Auf einen Blick
Trumps angedrohte Zölle gegen so gut wie alle Länder dürften die Weltwirtschaft und die Weltpolitik im Jahr 2025 stark beeinflussen – und nicht zum Guten. Die Debatten dazu drehen sich im Wesentlichen um Zölle: Wie hoch sie ausfallen, wer wie stark betroffen sein wird oder ob es sich am Ende vor allem um Drohungen handelt, um andere Regierungen gefügig zu machen.
Fast etwas in den Hintergrund geraten ist dagegen der wichtigste Grund für Trumps Begeisterung für Zölle: Trump mag Importe nicht – also Einfuhren aus anderen Ländern in die USA. Importüberschüsse hält er sogar für Diebstahl an den Amerikanern. Importüberschüsse bedeuten, dass andere Länder mehr in die USA liefern, als die USA ihrerseits an andere Länder exportieren, also dahin verkaufen. Man spricht dann auch von einem Aussenhandelsdefizit.
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Deutliche Aussenhandelsdefizite verzeichnen die USA insgesamt, aber ausgeprägt zum Beispiel gegenüber China und Deutschland. Das Gleiche gilt für die Schweiz, wobei hier die absoluten Zahlen weniger ins Gewicht fallen. Entsprechend geraten vor allem China und Deutschland – und die EU generell – in den Fokus von Trumps Zolldrohungen. Im Güteraustausch mit den beiden grossen Wirtschaftsräumen resultiert ein Defizit von 200 bis 300 Milliarden Dollar pro Jahr.
Importüberschüsse sind keine Verluste
Die Ansicht, dass Importüberschüsse einem Verlust für ein Land gleichkommen, verfängt bei vielen. Das scheint bereits der Begriff Aussenhandelsdefizit auszudrücken. Sie ist umso eingängiger, wenn man Länder mit Unternehmen gleichsetzt, wie es Trump tut. Ein Unternehmen lebt von seinen Verkäufen, nur damit kann es Gewinn erzielen – was also scheint näher zu liegen, als auch Exporte eines Landes mit Verkäufen gleichzusetzen.
Umgekehrt sind Einkäufe eines Unternehmens Kosten. Übersteigen die Kosten für Einkäufe die Erlöse durch Verkäufe, verzeichnet das Unternehmen Verluste. Da ist es kaum verwunderlich, dass auch Importüberschüsse als Verlusttreiber gesehen werden, denn im Vergleich mit dem Unternehmen würde das bedeuten, dass die Kosten für Einkäufe auch bei einem Land die Erlöse durch Verkäufe übersteigen.
Ein Land ist kein Unternehmen
So einsichtig er scheinen mag, so falsch ist der Vergleich. Zweck der Volkswirtschaft eines Landes ist anders als bei einem Unternehmen nicht, Gewinne zu erzielen, sondern das Wohl und den Konsum ihrer Bewohnerinnen und Bewohner zu befördern. Exporte und Importe spielen nicht nur eine andere, sondern auch eine viel geringere Rolle als die Verkäufe und Käufe bei einem Unternehmen. Das gilt ganz besonders für eine grosse Volkswirtschaft wie jene der USA. Viel wichtiger ist der Austausch im Inland: zu welchen Preisen und in welcher Qualität Güter und Dienstleistungen erstellt werden und an die Konsumentinnen und Konsumenten gelangen.
Der wirtschaftliche Zweck des Aussenhandels besteht vor allem im Tausch: Länder erwerben Güter und Leistungen aus anderen Ländern, die sie selbst nicht haben oder die sie weniger gut und günstig erzeugen können als andere Länder.
Statt eines Verlusts stellen Importe in Wahrheit also einen Gewinn für die eigene Volkswirtschaft dar, denn sie verbreitern die Konsummöglichkeiten der Bevölkerung.
Um die Importe bezahlen zu können, exportieren Länder jene Produkte und Dienste ins Ausland, bei denen sie einen Vorteil haben. Exporte haben vor allem den Zweck, Importe zu ermöglichen. Sie spielen also, anders als der Firmenvergleich suggeriert, für das Wohl der Inländerinnen und Inländer die kleinere Rolle als die Importe. Dass Importe und Exporte über Geld beziehungsweise Währungen als Schmiermittel und über unzählige voneinander unabhängige Unternehmen und Personen ablaufen, ändert nichts daran, dass es sich letztlich um einen Tausch handelt, genau wie auf allen anderen Märkten für Güter und Dienstleistungen auch.
