Ex-SNB-Chef Philipp Hildebrand ist besorgt wegen bröckelnder Weltordnung
«Wir befinden uns in einer knallharten Situation»

Jetzt spricht Philipp Hildebrand! Der Topmanager und ehemalige Präsident der Nationalbank spricht über die bröckelnde Weltordnung und die Konsequenzen für die Schweiz.
Publiziert: 20.03.2025 um 20:12 Uhr
|
Aktualisiert: 25.03.2025 um 16:37 Uhr
Philipp Hildebrand, Vice Chairman beim Vermögensverwalter Blackrock und ehemaliger Präsident der Schweizerischen Nationalbank.
Foto: Samuel Schalch

Darum gehts

Die Zusammenfassung von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast.
markus_diem_meier_4.jpg
Markus Diem Meier
Handelszeitung

Wir befinden uns in einer Epochenwende. Die regelbasierte Wirtschaftsordnung erodiert. Und in der Verteidigungspolitik macht die bisherige Schutzmacht USA klar: Europa muss zuerst für sich selbst schauen. Welche Folgen haben diese tektonischen Verschiebungen für die Schweiz? Darüber sprechen wir mit Philipp Hildebrand, Ex-SNB-Präsident und Topmanager des weltgrössten Vermögensverwalters Blackrock. Sein Befund ist beunruhigend.

Die Erosion der Weltordnung seit dem Zweiten Weltkrieg zeichnet sich schon länger ab. In den letzten Tagen und Wochen scheint sie geradezu einzubrechen. Wie schätzen Sie diese Entwicklung ein?
Philipp Hildebrand: Lenin soll einmal gesagt haben: «Es gibt Jahrzehnte, in denen nichts passiert, und dann Wochen, in denen sich Jahrzehnte ereignen.» Das Zitat zeigt sehr schön, wo wir uns im Moment befinden. Bemerkenswert ist, dass wir uns seit bald drei Generationen auf diese transatlantische Beziehung zwischen den Europäern und den USA verlassen haben, als wäre sie gottgegeben. Wenn das plötzlich infrage gestellt wird, was zurzeit der Fall ist, entsteht eine extreme Unsicherheit für das ganze System.

Inwiefern?
Es steht ein fundamentaler Paradigmenwechsel im Raum, was die internationale Ordnung angeht, vor allem aus europäischer Sicht. Interessanterweise spricht der voraussichtlich neue deutsche Kanzler Friedrich Merz, der zehn Jahre lang der Atlantikbrücke vorstand, jetzt offen davon, dass man sich aus europäischer Sicht auf eine mögliche Unabhängigkeit so weit wie möglich vorbereiten müsse. Von der Konferenz von Bretton Woods 1944 stammt das berühmte Zitat des damaligen Finanzministers Henry Morgenthau, dass weder Wohlstand noch Frieden teilbar seien. Wenn man sich dies im heutigen Rahmen vorstellt, sieht man, wie weit wir von diesem Grundfundament der transatlantischen Ordnung abzuweichen drohen.

Die USA haben diese Ordnung einst geschaffen, jetzt zerschlägt diese mit Donald Trump ein US-Präsident.
Diese Entwicklung in den USA war leider schon länger absehbar. Es ist viel zu kurz gegriffen, wenn man sie auf eine Person zurückführt. Der französische Präsident Emmanuel Macron hat von Anfang an sehr stark die Bedeutung der europäischen Souveränität betont, und es wurde in den letzten zehn Jahren viel darüber gesprochen – insofern ist es kein neues Thema.

Artikel aus der «Handelszeitung»

Dieser Artikel wurde erstmals im Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.

Dieser Artikel wurde erstmals im Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.

Viel geredet, wenig unternommen?
Schaut man auf die sicherheitspolitische Ebene, die digitale Ebene oder die Finanzinfrastruktur, wurde mit Blick auf unsere Unabhängigkeit in der Tat sehr wenig unternommen. Entsprechend werden wir heute im dümmsten Moment erwischt, obwohl diese Entwicklung eigentlich schon länger absehbar war.

