In Russland gehen die Rollläden westlicher Firmen runter. Starbucks etwa schliesst 130 Filialen, bei McDonald's sind es 850. Die Schweizer Uhrenmarken Swatch und Breitling haben ihre Läden ebenso dichtgemacht wie der schwedische Möbelriese Ikea. Schindler baut keine Lifte und Rolltreppen mehr in Moskauer Hochhäusern oder Einkaufszentren ein, der Schweizer Chemiekonzern Clariant hat sein Labor in Russland geschlossen. Lindt & Sprüngli macht seine acht Shops in Russland dicht. Coca-Cola, Adidas, VW, Apple – die Liste liesse sich schier unendlich erweitern.
Marketing-Professorin Johanna Gollnhofer (34) von der Universität St. Gallen (HSG) spricht von einem Domino-Effekt. Weitere Firmen dürften sich in den kommenden Tagen und Wochen zurückziehen. «Die Gesellschaft erwartet von Unternehmen heute verstärkt, dass sie Haltung zeigen», erklärt Gollnhofer. Profitorientiert weiterzugeschäften, sei keine Option.
Andere, auch prominente Schweizer Firmen, erhalten ihr Russland-Geschäft aufrecht.
Uniqlo handelt sich Shitstorm ein
Nestlé etwa – der grösste Lebensmittelkonzern der Welt – macht weiter, verweist auf «eine zuverlässige Versorgung der Menschen im Land mit sicheren und wichtigen Nahrungsmitteln». Werbung und Kapitalinvestitionen in Russland wurden hingegen pausiert. Für den Pharmakonzern Roche kommt ein Rückzug aus Russland und der Ukraine nicht infrage – mit der Begründung, dass man «Menschen, die an gravierenden Krankheiten leiden, mit Medikamenten und diagnostischen Tests» versorge. Geberit verkauft den Russinnen und Russen trotz Krieg noch Toilettenschüsseln und Waschbecken, verweist ähnlich wie Nestlé darauf, man decke damit Grundbedürfnisse ab.
Wer das Russland-Geschäft in der aktuellen Lage aufrechterhalte, drohe abgestraft zu werden, warnt Marketing-Expertin Gollnhofer: «Wenn das Verhalten der Marke den Konsumenten nicht passt, wählen sie mit ihrem Portemonnaie. Das heisst, sie kaufen bei der Konkurrenz ein.»
Das bekommt etwa die japanische Kleidermarke Uniqlo zu spüren: Weil es am Russland-Geschäft festhält, sieht sich das Unternehmen nun mit Boykottaufrufen konfrontiert. Uniqlo ist einer der Sponsoren von Tennisstar Roger Federer (40).
Wird Russland für westliche Firmen wegen des Ukraine-Kriegs zum Reputationsrisiko?
Ernst gemeint oder «Warwashing»?
Möglich ist, dass in den kommenden Tagen und Wochen noch mehr Konzerne dem öffentlichen Druck nachgeben. Die Frage steht im Raum, ob es die Firmen mit ihrem Russland-Boykott wirklich ernst meinen – oder nur als Trittbrettfahrer auf der Anti-Putin-Welle mitreiten.
Gollnhofer spricht von der Gefahr des «Warwashing» – eine Kombination aus englisch «war» (für «Krieg») und «greenwashing», zu Deutsch «grünes Mäntelchen», das sich in den letzten Jahren viele Firmen umgelegt haben, um ihre Nachhaltigkeit zu betonen.
«Hinter dem Russland-Boykott steckt zu einem grossen Teil Überzeugung. Manche Aktionen laufen jedoch auch Gefahr, von Konsumentinnen und Konsumenten als Businesskalkül angesehen zu werden, wenn es den Marken an Glaubwürdigkeit fehlt», erklärt Gollnhofer. Die Sanktionen erschweren das Russland-Geschäft so oder so. Exporte sind seit dem Ausschluss Russlands vom internationalen Zahlungssystem Swift zum Spiessrutenlauf geworden.
Wird aus einer vorübergehenden Schliessung ein kompletter Rückzug aus dem Russland-Geschäft? «Je länger der Konflikt dauert, desto länger bleiben die Marken draussen. Und desto schwerer wird es, wieder in den russischen Markt einzusteigen», sagt die Marketing-Professorin. Die Türen bei Swatch, Starbucks und Co. bleiben wohl länger zu.
Für die Angestellten in Russland sind es schlechte Nachrichten. Vorerst zahlen viele Konzerne die Löhne trotz gestoppter Geschäfte weiter. McDonald's etwa hat in Russland 62'000 Angestellte auf der Lohnliste, bei Adidas sind es 7000.