Die Pandemie trifft keine andere Branche so hart wie die Luftfahrt. Die Fluggesellschaften schreiben tiefrote Zahlen, ihre Chefs drehen an den Sparschrauben. Die Folge: Flieger bleiben am Boden, zahlreiche Kündigungen werden ausgesprochen. Die Belastung des verbleibenden Flugpersonals steigt massiv, die Stimmung in der Kabine ist ebenfalls gegroundet.
Zuletzt berichtete Blick Anfang August 2021 über Airline-Gewerkschaften und -Angestellte in der Schweiz, die über miese Arbeitsbedingungen, Angst und massiven Druck in der Kabine klagen. Sämtliche Flight-Attendants wurden anonymisiert, zu klein und zu übersichtlich ist die Schweizer Airline-Branche.
Auch bei der Swiss wurden im Zuge von Corona-Notfallmassnahmen Entlassungen ausgesprochen, ein Crewmitglied pro Flug im Service gestrichen und die Aufenthaltsdauer auf der Langstrecke von zwei auf eine Nacht gekürzt. «Man kann sich gar nicht mehr erholen. Die Arbeitsbedingungen während der Pandemie haben mir die Lust am Fliegen genommen», sagte Flugbegleiterin Céline B.* stellvertretend zu Blick. Sie flog lange Jahre mit der Swiss um die Welt und ist nun frühpensioniert.
Seit der Berichterstattung im August und weiteren Recherchen haben sich mehrere Flight-Attendants der Swiss bei Blick gemeldet. Ihrem Schreiben mit Swiss-Briefkopf ist ein anonymer Hilferuf beigelegt: «Die Swiss saugt uns Flight-Attendants aus – mit Bedingungen, die unmenschlich sind.» Ihr Vorwurf: Die Tochter der deutschen Lufthansa wolle mit dem Kabinenpersonal so viel wie möglich einsparen, um schnellstmöglich den Bundeskredit zurückzuzahlen. «Damit die Manager wieder ihren Bonus einkassieren können», heisst es darin auch.
Swiss lanciert Hilfsprogramm ab Oktober
Damit konfrontiert, nimmt die Swiss Stellung. Es sei im Sinne des Gesamtunternehmens, den Bundeskredit so schnell wie möglich zurückzuzahlen. «Diese Vorwürfe können wir so nicht gelten lassen», schreibt die Airline. Der Beruf des Flugbegleiters sei grundsätzlich anspruchsvoll und im Kontext der Corona-Pandemie seien wie bei allen Airlines zusätzliche Herausforderungen dazugekommen.
Was die Swiss nicht sagt: In einem internen Schreiben an die Belegschaft, das Blick vorliegt, kündigt die Lufthansa-Tochter ein Hilfsprogramm an. Dieses richtet sich explizit an Crewmitglieder, die mit «persönlichen, emotionalen oder mentalen Problemen» zu kämpfen haben. Der Titel des Schreibens: «Aufbau eines vertraulichen Netzwerks für Cabin Crew Member». Wer das Angebot nutzen will, kann eine telefonische Unterstützung durch einen freiwilligen Betreuer anfordern. Dieses Hilfsprogramm sei im Oktober 2021 gestartet, bestätigt die Swiss auf Rückfrage.
Swiss-Flugbegleiter erleiden Burnout
Im Hilferuf der Swiss-Flight-Attendants wird dieses Hilfsprogramm ebenfalls erwähnt. «Nur um uns weiter auszusaugen, haben sie nun diese angebliche Betreuung ins Leben gerufen.» Dass ein solches Hilfsprogramm überhaupt notwendig sei, zeige auf, wie schlimm die Bedingungen sind. Der Hilferuf endet dramatisch: «Viele Flugbegleiter sind in ein Burnout gefallen. Hilfe!» Auch darauf angesprochen, wollte die Swiss die Burnouts beim Flugpersonal weder bestätigen noch dementieren.
Im internen Schreiben an die Belegschaft gesteht das Unternehmen jedoch die hohe Belastung ein: Das Arbeitsumfeld und die Schichtmuster eines Flugbegleiters seien psychologisch anspruchsvoll. Als grösste physiologische Herausforderungen werden die Flugzeugumgebung, die Störung des zirkadianen Rhythmus (biologischer Schlaf-wach-Rhythmus im Zeitraum von 24 Stunden; Anm. d. Red.), Schichtarbeit und «die Unterbrechung regelmässiger sozialer Unterstützung und Schlafprobleme» genannt. Dann wird die Swiss deutlich: «All diese Faktoren zusammengenommen können ein erhebliches Potenzial für Müdigkeit und Stressfaktoren schaffen.»
