Im Sommer war Andy Gröbli (51) noch optimistisch. «Wir sahen schon das Licht am Ende des Tunnels», erzählt der Mitinhaber der Pirates-Bar in Hinwil ZH, als Blick ihn im September zum ersten Mal besucht. Die Corona-Zahlen waren tief, das Wetter mild, die Gastronomen im Aufwind.
«Und jetzt dieser Hammer», echauffiert sich Gröbli – und meint damit die Zertifikatspflicht. Seit dem 13. September darf er nur noch Geimpfte, Genesene und Getestete in sein Lokal lassen. Als «Meteoriteneinschlag» bezeichnet er die Massnahme. Die Umsätze seien «massiv zurückgegangen».
Blick besucht Gröbli an einem Mittwoch, wenige Tage nach Einführung der Zertifikatspflicht. «Wir haben sechs Reservationen heute Abend, so wenige wie noch nie.»
Beachpartys, Hüttengaudi, DJ-Battles
Gröbli veranstaltet im Pirates ein buntes Potpourri aus Beachpartys, Hüttengaudi und DJ-Battles. Seine Kundschaft: jung, ländlich – und zu einem grossen Teil ungeimpft. Die Impfquote im Zürcher Oberland hinkt jener in der Stadt Zürich meilenweit hinterher.
Gröbli selber ist geimpft. «Die Pandemie muss ein Ende haben, man muss die Impfquote erhöhen», betont er. Seine Kundschaft sieht das anders. «Wir haben ständig Diskussionen. Der Kommunikationsaufwand ist immens. Wir haben alle geschwollene Zungen vom vielen Diskutieren!» Gröbli sagt es vorwurfsvoll. Der Vorwurf richtet sich aber nicht etwa gegen seine ungeimpften Kunden, sondern gegen den Bundesrat. Dieser führe den Kampf gegen das Coronavirus auf dem Buckel der Gastronomen, findet Gröbli.
Gleichzeitig hat die Zertifikatspflicht für ihn auch Vorteile, wie er sagt: Er darf seinen Laden wieder ganz füllen, braucht keine Abstände zwischen den Tischen mehr, muss seine Kunden nicht mehr an die Maskenpflicht erinnern.
Gröblis Idee sorgt schweizweit für Schlagzeilen
Wenig später kommt es für Gröbli noch dicker. Am 11. Oktober werden die Corona-Tests kostenpflichtig. «Uns entfallen 50 Prozent des Potenzials!», ruft der Gastronom aus. Schnelltests kosten 30, 40, mancherorts 50 Franken. «Das bezahlt man nicht, um ein Bier trinken zu gehen», prognostiziert Gröbli.
Aber er ist nicht der Typ Mensch, der den Kopf in den Sand steckt. «Du hast immer zwei Optionen: Entweder du heulst. Oder du fragst dich, wie du das Beste aus der Situation machst.»
Gröbli heckt ein System aus, das schweizweit für Schlagzeilen sorgen wird: Er bietet im Vorgarten des Pirates Corona-Tests für 20 Franken an. Das ist im Vergleich mit anderen Testzentren günstig. Kommt hinzu: Wer sich im Pirates testen lässt, erhält obendrauf Konsumationsgutscheine für Gröblis Beizen. Neben dem Pirates führt er ein Pub in Uster ZH und ein Restaurant in Gossau ZH.
«Wir werden XXL gefeiert!»
Blick besucht das Pirates wieder an einem Freitagabend im Oktober, die Leute stehen Schlange, um sich bei Gröbli testen zu lassen und ihre Gutscheine abzuholen. Termine braucht es keine, getestet wird bis mitten in die Nacht. Mehrere Hundert Tests gehen hier an einem Freitagabend über die Bühne.
«Wir werden XXL gefeiert», freut sich Gröbli. «Wir kriegen Zuschriften aus Basel von Leuten, die sagen: ‹Ihr seid geili Sieche! Ich komme zu euch!› Auf den sozialen Medien ist ein richtiges Feuerwerk losgegangen.»
Gröblis Testkonzept sorgt in diesen Herbstwochen weit über den Kanton Zürich hinaus für Gesprächsstoff. Für ihn Gratiswerbung. «Der Laden ist gut gefüllt», freut sich Gröbli. Das ist auch der Konkurrenz nicht entgangen. «Wir kriegen wahnsinnig viele Anfragen von Gastronomiekollegen, die auch mitmachen wollen.»
Doch Gröbli bleibt dabei: Getestet wird jeder, Gutscheine gibt es aber nur für seine eigenen Betriebe, nicht für fremde. Ansonsten würde das Testkonzept zu kompliziert, begründet er. Was er nicht sagt: dass ihm dann Gäste abwandern könnten.
«Es zermürbt und tut weh»
Ende November laufen die ersten Konsumationsgutscheine aus dem Pirates-Testcenter ab. Erst dann hat er schwarz auf weiss, wie viel ihn die Aktion kostet – oder wie viel sie ihm einbringt. «Wir investieren viel Geld, um Kunden anzulocken und Umsatz zu machen, den wir ohne Corona ganz von alleine hätten.»
Schon vor der Schlussrechnung wird klar, dass Gröblis Konzept nicht ganz aufzugehen scheint, Kreativität hin oder her. Zu Beginn erhielt jeder, der sich vor dem Pirates testen liess, einen 20-Franken-Gutschein. Gröbli hat den Betrag mittlerweile auf 10 Franken reduziert.
«Das Pirates ist im Minus», gibt er freimütig zu. «Wir kommen ja nicht aus einer Zeit, in der wir wahnsinnig viel Geld verdient haben.»
Die Pandemie geht Gröbli nicht nur finanziell an die Substanz, sondern vor allem auch moralisch. Gerade jetzt, wo die Fallzahlen wieder steigen. «Das sind dunkle Wolken am Himmel. Es macht mir Angst. Es zermürbt, tut weh und braucht Kraft, die wir nicht mehr haben.»