«Fake Work» im Aufschwung
Wie Mitarbeitende im Homeoffice ihre Anwesenheit vortäuschen

Überflüssige Aufgaben, die Ressourcen binden, und vorgetäuschte Arbeit – «Fake Work» erhält Aufschwung. Das können Firmen dagegen tun.
Publiziert: 14.11.2023 um 09:04 Uhr
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Aktualisiert: 14.11.2023 um 10:24 Uhr
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Mitarbeitende kennen so einige Tricks, um ihre Arbeit vorzutäuschen.
Foto: www.plainpicture.com
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Olivia Ruffiner
Handelszeitung

Früher war es so: Die Chefin streifte durch das Grossraumbüro und nahm zur Kenntnis, wessen Jacke über der Stuhllehne hing. Das nahm sie als Indiz dafür, welcher Mitarbeiter vor Ort – und entsprechend am Arbeiten – ist und gerade im Sinne des Unternehmens durch das Gebäude eilt.

In Zeiten von Homeoffice funktioniert dieser Präsenzindikator nicht mehr. In vielen Büros herrscht gähnende Leere, verwaiste Bildschirme stehen vor unbesetzten Stühlen. Damit Führungskräfte trotzdem wissen, wer am Arbeiten ist, brauchen sie neue Hinweise. Zum neuen Jackenpendant ist die grüne Statusanzeige in Chatprogrammen wie Slack, Google Chat oder Microsoft Teams verkommen.

Ein grüner Punkt bedeutet, dass die Person online und erreichbar ist. Ein oranger Punkt deutet auf Inaktivität hin, ein grauer oder roter zeigt Abwesenheit an. Diese Statusfarben sind die neue, harte Währung im Büroalltag. Das nutzen Angestellte zu ihrem Vorteil. Damit die Chefin denkt, man sei früh wach, planen Angestellte heute E-Mails am Vorabend für den frühen Morgen ein. Extrembeispiele sind Geräte wie ein Mausbeweger, die den Computer davon abhalten, in den Ruhezustand zu gehen – und entsprechend die Statusanzeige auf Grün halten. So gewieft diese Tricks auch sein mögen, klar ist: Sie schaden einem Unternehmen, und die Führungskräfte versuchen, ihnen möglichst auf die Spur zu kommen.

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Unterschied zwischen Scheinarbeit und unnötiger Arbeit

Etwas Neues ist es aber derweil nicht. Das Simulieren von Arbeit und Vorgaukeln von Geschäftigkeit beschrieb 2015 bereits der schwedische Soziologe Roland Paulsen in seinem Buch «Empty Labour». Fake Work heisst jedoch nicht nur Scheinarbeit. Es ist auch die überflüssige Teilnahme an einem Online-Meeting, an dem man weder zuhören noch etwas dazu beisteuern muss. Das schadet einem Unternehmen genauso: «Fake Work ist einerseits das Vortäuschen von Arbeit. Anderseits kann es aber auch völlig unnötige Arbeiten beschreiben, die einem zugeteilt werden», erklärt Matthias Mölleney, Gründer und Geschäftsführer der Personalmanagementagentur Peoplexpert. Fake Work sind Berichte, die niemand liest, Online-Meetings ohne klare Struktur und Ergebnisse, Dokumentationspflichten und bürokratische Hindernisse, die nur Zeit und Ressourcen brauchen.

Artikel aus der «Handelszeitung»

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Der Unterschied zwischen den beiden Unterarten von Fake Work – also der Scheinarbeit und der unnötigen Arbeit – liegt in der agierenden Person, so Mölleney. Im Falle der Scheinarbeit weiss der Vorgesetzte nicht, dass der oder die Mitarbeitende nur so tut, als wäre er oder sie aktiv am Arbeiten. Umgekehrt weiss der Arbeitnehmende meist nicht, dass die Aufgabe, die der Chef ihm gerade erteilt hat, niemandem etwas bringt und nur Ressourcen bindet.

Doch wieso gibt man überhaupt unnötige Arbeiten weiter? «Ich denke, die meisten Vorgesetzten, die so etwas tun, wollen sich absichern, dass sie auf jeden Fall auf jede Frage ihrer nächsthöheren Vorgesetzten antworten können», vermutet Mölleney. So geben Führungskräfte beispielsweise gerne Rechercheaufträge für Fragen weiter, die mit allergrösster Wahrscheinlichkeit nie gestellt werden. Nur für den Fall, dass sie vorbereitet wären. Für beide Arten von Fake Work gilt gemäss Mölleney: Sie bringen ein Unternehmen nicht weiter und hemmen die Produktivität.