Swiss wiegelt ab – Kapers stellt Forderungen
Gegenüber Blick beschwichtigen die Verantwortlichen der Swiss jedoch. Das Programm sei für die Mitarbeitenden in der Kabine lanciert worden, «ohne dass konkreter Handlungsbedarf vorliegt». Die Fluggesellschaft hält fest: «Es ist wichtig zu verstehen, dass es sich hierbei nicht um eine kurzfristige Aktion handelt, die aufgrund der Corona-Pandemie initiiert wurde.» Man sei mit dem Hilfsprogramm langfristig ausgerichtet.
Auch die Gewerkschaften sind alarmiert. «Die Arbeitsbedingungen an Bord haben sich pandemiebedingt verschärft», sagt Jörg Berlinger (42), Vorstandsmitglied der Gewerkschaft des Kabinenpersonals (Kapers). Das Hilfsprogramm habe man zusammen mit der Swiss ausgearbeitet. «Es ist ein Raum ohne Vorurteile, Zwang oder Furcht vor disziplinarischen Konsequenzen. Die Betreuer sollten durch Zuhören oder Aufklärung die Kollegen unterstützen», sagt er.
Kapers setze sich aber auch weiter für die Crewmitglieder der Swiss ein. «Wir halten gerade die Aufenthaltsbedingungen in China, die mit einer Quarantäne verknüpft sind, für sehr problematisch», sagt Berlinger. Er hat die Swiss aufgefordert, diese Aufenthalte der Crews auszusetzen. Bislang aber ohne Erfolg.
* Name geändert
In der Flugbranche wächst der internationale Impfdruck. So will die Lufthansa beim fliegenden Personal nur noch vollständig Geimpfte einsetzen. Das wird auch bei ihrer Tochter-Airline in der Schweiz der Fall sein: Ab Mitte November führt die Swiss eine Covid-Impfpflicht für das gesamte Bordpersonal ein. Dieter Vranckx (48), Swiss-CEO, begründet den Impfdruck vor allem mit Einreisebestimmungen im Ausland und «um unserer Fürsorgepflicht gegenüber unseren Mitarbeitenden nachzukommen». Swiss-Angestellten, die den Piks verweigern, droht ab Ende Januar 2022 die Kündigung. Für jene, die bezüglich einer Impfung mehr Bedenkzeit brauchen, gibt es eine Gnadenfrist von etwa sechs Monaten. Allerdings ruht das Arbeitsverhältnis in dieser Zeit. Zeigt der Druck aufs Personal bereits Wirkung? Verlässliche Aussagen liessen sich derzeit noch nicht machen, sagt Swiss-Sprecherin Elena Stern zu Blick. «Bis jetzt haben wir die Abfrage des Impfstatus auf freiwilliger Basis durchgeführt.» Dass der Swiss im kommenden Jahr wegen Entlassungen das Personal ausgehen könnte, glaubt sie nicht: «Stand heute rechnen wir vorläufig nicht mit einem Personalmangel.» Diese Einschätzung basiere auf verschiedenen Kriterien, unter anderem einer Befragung auf freiwilliger Basis. Offenbar zeigt der Impfdruck Wirkung. Ulrich Rotzinger
In der Flugbranche wächst der internationale Impfdruck. So will die Lufthansa beim fliegenden Personal nur noch vollständig Geimpfte einsetzen. Das wird auch bei ihrer Tochter-Airline in der Schweiz der Fall sein: Ab Mitte November führt die Swiss eine Covid-Impfpflicht für das gesamte Bordpersonal ein. Dieter Vranckx (48), Swiss-CEO, begründet den Impfdruck vor allem mit Einreisebestimmungen im Ausland und «um unserer Fürsorgepflicht gegenüber unseren Mitarbeitenden nachzukommen». Swiss-Angestellten, die den Piks verweigern, droht ab Ende Januar 2022 die Kündigung. Für jene, die bezüglich einer Impfung mehr Bedenkzeit brauchen, gibt es eine Gnadenfrist von etwa sechs Monaten. Allerdings ruht das Arbeitsverhältnis in dieser Zeit. Zeigt der Druck aufs Personal bereits Wirkung? Verlässliche Aussagen liessen sich derzeit noch nicht machen, sagt Swiss-Sprecherin Elena Stern zu Blick. «Bis jetzt haben wir die Abfrage des Impfstatus auf freiwilliger Basis durchgeführt.» Dass der Swiss im kommenden Jahr wegen Entlassungen das Personal ausgehen könnte, glaubt sie nicht: «Stand heute rechnen wir vorläufig nicht mit einem Personalmangel.» Diese Einschätzung basiere auf verschiedenen Kriterien, unter anderem einer Befragung auf freiwilliger Basis. Offenbar zeigt der Impfdruck Wirkung. Ulrich Rotzinger