Ex-Seco-Chefin Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch
Mit ihrer Ämtli-Sammlung verdient sie mehr als ein Bundesrat

Die langjährige Spitzenbeamtin kehrte dem Bund vor zwei Jahren den Rücken. Heute hat sie ein höheres Einkommen denn je – auch dank Verwaltungsratsmandaten von Firmen, mit denen sie als Staatssekretärin eng zu tun hatte.
Publiziert: 15.09.2024 um 10:20 Uhr
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Aktualisiert: 15.09.2024 um 10:29 Uhr
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2016: Ineichen-Fleisch trifft den indischen Premierminister Narendra Modi, um mit dem Land ein Freihandelsabkommen zu verreinbaren.
Foto: Keystone

Auf einen Blick

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Thomas SchlittlerWirtschaftsredaktor

Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch (63) war eine der mächtigsten Beamtinnen der Schweiz. Mehr als zehn Jahre lang leitete sie das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), bis sie den Posten im August 2022 an Helene Budliger Artieda (59) übergab.

Mittlerweile hat die studierte Juristin, die ihre Karriere beim Beratungsunternehmen McKinsey begann, neue Aufgaben: fünf Verwaltungsratsmandate, die ihr nach Berechnungen von Blick ein jährliches Einkommen von 500'000 bis 560'000 Franken einbringen.

Das ist deutlich mehr, als sie in der Verwaltung verdiente. Der höchstmögliche Lohn für Bundesbeamte liegt bei 401'239 Franken; Bundesräte erhalten 472'958 Franken.

380'000 Franken für fünf Sitzungen

Nicht nur finanziell, auch im Hinblick auf ihre Work-Life-Balance dürfte sich der Seitenwechsel für Ineichen-Fleisch auszahlen. Im Vergleich zum Vollzeitjob beim Bund nehmen die VR-Mandate deutlich weniger Zeit in Anspruch.

Bei Nestlé etwa nahm Ineichen-Fleisch 2023 lediglich an fünf Sitzungen teil – und kassierte dafür mehr als 380'000 Franken. Die Verwaltungsräte der BVZ Holding (Inhaberin der Gornergrat Bahn), des Baukonzerns Kibag, der Beteiligungsgesellschaft Pfister Holding sowie der Mobiliar-Genossenschaft tagen ähnlich selten. Insgesamt dürften im Rahmen ihrer fünf VR-Mandate 20 bis 30 Sitzungen pro Jahr anfallen.

Ineichen-Fleisch schreibt dazu auf Blick-Anfrage: «Der persönliche Arbeitsaufwand für die verschiedenen Mandate ist unterschiedlich, wobei der jeweilige Aufwand einiges über die reine Sitzungszeit hinausgeht.»

Zu ihrem «effektiven Einkommen» will sich die Ex-Seco-Chefin nicht äussern. Sie verweist dabei auf ihre Privatsphäre, hält aber fest: «Es ist eine Tatsache, dass in der Privatwirtschaft höhere Vergütungen als im öffentlichen Dienst ausgerichtet werden.»

Lobbyieren auf Bitte von Nestlé

Dass Spitzenbeamte – aber auch Politikerinnen und Politiker – nach ihrer Karriere beim Staat in der Privatwirtschaft das grosse Geld machen, ist nicht verboten. Allerdings gilt es zu verhindern, dass jemand bewusst auf dieses Ziel hinarbeitet – und in der Verwaltung nicht nur im Interesse der Bevölkerung handelt, sondern Klientelpolitik für einzelne Branchen oder Konzerne betreibt.

In diesem Zusammenhang lässt eine Bemerkung aufhorchen, die Ineichen-Fleisch wenige Wochen vor ihrem Abgang beim Bund machte: «Eine Hauptaufgabe meiner letzten elf Jahre als Seco-Direktorin war es, mehr Regulierung abzuwehren», sagte sie damals an einer Podiumsdiskussion.

In einem Fall ist dieser Kampf gegen Regulierungen detailliert belegt: Unter der Leitung von Ineichen-Fleisch lobbyierte das Seco gegen neue Gesetze in Mexiko, mit denen die grassierende Fettleibigkeit in dem mittelamerikanischen Land verringert werden sollte.

Die Nichtregierungsorganisation Public Eye machte dieses Engagement des Bundes 2022 publik und zeigte anhand von Dokumenten und E-Mails auf, wie es zustande gekommen war: auf Bitte des Nahrungsmittelkonzerns Nestlé.

«Im Interesse der Schweiz»

Berührungspunkte gab es auch mit der Tourismusbranche, in der Ineichen-Fleisch seit Frühjahr 2024 als Verwaltungsrätin der BVZ Holding AG tätig ist. 2021 präsentierte das Seco ein «Recovery Programm» für die Industrie, mit dem die Erholung nach der Corona-Pandemie vorangetrieben werden sollte.

Ineichen-Fleisch weist den Verdacht der Befangenheit weit von sich: «In meiner Zeit als Seco-Direktorin habe ich ausschliesslich im Interesse der Schweiz und zum Wohl unserer Bevölkerung gehandelt.» Zudem habe sie sich immer an die Vorgaben ihrer Vorgesetzten gehalten – des Bundesrats und des Parlaments: «Integrität und Loyalität sind für mich zentral in einer solchen Funktion.»

Ihr Ziel sei stets die «Stärkung des Standorts Schweiz» für kleine und grosse Unternehmen gewesen – und zwar in allen Bereichen. «Zu meinen Pflichten gehörte es auch, Massnahmen zur administrativen Entlastung von Unternehmen, insbesondere von KMU, zu entwickeln.» Darunter falle nun mal die kritische Evaluation neuer Regulierungen.

Support vom Bund

Rückendeckung erhält die ehemalige Spitzendiplomatin vom Seco. Den «Fall in Mexiko» begründet ein Sprecher damit, dass die Mitglieder der Welthandelsorganisation (WTO) dazu verpflichtet seien, neue Gesetze WTO-konform zu gestalten.

«Sollten Zweifel in Bezug auf eine WTO-konforme Implementierung bestehen, stellt die Schweiz – wie andere WTO-Mitglieder auch – Fragen zu geplanten technischen Vorschriften.» Damit solle sichergestellt werden, dass legitime öffentliche Interessen «auf möglichst handelsfreundliche Weise» gewahrt bleiben.

Was vermutlich heissen soll: Das Seco handelte nicht im Auftrag von Nestlé.

Weiter hält die Behörde fest, dass mit Ineichen-Fleisch keine Karenzfrist für die Zeit nach ihrem Abschied vereinbart worden sei. Zudem habe es an der «Integrität und Loyalität» der Staatssekretärin gegenüber ihrem Arbeitgeber niemals Zweifel gegeben.

Des Weiteren weist das Seco daraufhin, dass «im Bundesdienst gemachte Erfahrungen» und Netzwerke von Bundesbeamten «selbstverständlich» verwendet werden dürften.

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