Die Schweiz steckt in einer Energiekrise, weil sie abhängig von ausländischem Gas ist – und weil sie zu wenig grünen Strom produziert. Das hat nicht nur mit Bremsern in Bundesbern zu tun, sondern auch mit der Umsetzung vor Ort. Fotovoltaik auf den Häusern spielt zwar eine zentrale Rolle in der Energiestrategie des Bundes.
Doch über die Dächer bestimmen Gemeinden, Kantone und Ortsbildschützer. Und die machen aus der Installation von Solarmodulen nicht selten einen Spiessrutenlauf für die Hausbesitzer – oder sie versenken deren Projekte gleich ganz.
Marc Roux (33) aus Laufenburg AG, Teamleiter im IT-Sektor, kann ein Lied davon singen. Er präsentierte seiner Gemeinde vor zwei Jahren das Bauvorhaben für eine Solaranlage. Die Anzahl der Module legte er auf den Eigengebrauch aus. Roux wohnt ausserhalb des Dorfkerns, weshalb er mit einem unkomplizierten Verfahren rechnete. Doch die Gemeinde lehnte ab. Ihr war die Form der Anlage zu «unruhig».
Ästhetik wichtiger als Nutzen
Roux hätte zwar bauen dürfen, aber nur mit halb so vielen Panels wie geplant. Damit zwang ihn die Gemeinde zur Kapitulation. «So könnte ich den Eigenbedarf nicht einmal ansatzweise decken», sagt er. «Wir haben viel Zeit und Energie investiert. Aber wir sind an der Gemeinde gescheitert.»
Diese betont gegenüber SonntagsBlick, sie habe grosses Interesse an der Realisierung von Solaranlagen durch Privatpersonen. Doch wenn es hart auf hart kommt, ist in Laufenburg die Ästhetik – respektive das, was die Behörden darunter verstehen – offenbar wichtiger als der Nutzen.
Anders müsste es in Flawil SG aussehen. Seit 2007 ist die Gemeinde nämlich stolze Trägerin des Energiestadt-Labels. Grund genug für Servicetechniker Markus Aebischer (52), Solarpanels in den Bau eines Hauses für seine Kinder einzuplanen. Weil das Grundstück aber in der ortsbildgeschützten Zone liegt, ist eine Baubewilligung für die Anlage nötig. Und die bekommt Aebischer nicht.
Ortsbild hat nationale Bedeutung
Der negative Entscheid fiel erst vor einem Monat – mitten in der Energiekrise. Die Anlage wirke als Fremdkörper in der historisch von Ziegeln dominierten Flawiler Dachlandschaft, erklärte die Gemeinde. «Dabei wäre die Anlage von den meisten Standorten aus gar nicht zu sehen», entgegnet Aebischer. Sein Frust sitzt tief: «Wir hätten unseren Beitrag zur Rettung des Klimas leisten wollen. Doch nun gibt es halt eine Gasheizung und kein Elektroauto.»
Die Gemeinde Flawil verweist gegenüber SonntagsBlick auf kantonale Vorgaben. Und der Kanton St. Gallen sagt, das betroffene geschützte Ortsbild habe nationale Bedeutung. Die Ziegeldächer seien für die «Erlebbarkeit des historischen Ortsbildes und für die Gesamtwirkung» zentral.
GLP-Nationalrat Jürg Grossen (52) erhält regelmässig Anrufe von frustrierten Hausbesitzern, die am Ortsbildschutz scheitern. «Ich bin auch nicht dafür, ganze Altstädte umzukrempeln», sagt Grossen. «Aber auch in Gebieten mit besonderen ästhetischen Ansprüchen können mit der heutigen Technik Solaranlagen gebaut werden. Wenn das nicht ausreicht und wir über ein möglichst schönes Untergehen diskutieren, läuft etwas schief.» Deshalb müsste vielerorts auch beim Ortsbildschutz ein Umdenken stattfinden, sagt Grossen. «Sonst wird dieser zum Verhinderer der dringend nötigen Energiewende.»
Kommentar zum Thema
Auch Nachbarn sind das Problem
Patrick Schoeck ist Leiter Baukultur beim Schweizer Heimatschutz. Er widerspricht: «Das Netto-null-Ziel der Energiestrategie des Bundes kann ohne die Lockerung von Schutzbestimmungen erreicht werden.» Eine 30-Quadratmeter-Anlage auf einem Einfamilienhaus entscheide nicht über das Schicksal der Energiewende. «Sinnvoller wäre eine Solarpflicht auf Gewerbearealen, die Hunderttausende Quadratmeter Fläche bieten.»
Für Hausbesitzer, die von Paragrafen blockiert werden, ist das ein schwacher Trost. Doch nicht nur die Behörden stehen der Energiewende im Weg – manchmal sind es auch die Nachbarn. Wie im Fall von Jürg Wisbach (58), der 2017 ein Häuschen in Sigriswil BE erwarb und anschliessend eine Solaranlage aufs Dach stellte. Das Problem: Wisbach hatte nicht mit seinem Nachbarn gerechnet. Der fühlte sich auf seiner Terrasse von der Anlage geblendet und erhob Einsprache.
Gutachten auf eigene Rechnung
Ein kantonaler Sachverständiger stellt zwar fest, dass der Nachbar die Anlage nur teilweise sehen könne – und im Sitzen überhaupt nicht. Doch der Nachbar erhielt die Einsprache aufrecht. Worauf Wisbach aus eigenem Sack ein Gutachten bezahlte, das ihm ebenfalls recht gab.
Der Nachbar aber blieb unbeirrt. Schliesslich liess auch noch der Kanton ein Gutachten erstellen – das neuerlich zum Schluss kam, gegen die Anlage sei nichts einzuwenden. Nun soll Wisbach auch dieses Gutachten bezahlen.
Viel Luft nach oben
Für die Solaranlage hat Jürg Wisbach 17'000 Franken ausgegeben. Die Aufwendungen rund um die Einsprachen kosten ihn weitere 8000 Franken. Der Nachbar hingegen bezahlt keinen Rappen. Denn beweis- und damit auch kostenpflichtig ist nicht der Einsprecher, sondern der Erbauer einer Anlage. So steht es im Umweltschutzgesetz.
«Ein einziger Nachbar genügt, um solche Projekte jahrelang zu verzögern», sagt Wisbach. Mittlerweile konnte er seine Anlage in Betrieb nehmen. Doch er muss jederzeit mit weiteren Einsprachen rechnen. «Die Unsicherheit bleibt, ebenso das finanzielle Risiko», sagt Wisbach. «Das ist belastend.
Das Schicksal der Energiewende entscheidet sich nicht zuletzt in den Gemeinden – und dort ist noch viel Luft nach oben. Will die Schweiz mehr Sonnenkraft, braucht sie weniger Paragrafen.