Er trat an als Ladykiller. Nun entpuppt sich Nestlé-Konzernchef Mark Schneider als einer der besten grössten Advokaten für mehr Diversität in Grosskonzernen.
Als es 2017 um die Nachfolge von Paul Bulcke als Konzernchef von Nestlé ging, da hatte Wan Ling Martello, ehemals Finanz- und Asienchefin und damit so etwas wie die Kronprinzessin für den wohl meist begehrten Job der Nahrungsmittelindustrie, noch das Nachsehen. Statt ihr machte ein hierzulande damals noch weitgehend unbekannter deutscher Gesundheitsmanager namens Mark Schneider das Rennen. Wenig später verliess die gescheiterte CEO-Anwärterin Nestlé, um ihre Karriere als Multi-Verwaltungsrätin etwa beim Automobilkonzern Stellantis weiter fortzusetzen.
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Nun, sieben Jahre später, erlebt die Nestlé-Geschäftsleitung einen regelrechten Feminisierungsschub. Bis im März wird sich der Frauenanteil in der 16-köpfigen Nestlé-Geschäftsleitung auf 6 verdoppeln. Die Quote im obersten operativen Führungsgremium liegt damit bei exakt 37,5 Prozent.
Im Vergleich zu den Peers ist das ein Spitzenwert. Beim französischen Nestlé-Konkurrenten Danone sind nur 20 Prozent Frauen, die Geschäftsleitung der britischen Unilever ist zu nicht einmal 10 Prozent weiblich.
Drei neue Top-Frauen bis im März
Gleich drei Top-Frauen werden bis März in der Nestlé-Geschäftsleitung neu dazu stossen. Schon im Amt ist Stephanie Pullings Hart. Als Chief Operating Officer hat die Amerikanerin die oberste Lufthoheit über die 344 Nestlé-Fabriken weltweit. Ob verunreinigte Nudeln in Indien oder Kolibakterien in französischen Pizzen, ob volatile Rohstoffpreise oder Nachschubprobleme bei den Milchbauern in Pakistan: Wenn immer in der hochkomplexen Nestlé-Mechanik etwas schief läuft, dann landet das Dossier von nun an auf ihrem Pult.
Die Amerikanerin trat die Nachfolge von Magdi Batato an, einem Nestlé-Veteranen. Sie stiess von Warby Parker zu Nestlé, der amerikanische Brillenhändler hat in den vergangenen Jahren neue Massstäbe beim Direktvertrieb gesetzt. Zuvor war sie Senior Vize President of Global Operations bei Beyond Meat, einem der Hauptkonkurrenten von Nestlé auf dem neuen Feld der pflanzlichen Proteinalternativen, also der Burger und des Bacon aus Erbsen, Weizen und Soja.
In die Fussstapfen von Wan Ling Martello
Mit der Britin Anna Manz wird zudem nach Wan Ling Martello zum zweiten Mal eine Frau die Nestlé-Finanzen verantworten. Sie kommt von der Londoner Börse, Mitte März fängt sie in Vevey als Finanzchefin an.
Bei einem Umsatz von 94,4 Milliarden Franken und dem Tempo, mit dem Mark Schneider das Portfolio umbaut, ist das ein Job, der deutlich mehr verlangt als noch vor ein paar Jahren. Transaktionen im Umfang von mehr als 10 Milliarden Franken hat der Nestlé-Chef seit 2017 abgewickelt. Grosse Verkäufe wie die des Wassergeschäfts in den USA oder Teile des Süsswarengeschäfts gehörten dazu. Aber auch milliardenschwere Übernahmen, wie der kanadischen Atrium Innovations, eines Unternehmens, das Nahrungsergänzungsmittel herstellt, oder der US-amerikanischen Kaffee-Kette Blue Bottle. Und dann sind da noch immer die Nestlé-Anteile am französischen Kosmetikriesen L'Oréal, die womöglich irgendwann verkauft werden müssen.
Schliesslich übernimmt, als dritte im Bunde, mit Anna Mohl neu eine Frau die Leitung der Nestlé-Gesundheitssparte Nestlé Health Science. Das Geschäft mit den Nahrungsergänzungsmitteln und medizinischen Nährlösungen ist ein Schlüsselelement, wenn es darum geht, den Pizza-, Guetzli- und Glacé-Verkäufer zum Nahrungsmittel- und Gesundheitskonzern umzubauen.
Anna Mohl tritt die Nachfolge von Greg Behar an. Der einstige Spitzenathlet und Pharmamanager hat Nestlé Health Science in den vergangenen Jahren zu einem Multimilliardengeschäft gemacht. Mit der Übernahme des Allergiemedikaments Palforzia ist er aber auch für einen der grössten Flops der Ära Schneider verantwortlich.
Die drei Top-Frauen stossen zum bisherigen weiblichen Geschäftsleitungstrio mit Personalchefin Béatrice Guillaume-Grabisch, Kommunikationschefin Lisa Gibby und General Counsel Leanne Geale.
Nur eine Top-Frau ist von intern
Einziges b-Moll der neuen Nestlé-Frauenpower: Mit Anna Mohl kommt nur eine der drei neuen Top-Frauen von intern. Auf die Frage, wie es denn mit dem internen weiblichen Talentpool aussehe, schreibt das Unternehmen, dass der Frauenanteil über alle Managementpositionen bei 45 Prozent liege. Bei den 200 wichtigsten Führungspositionen seien 30 Prozent mit Frauen besetzt.
Klar ist: Nestlés Aufholjagd ist das Ergebnis einer umfassenden Diversitäts-Initiative. Dazu gehören Mentoringprogramme für Frauen mit grossem Potenzial, bezahlter Elternurlaub und flexible Arbeitszeitregelungen – nicht nur als Zückerchen für das Personal am Hauptsitz, sondern über alle Betriebsgesellschaften hinweg. Vielversprechende Kandidatinnen und Kandidaten für die wichtigsten Führungspositionen werden zudem regelmässig unterteilt in «jetzt bereit», «in 1-2 Jahren bereit» oder in «3-5 Jahren bereit». Gut möglich deshalb, dass die nächsten Top-Jobs bei Nestlé auch intern mit Frauen besetzt werden können.
Diversität sei eine der grössten Stärken von Nestlé, schreibt das Unternehmen. Und: «Wir sind uns der positiven Auswirkungen einer integrativen Kultur bewusst». So gesehen, knüpfen die Frauen im Top-Management von Nestlé an die ureigenste DNA von Nestlé an, die Vielfalt. Mit dem Unterschied, dass sie heute nicht mehr nur so interpretiert wird, dass Frauen wohl als Konsumentinnen von Nestlé-Produkten eine Rolle spielen, nicht aber als Entscheidungsträgerinnen in dem Unternehmen, das sie herstellt.