Unternehmen machen den Spagat: zwischen ihren althergebrachten Produkten und Marken – und der neuen, «woken» Gesellschaft. Betroffen etwa: die Winnetou-Glace von Frisco, hergestellt in Goldach SG am Bodensee.
Nicht erst seit der Spieleverlag Ravensburger das Kinderbuch «Der junge Häuptling Winnetou» aus dem Regal genommen hat. Oder seit eine erneute Debatte um kulturelle Aneignung an den Rastafrisuren weisser Musiker entbrannte. Schon während der «Mohrenkopf»-Diskussion vor zwei Jahren geriet die Winnetou-Glace in den Fokus. Eine Namensänderung werde geprüft, hiess es damals.
Heute ist davon nicht viel übrig geblieben. Die Glace heisst immer noch Winnetou und ist mit 3 Millionen verkauften Stück pro Jahr immer noch ein Kassenschlager. «Wir sind zum Schluss gekommen, dass wir den Namen behalten», heisst es beim Frisco-Mutterkonzern Froneri auf Anfrage von Blick. Man erhalte mehr Rückmeldungen von Kunden, die den Namen behalten möchten, als von Kritikern.
Rassistischer Reis
«Die Winnetou-Glace ist eine tickende Zeitbombe», warnt hingegen die HSG-Professorin und Marken-Expertin Johanna Gollnhofer (34). «Von Marken wird heute erwartet, dass sie sich politisch und kulturell korrekt verhalten.»
Das zeigte sich schon in der Nachhaltigkeitsdebatte und während der Corona-Pandemie – und zuletzt im Ukraine-Krieg. Swatch, Starbucks, McDonald's, Ikea: Reihenweise zogen sich die Firmen aus Russland zurück, um nicht in Verdacht zu geraten, weiterhin mit Wladimir Putin (69) zu geschäften.
Besonders hart traf die neue Sensibilität der Gesellschaft die Reismarke Uncle Ben's: Wegen Rassismusvorwürfen im Zuge der «Black Lives Matter»-Bewegung entfernte sie nicht nur den alten schwarzen Mann von ihren Reispackungen – sondern änderte darüber hinaus auch den Namen zu «Ben's Original». Schwarze wurden in den USA früher «Uncle» und «Aunt» genannt, Onkel und Tante. Die über Jahrzehnte erarbeitete Wiedererkennung der Marke: dahin.
Minderheit gibt den Ton an
«Black Lives Matter» ist eine mächtige, weltumspannende Bewegung. Das kann die in der Schweiz laufende Debatte um Rastafrisuren oder Winnetou nicht von sich behaupten. «Dem Grossteil der Konsumenten ist der schwarze Mann bei Uncle Ben's oder die Winnetou-Glace völlig egal», sagt auch Marken-Expertin Gollnhofer. Dennoch hält sie es für richtig, dass die Unternehmen sich nach der krawallträchtigen Minderheit richten. «Diese Gruppe hat ein höheres Potenzial, sich zu radikalisieren und das Produkt zu boykottieren.»
Als Beispiel nennt sie den Europa-Park in Rust (D): Nach Rassismus-Kritik wurde Anfang Jahr die beliebte «Dschungel-Flossfahrt» geschlossen. Afrikaner waren dort in traditioneller Kleidung gezeigt worden, weisse Menschen in Safari-Outfits. Die Attraktion bediente koloniale Klischees, so der Vorwurf. «Die grosse Mehrheit der Leute störte sich nicht an der Dschungel-Flossfahrt», sagt Gollnhofer. «Aber sie fahren eben auch weiterhin in den Europa-Park, wenn es die Flossfahrt nicht mehr gibt.» Die Kritiker hingegen hätten den Park boykottiert, wenn er an der in die Jahre gekommenen Bahn festgehalten hätte.
Victoria's Secret und die Frauenkörper
Wichtig ist dabei aber, dass die Unternehmen den Wandel hin zu einer politisch korrekteren Marke glaubhaft vollziehen. Wenn das Unterwäschelabel Victoria's Secret im Zuge der «#MeToo»-Bewegung neben gertenschlanken Frauen auch einige Plus-Size-Models auf den Laufsteg schickt, im Hintergrund aber weiterhin Frauen ausgebeutet und sexualisiert werden, verpufft der Effekt.
Auch wenn die Debatte um kulturelle Aneignung in der Schweiz längst nicht die Tragweite von «#MeToo» oder «Black Lives Matter hat»: In der Glace-Fabrik in Goldach am Bodensee gehen in den kommenden Wochen wohl immer weniger Winnetou-Glaces vom Band. Nicht etwa wegen der woken Gesellschaft. Sondern weil sich der Sommer seinem Ende zuneigt.