Ein Erbe des Sonnenkönigs
Die Sichtweise, wonach Importe für ein Land einen Verlust darstellen und Exporte einen Gewinn, ist allerdings viel älter als Donald Trump. Diese Sichtweise ging als Merkantilismus in die Geschichte ein. Ihr berühmtester Vertreter war Jean-Baptiste Colbert (1619–1683), Finanzminister des französischen «Sonnenkönigs» Louis XIV.
Colberts Maxime lautete, möglichst die Exporte zu befördern und die Importe zu beschränken, denn das brachte Geld ein. Doch weil dieses Geld nicht wieder für Importe verwendet wurde, hatte die Bevölkerung nichts davon. Der König brauchte es vor allem für die Finanzierung seiner Söldnerarmeen. Wenn schon, profitierte davon damals die Schweiz, weil sie zu den wichtigsten Lieferanten von Söldnern für den Sonnenkönig zählte.
Wohlstand und Wohlfahrt der eigenen Bevölkerung waren kein Ziel des Königs und seines Finanzministers. So rackerten sich Franzosen und Französinnen ab, um die Früchte ihrer Arbeit ans Ausland zu vergeben, ohne selbst einen Gegenwert dafür zu erhalten.
Das Problem mit den Exportüberschüssen
Während Importe und besonders Importüberschüsse von Trump und den Merkantilisten als Verluste gesehen werden, halten sie Exportüberschüsse für erstrebenswert. Oft werden sie auch als Ausdruck der Stärke eines Landes beziehungsweise seiner Volkswirtschaft gesehen, weshalb Überschussländer wie China oder Deutschland darauf besonders stolz sind. Exportweltmeister zu sein, hat für Deutschland zuweilen die gleiche Bedeutung, wie wenn das Land eine olympische Goldmedaille für seine Wirtschaftsleistung gewonnen hätte.
Es trifft zu, dass eine starke Exportbranche Ausdruck für die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft und seiner Unternehmen ist. Exportüberschüsse hingegen bedeuten, dass ein Land die Früchte dieser Leistungsfähigkeit ins Ausland vergibt, ohne dafür seinerseits im gleichen Ausmass Güter und Dienstleistungen einzutauschen. Ein Land mit Exportüberschüssen verzichtet auf Konsum und Investitionen, indem es die Einkünfte aus den Nettoexporten als Vermögen im Ausland belässt.
Das heisst nicht, dass sich die Leute bewusst für einen geringeren Konsum oder für weniger Investitionen zum Zweck von Exportüberschüssen entscheiden. Meist liegt es an der Politik, die mit einer auf Exporte ausgerichteten Politik gezielt den inländischen Konsum unterdrückt. China ist dafür ein modernes Paradebeispiel. Frankreich unter Sonnenkönig Louis XIV. ein historisches.
Wirtschaften über die eigenen Verhältnisse
So wie Exportüberschüsse eines Landes für einen Konsum- und Investitionsverzicht im Inland stehen und damit für den Aufbau von Kapital im Ausland, so stehen umgekehrt die von Trump gehassten Importüberschüsse für Ausgaben eines Landes, die die eigene Produktion und die Einkommen daraus übertreffen – die Supermacht USA lebt also über den eigenen Verhältnissen.
Die Folge ist der Aufbau von Schulden gegenüber dem Ausland. Das ist bei den USA ausgeprägt der Fall. Ein wichtiger Grund für die Importüberschüsse ist daher die US-Regierung selbst, deren Verschuldung dramatisch steigt. Zu rund einem Viertel wird sie durch das Ausland finanziert.
Solange die USA insgesamt – Regierung und Privatsektor – mehr ausgeben als erwirtschaften, wird sich an den Importüberschüssen nichts ändern. Doch hier gedenkt Trump nicht anzusetzen – im Gegenteil.
Die Amerikaner können sich das besser leisten als andere Länder. Dank dem Dollar als gleichzeitig internationaler Leit- und Reservewährung sowie dank der überragenden Bedeutung ihres Kapitalmarkts können sie sich trotz der steigenden Defizite günstig verschulden. Denn die ganze übrige Welt ist erpicht darauf, Geld und Kapital in den USA anzulegen.
Das Problem aller anderen
Schuldenpapiere der US-Regierung gelten als risikolos, ihr Zins ist daher Grundlage aller Finanzprodukte weltweit. Die Amerikaner leben also nicht nur über ihre Verhältnisse, die übrige Welt finanziert das auch noch freudig. Einige Ökonomen und Ökonominnen sind sogar der Meinung, dass diese Investitionen in die USA für die Importüberschüsse des Landes verantwortlich sind.