Und wie beurteilen Sie die Lage der Schweiz?
Wenn man das aus Schweizer Sicht betrachtet, müssten wir eigentlich genau jetzt die stärkste Armee der Nachkriegszeit haben. Das Gleiche gilt wohl für den Geheimdienst. Und wo sind wir? Auf beiden Ebenen befinden wir uns möglicherweise am schwächsten Zeitpunkt seit dem Zweiten Weltkrieg. Das ist besorgniserregend.

Europa und die Schweiz streben mehr Unabhängigkeit von den USA an. Aber wie soll das gehen?
Es ist allein schon schwer, sich überhaupt damit auseinanderzusetzen, dass die bisherigen Grundprämissen nicht mehr gelten sollen. Sich einer solchen Realität zu stellen, ist ein riesiger Kraftakt und bedingt enormen Druck. Zweitens geht es jetzt kurzfristig vor allem um die Sicherheitspolitik. Wenn wir ehrlich sind, ist es im Moment ein Ding der Unmöglichkeit, die totale Unabhängigkeit von den USA zu erreichen. Europa hat schlichtweg nicht genügend Ressourcen. Das Gleiche gilt für die Schweiz. Wir sind heute nicht in der Lage, uns unabhängig zu verteidigen.

Wie steht es um die Wirtschaftspolitik? Sie wird von Trump aktuell auch als Waffe eingesetzt – etwa in Form von Zöllen.
Wirtschaftspolitisch sieht es etwas besser aus. Wenn man die Wirtschaftsmacht von Europa betrachtet, und dazu gehören durchaus auch starke Innovationselemente, bin ich etwas weniger besorgt. Der europäische Wirtschaftsraum ist vergleichbar mit dem der USA. Aber es gibt gravierende Mängel. Eine Bankenunion gibt es bis heute nicht. Der europäische Kapitalmarkt ist im Vergleich zu dem der USA verschwindend klein. Der amerikanische Kapitalmarkt macht mehr als 70 Prozent des globalen Kapitalmarkts aus. Das bringt grössere Möglichkeiten, Wachstum und Innovation zu finanzieren. Da hat Europa leider sehr viel verschlafen.

Zurück zur Schweiz. Angesichts unserer Kleinheit ist ein Rückzug auf uns selbst doch erst recht nicht möglich.
Die Schweiz wird immer in die Weltwirtschaft integriert sein müssen. Das ist von unserer Grösse und Offenheit her gegeben. Wenn man Europa gesamthaft betrachtet, ist es sicher so, dass man sehr viel verschlafen hat. Die letzten 10 bis 15 Jahre waren geprägt von einer Wohlfühlpolitik. Und die ist jetzt gescheitert.

Was meinen Sie mit Wohlfühlpolitik?
Sie war vielleicht eine unweigerliche Konsequenz der Friedensdividende nach dem Kalten Krieg und wohl auch der grossen Finanzkrise. Weite Teile der Politik hatten das Gefühl: Jetzt ist alles okay, jetzt können wir uns bloss noch Themen widmen, die uns ein gutes Gefühl geben. Wir können moralisieren, wir können Geld verteilen und finanzpolitische Grenzen missachten. Nun müssen wir uns von dieser Fantasie verabschieden. Wir befinden uns in einer knallharten Situation in der Weltwirtschaft und wohl auch in der Geopolitik.

Und wohin muss die Reise gehen?
Gerade in einem solch harten Umfeld muss man sich wieder konzentrieren auf eine solide, langfristig ausgerichtete Sicherheits- und Wirtschaftspolitik, die sich vom Verteilen verabschiedet und sich zurückbesinnt auf das Erschaffen und Bewahren von Wohlstand. Dazu müssen wir, so weit wie möglich, unsere Wettbewerbsfähigkeit stärken, um in diesem harten, umkämpften Umfeld möglichst gut bestehen zu können. Die aktuellen Herausforderungen sind der ultimative Weckruf, uns wieder auf unsere Stärken zu konzentrieren.