Diskrepanz in der Produktivitätsmessung als Ursache

Lange Reports durchforsten oder still in Meetings sitzen – das gilt als unproduktiv. Doch wie misst man Produktivität? Die Ergebnisse des aktuellen State-of-Work-Bericht von Slack, dem Messengerdienst für Arbeitsplätze, zeigen eine deutliche Diskrepanz zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden, wenn es um die Wahrnehmung der Produktivität geht.

Das zu Salesforce gehörende Unternehmen befragte rund tausend Büroangestellte und Führungskräfte aus der Softwareentwicklung, woran sie ihre Leistung messen. 33 Prozent der befragten Führungskräfte gaben an, dass sie sich stark auf Aktivitäts- und Sichtbarkeitsindikatoren – wie die grüne Statusanzeige – sowie auf die im Büro verbrachten Stunden verlassen. Im Gegensatz dazu gaben 27 Prozent der Entwicklerinnen und Entwickler an, ihre Leistung an den zuvor im Team festgelegten Zielen zu messen. Nina Koch, Director Customer Success bei Slack, fasst die Ergebnisse knapp zusammen: «IT-Führungskräfte müssen eine Kultur schaffen, die Leistung auf Grundlage von Ergebnissen anstelle von Arbeitsstunden oder versandten E-Mails misst.»

In der Befragung gaben denn auch 59 Prozent der Angestellten an, dass sie das Gefühl hätten, schnell auf Nachrichten antworten zu müssen – auch auf solche, die ausserhalb der Arbeitszeit verschickt werden. Darüber hinaus fühlt sich mehr als die Hälfte der Entwicklerinnen und Entwickler unter Druck gesetzt, ihren Teammitgliedern und Vorgesetzten ständig zu zeigen, dass sie produktiv sind. Diese Diskrepanz schafft nahrhaften Boden für Scheinarbeit. «Der Produktivitätsverlust vieler Unternehmen ist also oft selbstverschuldet», ergänzt Koch. «Kein Wunder, haben die befragten Entwicklerinnen und Entwickler das Gefühl, stets auf Nachrichten reagieren zu müssen – auch ausserhalb der Arbeitszeit.»

Eine Studie von Deloitte untermauert diese Entwicklung. Sie besagt, dass seit Ende der Pandemie die Anzahl an Online-Meetings zwar zugenommen, doch deren Dauer abgenommen hat. Das ist keine positive Entwicklung, so HR-Experte Matthias Mölleney: «Die Hemmschwelle, um ein Meeting einzuberufen, wurde deutlich niedriger.» Das führe auch dazu, dass Mitarbeitende ständig aufgeboten werden und sich nicht auf ihre Arbeit konzentrieren können.

Transparenz ist das A und O

Der einzige Weg, damit weder Fake Work noch die Meetingflut zunehmen, ist Transparenz. «Führungskräfte sollten stets klar kommunizieren, was die Strategie und die Ziele sind», sagt der HR-Experte. So wüssten Angestellte, worauf sie fokussieren sollen, und könnten entsprechend besser abschätzen, ob die Arbeit, die ihnen zugeteilt wurde, in dieser Hinsicht auch tatsächlich etwas bringt.

«Ganz wichtig ist in diesem Fall auch die psychologische Sicherheit», sagt Mölleney. Ein Mitarbeiter kann dank transparenter Kommunikation zwar erkennen, ob seine Arbeit wichtig ist, muss diese Bedenken aber auch gegenüber der Führungsperson äussern dürfen. Denn schafft man als Führungskraft ein Umfeld von Vertrauen und gibt den Mitarbeitenden die Sicherheit, dass sie nicht abgestraft werden, wenn sie sich kritisch äussern, dann ist das laut dem Experten der beste Weg, um Fake Work aus dem Unternehmen zu kippen.

Hat sich diese Kultur in einem Unternehmen festgesetzt, wirkt das beiden Formen von Fake Work entgegen. Nina Koch sagt: «Führungskräfte über alle Abteilungen hinweg müssen verstehen, wie die Angestellten ihre Arbeit und ihr Arbeitspensum empfinden, und in Erfahrung bringen, ob die Angestellten das richtige Umfeld haben, um produktiv zu sein.» Ist dies nicht der Fall, müssen Mitarbeitende ihre Bedürfnisse anbringen dürfen und sich ernst genommen fühlen. Denn das Vortäuschen von Arbeit sowie das «Beschäftigttun» kann auch eine Folge von Unterforderung sein. Bietet man als Führungskraft den Mitarbeitenden die Möglichkeit, Wünsche zu äussern und sich zu entwickeln, fühlen sie sich auch nicht mehr genötigt, die Jacke über den Stuhl zu hängen oder den Mausbeweger zu aktivieren. Oder statt motiviert zu arbeiten, lieber ein Nickerchen zu halten.

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