, er habe eine «grosse Schnauze».
«Das gibt mir schon zu denken», gibt Suter zu. «Die Fronten sind verhärtet.» Von seiner Meinung abrücken will der eigensinnige Muotataler dennoch nicht.
Private Stube statt Restaurant
Mitte Oktober, nach siebentägiger Schliessung, lässt Suter erstmals wieder Gäste rein. Hat er ein Einsehen, kontrolliert er nun die Zertifikate? Oder drücken die Schwyzer Behörden für ihr Dorforiginal ein Auge zu? Weder noch. Suter hat einen juristischen Kniff gefunden, um die Zertifikatspflicht zu umgehen: Er betreibt sein Restaurant jetzt als «private Stube». Will heissen: Er lässt höchstens 30 Gäste ein. Die Getränke holt man sich selber, bezahlt mit einer Spende ins Kässeli.
In der Verantwortung steht er nicht mehr selber. Er hat sein Restaurant vermietet – für einen Franken am Tag. Die Mieter? Ausgerechnet die Wirte der Walliserkanne in Zermatt VS. Ihr eigenes Restaurant ist jüngst geschlossen worden, die Betreiber wurden sogar zwischenzeitlich verhaftet.
Den Behörden ist die angeblich private Stube ein Dorn im Auge. Trotzdem scheuen sie sich offenbar vor einem rigorosen Durchgreifen. Sie lassen Suter gewähren. Das juristische Hickhack darüber, wann eine Stube privat und wann öffentlich ist, steht erst noch an.
Solange wirtet Suter weiter. Und er picknickt auch immer noch. Bei seinem wöchentlichen Protest im Kantonshauptort Schwyz gibt es mittlerweile nicht mehr nur einfache Sandwiches: Sympathisanten geben Ghackets mit Hörnli aus, die Zahl der Teilnehmer hat sich vervielfacht. 500 Leute kommen regelmässig, sie reisen aus der ganzen Schweiz an.