In der Schweiz sieht man wenig Druck. Die wirtschaftliche Position des Landes ist stark.
Zum Glück haben wir weiterhin Stärken. Wir haben dank unserer Regierung nach wie vor eine, zumindest relativ gesehen, solide Haushaltspolitik. Wir haben eine hervorragende ETH, die die Forschung vorantreibt und vom Volk und von der Regierung unterstützt wird. Es gibt durchaus Elemente, die mir Hoffnung machen – aber wir müssen uns abkehren von der Idee, dass wir in einer geschützten Werkstatt Geld so verteilen können, dass sich alle gut fühlen. Jetzt geht es wieder an die harte Arbeit. Wir sind eine kleine, sehr offene Volkswirtschaft in einem schwierigen geo- und wirtschaftspolitischen Umfeld. Da müssen wir danach streben, die Besten zu sein.

Die Frage ist, ob der Weckruf gehört wird. Die erschwerte Ausgangslage führt offenbar leider nicht zwingend dazu, dass die richtigen Schlüsse gezogen werden.
Die Geschichte der Schweiz zeigt, dass grosse Schritte möglich werden, wenn der Druck von aussen extrem gross ist. Das ist auch heute der Fall. Eine massive Refokussierung auf die Prioritäten – das scheint mir das Wichtigste zu sein.

Fehlen nach Jahrzehnten der Wohlfühlpolitik, wie Sie das nennen, das Gefühl und die Bereitschaft für eine Änderung?
Ich würde nicht in Pessimismus oder Defätismus verfallen. Auch bei vielen jungen Menschen sehe ich eine enorme Leistungsbereitschaft, und sie verstehen, dass es jetzt ernst wird. Alle, die Leistungswillen und Erfahrung haben und bereit sind, am Projekt Schweiz auch in Zukunft hart zu arbeiten, sollten sich zu Wort melden, auch politisch. Wir haben immer wieder bewiesen, dass wir unter Druck brillieren können. Ich denke hier etwa an unsere KMU, die den Druck durch einen teuren Franken gemeistert haben und weiter wettbewerbsfähig sind. Die Schweiz ist heute deutlich wettbewerbsfähiger als Deutschland.

Was droht uns, wenn es jetzt massive Zölle gibt?
Das hat natürlich weitreichende Folgen – vor allem für die Industrie. Aber auch hier sind wir uns aus Schweizer Sicht gewohnt, mit enormem Kostendruck umzugehen, und die Erfahrung mit dem Wechselkurs hat uns sehr vieles gelehrt. Vor Jahrzehnten hätte niemand gedacht, dass wir als Wirtschaftsstandort, als Industriestandort mit so viel Druck so gut umgehen können. Und doch haben wir das geschafft. Für unsere Firmen wird es nicht neu sein, wenn die Kosten hochgehen.

Philipp Hildebrand rechnet in Zukunft weltweit mit höheren Zinsen als in der Vergangenheit, in der Schweiz dürften sie aber vergleichsweise tief bleiben.
Foto: Samuel Schalch

Welche Folgen hat das internationale Umfeld für die Geldpolitik?
Viel von dem, was jetzt auf der Welt geschieht – die neue Weltordnung, die Neuartikulierung der Handelsströme, möglicherweise noch zusätzliche Zölle –, führt in der Tendenz dazu, dass die Inflation höher bleiben wird, als wir es bisher gewohnt waren. Deshalb müssen wir uns von der Idee verabschieden, dass Notenbanken massiv die Zinsen senken können.

