Riesenwirbel um ein neues Kinderbuch: Der deutsche Verlag Ravensburger hat «Der junge Häuptling Winnetou» nach Kritik auf sozialen Medien aus dem Sortiment genommen. Ein Sprecher teilte mit, dass man nach Abwägung verschiedener Argumente zu der Überzeugung gelangt sei, «dass angesichts der geschichtlichen Wirklichkeit, der Unterdrückung der indigenen Bevölkerung, hier ein romantisierendes Bild mit vielen Klischees gezeichnet wird.» Der Stoff sei weit entfernt von dem, «wie es der indigenen Bevölkerung tatsächlich erging».
Die Entscheidung von Ravensburger stösst allerdings nicht nur auf Lob. TV-Star Uschi Glas (78), die 1966 im Film «Winnetou und das Halbblut Apanatschi» mitwirkte, kann die selbst auferlegte Zensur nicht verstehen: «In den Filmen und den Romanen gibt es das Gute und das Böse. Sie haben weisse oder rote Haut. Es bildet das echte Leben ab», sagt sie gegenüber «Bild». «Man soll doch aufhören, hier auf Biegen und Brechen einen Anlass zu finden, über etwas zu schimpfen.»
Pädagogisch wertvoll und respektvoll rausbringen
Vielerorts wird zudem kritisiert, dass sich auch der neue Winnetou-Film an den originalen Büchern von Karl May (1842–1912) orientiere, ohne sich dabei mit der indigenen Kultur auseinanderzusetzen. Für Lorenz Hunziker (45) vom «Schweizer Karl May Freundeskreis» wäre das aber gar nicht nötig: «May hat fiktive Romane in einer fiktiven Welt, ähnlich wie bei ‹Herr der Ringe›, geschrieben. Somit kann gar keine kulturelle Aneignung geschehen sein, da es diese Kulturen nicht gibt», sagt er zu Blick. «Weder die Filme mit Pierre Brice noch die mit Nik Xhelilaj haben irgendetwas mit indianischen Kulturen zu tun, sondern mit europäischer Fantasie.»
Dass man das trennen könne, glaubt David Bröckelmann (50) nicht: «Man kann schon neue Winnetou-Geschichten herausbringen, allerdings müssen sie pädagogisch wertvoll und respektvoll aufbereitet sein», sagt der Komiker, der seit zehn Jahren dem Schweizer Kasperli die Stimme leiht. «Von Geschichten wie den bösen Rothäuten und den netten Weissen müssen wir uns wirklich verabschieden.»
Kasperli musste angepasst werden
In der Schweiz sorgten die älteren Kasperli-Geschichten von Jörg Schneider (1935–2015) schon vor vielen Jahren für Diskussionen. So wurde beispielsweise die Erzählung «De Schorsch Gaggo reist uf Afrika» bereits um die Jahrtausendwende abgeändert. «Geschichten können wir heute sicher nicht mehr so erzählen wie damals», sagt Bröckelmann. Der Inhalt müsse respektvoll sein. «Das Autorenteam bemüht sich bei den neuen Kasperli-Geschichten extrem um Inklusivität und Diversität.» Diese Erfahrung zeige ihm, dass es auch mit Winnetou in Richtung Zukunft gehen könne: «Wenn man sich Mühe gibt, kann man in einer Neuauflage vieles, was früher zu weit ging, besser machen.»
Auch beim Globi-Verlag bekomme man teilweise Rückmeldungen, dass gewisse Bücher nicht mehr zeitgemäss seien. «Sie nehmen aber immer Bezug auf Bücher, die schon Jahrzehnte nicht mehr lieferbar sind und aus den Dreissiger- bis Sechzigerjahren stammen», erklärt Verlagsleiterin Gisela Klinkenberg (62). «Von den heute 95 Klassik-Bänden sind rund 35 bis 38 lieferbar. Es ist daraus ersichtlich, dass der Verlag Bücher, die nicht mehr zeitgemäss sind, nicht mehr herausgibt.» Beispielsweise wird das 1952 erschienene Buch «Globi bei den Indianern» seit 1979 nicht mehr verlegt.
Beim Nachdruck wird jedes Globi-Buch überarbeitet
Jedes Globi-Buch werde jeweils beim Nachdruck überprüft und überarbeitet, erklärt Klinkenberg. «Wir versuchen, gesellschaftliche Veränderungen im Auge zu behalten. Wir legen ganz grundsätzlich Wert darauf, dass die Geschichten weder einzelne Personen, Ethnien noch Kulturen, Minderheiten oder Religionen verletzen.»
Seit dem 11. August ist der neue Winnetou-Kinderfilm in deutschen Kinos zu sehen. Ob man an der Veröffentlichung am 23. Oktober in der Schweiz festhält, ist unklar. Eine Anfrage von Blick beim Filmverleih Ascot Elite blieb unbeantwortet.