Andere Länder als die USA sind gar nicht in der Lage, andauernd deutlich über ihre Verhältnisse zu leben, also permanent hohe Importüberschüsse zu verzeichnen. Das liegt vor allem daran, dass die eigene Währung dadurch an Wert verliert, was die Importe verteuert und die Exporte verbilligt, wodurch die Ungleichgewichte im Aussenhandel abgebaut werden.
Manchmal droht Schlimmeres: Die Bedienung der durch die Importüberschüsse ansteigenden Verschuldung im Ausland kann vor allem für ärmere Länder zu teuer werden. Mit dem Risiko steigen dann auch die Zinssätze. Fehlen einem ärmeren Land ausreichende Reserven an fremden Währungen, um die eigene zu stützen, droht die eigene Währung abzustürzen. Im schlimmsten Fall kommt es neben einer Währungs- auch zu einer Verschuldungs- und Zahlungsbilanzkrise, so wie während der Asienkrise Ende der 1990er-Jahre. Die USA haben Ähnliches nicht zu befürchten.
Warum Importe der Gesamtbeschäftigung nicht schaden …
Ein von Trump und anderen vorgebrachtes Argument gegen Importüberschüsse lautet, dass sie die inländische Beschäftigung untergraben. Importe von Produkten aus anderen Ländern würden die Jobs im eigenen Land konkurrenzieren, so das Argument. Zum Beispiel würden chinesische Autos die amerikanischen verdrängen und damit die Beschäftigten in der US-Autoindustrie.
Doch es zeigt sich, dass die Gesamtbeschäftigung in einem Land mit steigenden Importen selten sinkt. Bei steigenden Importen ist die Arbeitslosigkeit in der Regel sogar tiefer. Das gilt nicht nur für die USA. Der Grund ist einfach: Bei einer starken Konjunkturlage ist nicht nur die Arbeitslosigkeit tiefer, die Beschäftigten verdienen auch besser. Dies befeuert den Konsum aller Güter und Dienstleistungen – der inländischen genauso wie der importierten. Und das führt zu steigenden Importen.
Dennoch trifft es zu, dass wie im Beispiel mit den chinesischen Autos Importe aus dem Ausland inländische Produzenten verdrängen können. Ein Grund dafür kann sein, dass die ausländischen Güter besser und/oder dank besseren Produktionsmethoden günstiger sind – genauso wie die inländische Konkurrenz andere Anbieter durch bessere Leistungen und günstigere Preise verdrängen kann.
… und wo das wahre Problem liegt
Anders sieht es bei Subventionen aus. Sie können für einzelne Sektoren ein grosses Problem werden, wenn ausländische Staaten die Produktionskosten der Importeure (zum Beispiel aus China) verbilligen und diese daher einen Wettbewerbsvorteil gegenüber inländischen Produzenten (zum Beispiel in den USA) erhalten, der nicht auf besserer Leistung beruht.
Studien des Schweizer Ökonomen David Dorn und US-Kollegen – wie unter anderem jene zum «China Schock» – haben das eindrücklich für die Wirkung von chinesischen Einfuhren auf Sektoren der US-Industrie gezeigt: Die Folgen waren eine lokal steigende Arbeitslosigkeit und ein Niedergang von sozialen Strukturen.
Aber auch hier sind die Importüberschüsse nicht die eigentliche Ursache und es sind nicht alle in den USA auf der Verliererseite. Denn US-Konsumentinnen und -Konsumenten profitieren hier auf Kosten des chinesischen Staates von künstlich verbilligten Preisen. US-Produzenten hingegen werden durch die unfaire Konkurrenz verdrängt. Es wäre daher sinnvoller, gegen unfaire Subventionen vorzugehen, als in Importen generell das Übel zu sehen.
Denn die Vorstellung, dass bei einer Verhinderung von Importen die inländischen Produzenten die ausfallende Menge ersetzen würden, ist naiv. Tatsächlich wäre die Folge, dass die Produktion im Inland zurückgeht, weil viele Produzenten auf Vorprodukte aus dem Ausland angewiesen sind. Die Konsumenten und Konsumentinnen würden zudem auch auf andere Produkte und auf Importe anderer Länder ausweichen.
Fazit
Trumps Glaube, Importüberschüsse seien ein Verlust für die USA, ist nicht nur grundfalsch, er führt auch zu einer Zoll- und Wirtschaftspolitik, die daran wenig ändert, aber schädlich ist für die Weltwirtschaft und für die ohnehin schon gefährlich angespannten internationalen Verhältnisse. Solange die USA – ihre Bevölkerung und ihre Regierung – über ihre Verhältnisse leben, kann sich an den Importüberschüssen nichts ändern. Je nach politischen Massnahmen verteilen sie sich nur neu.