International ist die Inflation zwar weiter erhöht. In der Schweiz ist sie aber stark gesunken, und die SNB hat jüngst die Zinsen gesenkt. Wie beurteilen Sie das Inflationsrisiko in der Schweiz?
Die Aufwertung des Frankens schützt uns vor dem inflationären Umfeld, weil er auf die Preise für Importe drückt. Deswegen können wir aus geldpolitischer Optik beruhigt sein. Bei uns wird die Preisstabilität auch in Zukunft gewahrt bleiben, und die Zinsen werden tiefer sein als im Ausland.

Unsere Industrie sieht im teuren Franken allerdings einen Nachteil.
Real, also kaufkraftbereinigt, hat sich der Franken wegen der stärker steigenden Preise im Ausland nicht stark aufgewertet. Aber die nominale Aufwertung ist in der Tat eine enorme Herausforderung für die Industrie. Gleichzeitig hat die bisherige Bewältigung dieser Herausforderung dazu geführt, dass wir heute einen sehr kompetitiven Industriestandort haben. Das Gegenteil sehen Sie in Deutschland. Dort hat man dank einem für Deutschland relativ schwachen Euro, einer subventionierten günstigen Energie und einer massiven Nachfrage aus China wettbewerbspolitisch sehr vieles verschlafen. Das tut jetzt weh. Dieses Problem haben wir nicht in der Schweiz.

Wird die SNB wieder Negativzinsen einführen?
Möglich sind sie sicher. Ich will nicht die Geldpolitik kommentieren, aber ich würde mir vorstellen, dass dies nicht das Instrument der Wahl ist. Ich würde es nicht als Erstes einsetzen, wenn ich noch bei der SNB wäre. Wenn es nötig wird, sind Negativzinsen aber Teil des Instrumentariums der SNB. Sie wurden erfolgreich eingesetzt und haben nicht viele Leute direkt tangiert.

Das andere Instrument gegen eine massive Aufwertung des Frankens sind Devisenkäufe. Hier kann es zu Problemen mit den USA kommen, die darin einen Hinweis auf eine unfaire Währungsmanipulation sehen.
Wir müssen am Schluss tun, was wir tun müssen, um den Verfassungs- und gesetzlichen Auftrag zu erfüllen. Das Konzept der Nationalbank ist relativ klar definiert: Das primäre Instrument ist der Leitzins. Falls notwendig, kann man auch den Wechselkurs einsetzen. Ich bin da nicht so besorgt – auch aufgrund der Erfahrungen mit den Amerikanern.

Wie sehen Sie das Risiko erneuter heftiger Ausschläge an den Währungsmärkten?
Das ist eine andere Frage, die aber nicht von uns beeinflusst werden wird, sondern primär von der teilweise doch sehr besorgniserregenden Fiskalpolitik, die sich in vielen anderen Ländern abzeichnet. Dieses Risiko gilt es auch aus Finanzmarktoptik im Auge zu behalten.

Von besonderer Bedeutung für uns ist die Lage in Europa. Sie sieht nicht blendend aus – in Bezug auf die Wirtschaft, die Politik und die Verteidigung. Was meinen Sie?
Wir können nur hoffen, dass sich Europa aufraffen kann. Die Frage für die EU ist jetzt, wie sie am besten mit diesem massiven Druck von aussen umgehen kann, der sich jetzt zeigt. Doch grundsätzlich gilt: Druck von aussen bringt letztlich Wandel.

Aber welchen Wandel? In Deutschland haben bei den Wahlen Parteien am äusseren linken und rechten Rand am meisten zugelegt, das Gleiche geschah in Frankreich. Das politische Gefüge in der EU ist instabiler geworden.
Lassen Sie es mich so formulieren: Wenn Europa keine Antworten auf diese Bedrohung findet, dann wird letztlich das ganze Konzept von Europa infrage gestellt. Dann verliert es seine Legitimität. Wir stehen deshalb in einem absolut historischen Moment auch in der Geschichte von Europa.

