Eine Quote, die Frauen hilft, gläserne Decken zu durchstossen und an die Spitze zu kommen, gilt in der Schweiz als verpönt, versteckt sich deshalb meist hinter anderen Begriffen. Etwa paritätischen Wahllisten oder Geschlechter-Richtwerten. Klingt nach gutschweizerischem Kompromiss.
«Das Wort Quote ist negativ besetzt», sagt Doris Aebi (56), die seit Jahrzehnten Spitzenkräfte für die Wirtschaft sucht. «Geschlechter-Richtwerte sind Zielgrössen und gehen besser auf die Bedürfnisse der Firmen ein.» Wichtig sei vor allem, dass die Pipeline mit weiblichen Führungskräften auf allen Hierarchiestufen gut gefüllt ist, so Aebi.
Das mag mit ein Grund dafür sein, warum es in der Schweiz Jahrzehnte gedauert hat, bis es nun eine Art «Frauenquote light» für Spitzenpositionen in der Wirtschaft gibt. Seit Anfang Jahr schreibt das Aktienrecht Geschlechter-Richtwerte vor. Diese verlangen von börsenkotierten Unternehmen mit Sitz in der Schweiz einen Anteil von 20 Prozent Frauen in Geschäftsleitungen und von 30 Prozent im Verwaltungsrat.
Zur Not die Quote
Auch wenn die Firmen bei Nichterreichen nur eine Erklärung nachschieben müssen, der sanfte Zwang ist dringend notwendig. Im europäischen Vergleich schneidet die Schweiz schlecht ab, belegt einen der letzten Plätze, was Frauen in Führungspositionen anbelangt.
Das zeigt einer Untersuchung der Geschlechtervielfalt in den 600 grössten europäischen Firmen. In den über 50 Schweizer Firmen, die unter die Lupe genommen wurden, sitzen in den Verwaltungsräten 26 Prozent Frauen, in den Geschäftsleitungen 11 Prozent – und gerade zwei Frauen im Chefsessel.
«Ich werde langsam ungeduldig», sagt Esther-Mirjam de Boer (52), die Firmen dabei hilft, Frauen für Verwaltungsrat und Geschäftsleitung zu finden. «Es sind jetzt zweieinhalb Generationen seit Einführung des Frauenstimmrechts vergangen.» Sie bemängelt: «Es gibt genug fähige Frauen, aber noch nehmen dies viele Firmen nicht wahr.» Obwohl es ihr gegen den Strich geht, sagt de Boer: «Wenn sich nichts bewegt, kann eine Quote einiges bewirken.»
Mobilisierung wirkt
In der Politik haben paritätische Wahllisten einen Schub ausgelöst, also Listen, auf denen etwa gleich viele Frauen wie Männer zur Wahl stehen.
Darin sind sich Irène Kälin (33, Grüne) und Regine Sauter (54, FDP) für einmal einig. «Das haben die Wahlen 2019 gezeigt», sagt Kälin. «Unter den Kandidierenden waren 40 Prozent Frauen. Entsprechend hoch ist nun der Frauenanteil.» Seit der historischen Frauenwahl ist der Anteil der Parlamentarierinnen im Nationalrat auf 42 Prozent angestiegen.
Eine Quote brauche es nicht, wichtig sei jedoch die Mobilisierung, ist Sauter überzeugt: «Die Parteien müssen genügend Frauen aufstellen, und dann ist es entscheidend, dass Frauen auch Frauen wählen, das hat sich 2019 gezeigt.» Vor allem auch dank der jungen Frauen!
Kälin fordert deshalb konsequent paritätische Wahllisten. Damit neue Vorbilder entstehen: «Junge Frauen sollen nicht – so wie noch ich in meiner Jugend – beim Wort Politik an alte weisse Männer denken müssen», erklärt die grüne Politikerin.
Chancengleichheit bringt viel
In Politik und Wirtschaft bewegt sich einiges bezüglich Geschlechtervielfalt, in der Kultur dagegen scheint die Debatte erst gerade loszugehen. «Der Aufholbedarf ist gross», sagt Susanne Wille (46), Kulturchefin des Schweizer Fernsehens SRF. «Nach wie vor sind Frauen in der Kulturszene oft und klar in der Minderheit.» Wie Studien zeigten, etwa als Komponistinnen in Konzertsälen, als Künstlerinnen bei Einzelausstellungen, als Musikerinnen auf den Bühnen oder als Dirigentinnen, so Wille. «Es geht was, aber es muss noch schneller gehen – dafür setzen wir uns bei SRF Kultur mit konkreten Initiativen und Massnahmen ein und auch ich mich persönlich», bekräftigt Wille.
Nicht auf eine explizite Quote aber auf Chancengleichheit setzt Anita Hugi (45), seit 2019 Direktorin der Solothurner Filmtage. Dieses Jahr gingen die Hauptpreise allesamt an Regisseurinnen. «Wenn Frauen die gleiche Chance haben, dann zeigen sie, was sie können. Davon profitiert die Kultur insgesamt», ist Hugi überzeugt.