Wie kann sich denn die Schweiz künftig internationale Beachtung verschaffen?
Es sieht so aus, dass wir zurückkehren in eine Welt, in der die Grossmächte primär das Sagen haben und die EU an Einfluss verliert. Die Chancen der Schweiz werden weiterhin in einer klassischen Vermittlerrolle liegen und, wo möglich, in den guten Diensten, die sie anbieten kann, besonders auch gegenüber den Grossmächten.

Wie soll die Schweiz mit Europa umgehen? Es steht erneut ein Vertragswerk im Raum, um die bilateralen Beziehungen neu zu regeln. Wie ist Ihre Einschätzung hierzu?
Da dieser Moment jetzt existenziell für Europa ist, wird unsere zukünftige Beziehung mit Europa nicht primär von uns abhängen, sondern sehr stark davon, was Europa künftig sein wird. Wird Europa den Herausforderungen im Rahmen dieser fundamentalen Veränderungen der internationalen Ordnung gerecht? Oder verliert es letztlich die Legitimität, weil es die notwendigen Antworten nicht liefern kann? Diese Frage steht heute im Raum. Deswegen ist es meiner Meinung nach verfrüht, heute zu entscheiden, was wir tun sollen.

Was muss denn Europa Ihrer Ansicht nach tun?
Das Positive ist, dass man heute weiss, was es braucht, damit Europa in dieser neuen Welt handlungsfähig wird. Mario Draghi hat in seinem Bericht sehr gut beschrieben, was wirtschaftspolitisch notwendig ist. Und sicherheitspolitisch wissen wir es ebenfalls ganz genau: mehr Ressourcen, bessere Koordination und vor allem auch ein vereintes Auftreten nach aussen. Das ist notwendig, um so weit wie möglich unabhängig zu sein.

Zurück zum geplanten Abkommen zwischen der Schweiz und der EU. Wie soll die Schweiz jetzt konkret damit umgehen? Wie gross ist das Risiko für die Schweiz, wenn sie nicht unterschreibt?
Der Vertragstext ist noch nicht verfügbar. Bis er vors Volk kommt, dauert es vermutlich noch mehrere Jahre. Jetzt ist es an der Zeit, zu sehen, ob Europa seiner Verantwortung gerecht werden kann oder nicht. Wir müssen vorerst unsere eigenen Aufgaben angehen: Wir müssen uns wieder auf die Kernelemente Wettbewerbsfähigkeit und finanzpolitische Solidität konzentrieren. Wir dürfen uns nicht mehr mit dem Durchschnitt zufriedengeben. Sicherheitspolitisch werden wir massiv aufrüsten müssen, um uns als souveränes Land verteidigen zu können. Es muss wieder eine echte Wehrpflicht geben.

Sie wurden einst als Verwaltungsratspräsident der CS gehandelt und haben immer vor deren Schwächen gewarnt. Wie beurteilen Sie die Bankenlandschaft der Schweiz mit nur noch einer Grossbank?
Zuerst gilt es zu betonen, dass wir unseren Finanzplatz verteidigen müssen, besonders in der aktuellen Weltlage, in der alles zur Diskussion steht, in der wir gerade als kleines Land jede Ressource nutzen müssen, die uns zur Verfügung steht. Unser Finanzplatz bringt der Schweizer Volkswirtschaft sehr viel und ist auch in der internationalen Ordnung für die Schweiz ein wertvolles Gut. Möglicherweise wird er in den nächsten Jahren noch wichtiger werden.

Für diesen Finanzplatz hat die UBS grösste Bedeutung. Wie schätzen Sie deren Lage ein?
Das Geschäftsmodell der UBS entwickelt sich absolut in die richtige Richtung. Und für den Schweizer Finanzplatz braucht es diese Grossbank auf jeden Fall.

Viele in der Schweiz sehen aber nach der Krise der UBS im Jahr 2008 und nach dem Untergang der Credit Suisse die Grossbanken als volkswirtschaftliches Risiko ...
Klar, wir müssen aus den Krisen lernen. Allerdings ist die CS-Geschichte eine haarsträubende Geschichte, und man muss aufpassen, dass man das da Erlebte nicht einfach in jede grosse Bank hineinprojiziert. Mit Blick auf die grössten Banken der Welt war die Entwicklung bei der CS seit der Finanzkrise einmalig skandalös.

Und was sagen Sie zur Debatte über eine deutlich strengere Regulierung der UBS?
Zu wünschen wäre vor allem, dass wir die Diskussion dazu nicht noch lange vor der globalen Presse austragen. Man muss daran denken, dass die Aktionäre nicht vor allem Schweizer sind. Die globalen Kapitalmärkte reagieren selbst dann, wenn es dumme Gerüchte darüber gibt. Die Behörden sollten darum besorgt sein, dass wir beim regulatorischen Regime rasch für Klärung sorgen.

Wie beurteilen Sie die kontroverseste Forderung nach einer Kapitalaufstockung, konkret einer 100-prozentigen Unterlegung der Töchter mit Eigenkapital?
Es gibt analytisch keine Zweifel, dass mehr Kapital mehr Puffer und somit grundsätzlich mehr Sicherheit bedeutet. Ich wünschte mir bei der Regulierung aber eine Lösung, die einerseits auf das Erlebte reagiert – wie wir das 2008 gemacht haben –, die aber nicht mit endlosen Kapitalvorschriften die Illusion der vollkommenen Sicherheit generiert. Aus meiner Sicht gibt es Lösungen, die nicht nur auf das Kapital der gesamten Bank zielen. So sollte die risikoreichere Investmentbank im Zentrum von Anforderungen stehen und nicht das risikoarme Wealth-Management. Da gäbe es beispielsweise die Möglichkeit, das Investmentbanking prozentual zur ganzen Bilanz zu beschränken.

Welche Rolle sollte Ihrer Ansicht nach die Aufsicht spielen?
Wichtig ist, dass sie frühzeitig reagiert. Das war eines der Hauptprobleme im Fall der CS. Und die Aufsicht sollte Ressourcen und Leute haben, die mit dieser sehr grossen Bank umgehen können. Die Nationalbank kann das auch. Ich verstehe nicht, warum die Aufsicht nicht auch in der Lage sein sollte, das zu können. Es liegt jetzt an der Politik, dafür zu sorgen, dass wir am Ende nicht Massnahmen haben, die eine Illusion von Sicherheit vorgaukeln, aber unseren internationalen Finanzplatz zerstören.

Eine letzte Frage. Obwohl noch immer drängend, hat das Thema Klimawandel an Aufmerksamkeit eingebüsst. Auch Blackrock scheint dem Thema weniger Gewicht zu geben.
Das ist falsch. Bei uns sind Anlagen im Wert von über 1000 Milliarden Dollar entweder im Nachhaltigkeitsbereich oder im Energiewandelbereich investiert. Das bleibt für uns ein wichtiges Thema. Diese Anlagen haben zugenommen und nehmen weiter zu. Es gibt sehr viele Kunden weltweit, die das suchen, und für die stellen wir diese Anlagen zur Verfügung. Aber es gibt auch andere Kunden, die das nicht wollen. Natürlich hat die komplette Veränderung des geopolitischen Umfelds, das Thema zu Beginn unseres Gesprächs war, auch dazu geführt, dass Prioritäten anders gesetzt werden müssen. Aber langfristig bleiben Klimawandel und Energiewende sehr wichtige Themen für die Struktur der Weltwirtschaft und auch für Anlagen. Davon bin ich fest überzeugt.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Liebe Leserin, Lieber Leser
Der Kommentarbereich von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast. Noch kein Blick+-Abo? Finde unsere Angebote hier:
Hast du bereits ein Abo?
Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.