Es geht um Milliarden
CS-Anleger wollen Seco-Chefin vor Gericht bringen

Das Ende der Credit Suisse hat ein juristisches Nachspiel. Anwälte aus aller Welt nehmen nun auch das Staatssekretariat für Wirtschaft ins Visier.
Publiziert: 16.06.2024 um 12:01 Uhr
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Aktualisiert: 16.06.2024 um 14:04 Uhr
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Das Ende der Credit Suisse hat ein juristisches Nachspiel.
Foto: keystone-sda.ch
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Raphael RauchBundeshausredaktor

Seit gut einem Jahr sind AT1-Anleger stinksauer auf Finanzministerin Karin Keller-Sutter (60). Und nicht nur auf sie: Die Zeichner dieser Finanzpapiere, die nach dem Crash von 2008 geschaffen wurden, um Banken vor dem Zusammenbruch zu schützen, werfen dem Gesamtbundesrat vor, den Totalverlust ihrer Kapitalanlage verschuldet zu haben.

Denn als die Credit Suisse (CS) vor dem Zusammenbruch stand, verordnete der Bund am 19. März 2023 per Notrecht die Zwangsübernahme der Grossbank durch die UBS – und dekretierte, dass AT1-Anleger dabei leer ausgehen sollten. Seitdem sprechen die Investoren von Enteignung in Milliardenhöhe.

AT1 steht für «Additional Tier» – auf Deutsch: zusätzliche Ebene. In guten Zeiten sind AT1-Anleihen attraktiv, weil hoch verzinst. In schlechten Zeiten gehen AT1-Anleger ein Risiko ein: Die Anleihen dienen als Puffer, wenn Banken in Not geraten. Deshalb entschied die Finanzmarktaufsicht (Finma) auch, die AT1-Anleihen der CS abzuschreiben.

War die Finma-Verfügung verhältnismässig?

Vor dem Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen klagen mittlerweile rund 2500 Anlegerinnen und Anleger aus dem In- und Ausland, darunter Millionäre und Milliardäre, aber auch die Pensionskasse der Migros, gegen die Finma-Verfügung und fordern ihr Geld zurück. Eines ihrer zentralen Argumente: Die Finma-Verfügung war nicht verhältnismässig.

Nun droht auch der Chefin des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco), Helene Budliger Artieda (59), Ungemach. Denn die ehemaligen AT1-Investoren klagen nicht nur in St. Gallen, sondern machen auch vom Zauberwort Investitionsschutzabkommen Gebrauch – und setzen so das Seco unter Druck.

Seit den 1960er-Jahren hat die Schweiz bilaterale Investitionsschutzabkommen mit mehr als 110 Nationen abgeschlossen. «Die Länder des Nordens wollten Garantien, dass ihre Unternehmen bei Investitionen in Entwicklungsländern nicht übers Ohr gehauen werden», sagt Nicolas Diebold (46), Professor für Wirtschaftsrecht an der Uni Luzern.

Nun aber sind die Vorzeichen umgekehrt: Das Abkommen soll nicht Schweizer Investoren im Ausland vor einer Bananenrepublik schützen, sondern Anleger in aller Welt vor den Schweizer Behörden. Die AT1-Klagen könnten Rechtsgeschichte schreiben: «Die Schweiz ist bisher noch nie ernsthaft unter einem Investitionsschutzabkommen eingeklagt worden», sagt Diebold.

Eine Klageandrohung liegt vor

«Die Schweiz hat bisher eine Klageandrohung von einer ausländischen Investorengruppe erhalten», teilt das Seco gegenüber Blick mit. «Bevor ein ausländischer Investor ein Schiedsverfahren gegen die Schweiz einleiten kann, muss er der Schweiz eine Klageandrohung zustellen.»

Damit beginne eine sechsmonatige Konsultationsfrist, die es der Schweiz ermögliche, sich auf ein Schiedsverfahren vorzubereiten. «Erst nach Ablauf dieser Frist kann eine Klage eingereicht werden. Aus prozesstaktischen Gründen äussert sich das Seco nicht zu Klageandrohungen», heisst es aus Bern. Klar ist: Das Seco muss sich auf Beschwerden aus aller Welt vorbereiten.

Seco-Chefin Budliger Artieda zeigt sich siegesgewiss. «Aus Sicht des Seco und der anderen Bundesstellen wurde kein Investitionsschutzabkommen verletzt», lässt sie ihre Sprecherin mitteilen. «Die Finma hat im Rahmen ihrer Aufsichtstätigkeit die Credit Suisse angewiesen, von ihren vertraglichen Rechten Gebrauch zu machen und die AT1-Instrumente abzuschreiben. Die getroffenen Massnahmen waren notwendig, um die nationale und internationale Finanzstabilität und damit die Schweizer Volkswirtschaft zu schützen.»

Das Vorgehen der Schweiz sei zulässig und verhältnismässig gewesen, betont das Seco. «Die AT1-Instrumente sahen die Möglichkeit einer vollständigen Abschreibung ausdrücklich vor, und die Eigentümer von AT1-Instrumenten waren vollumfänglich über diese Möglichkeit informiert.»

Erste Entscheidungen noch dieses Jahr

Völlig anderer Meinung ist Alexander Lindemann (53). Mit der Kanzlei Lindemann Law AG vertritt er nach eigenen Angaben Investoren aus Dubai, Grossbritannien und den USA. «Anders als beim Bundesverwaltungsgericht rechnen wir bei den Schiedsverfahren bereits 2024 mit ersten vollstreckbaren Entscheidungen», teilt der Zürcher Rechtsanwalt mit. «Aufgrund der über 110 Investitionsschutzabkommen und der fünfjährigen Frist im Enteignungsrecht wird das Thema noch mindestens bis 2028 die Schiedsgerichte beschäftigen.» Anders sieht es in St. Gallen aus: Dort konnte nur innerhalb einer kurzen Frist gegen die Finma-Verfügung geklagt werden.

Laut Wirtschaftsrechtsprofessor Diebold unterscheiden sich die Schiedsgerichtsverfahren deutlich vom Prozess vor dem Bundesverwaltungsgericht: «Schiedsverfahren werden nach internationalen Verfahrensregeln ausgetragen, etwa der Weltbank oder der Uno. Sie sind deutlich schneller und können innerhalb von wenigen Monaten abgewickelt werden.» Hier entscheiden nicht staatliche Richter, sondern drei private Schiedsrichter: Jede Seite kann einen Juristen benennen, die sich dann gemeinsam auf einen Vorsitzenden einigen.

Überraschungen nicht ausgeschlossen

Anders als bei Verwaltungsgerichten, die tendenziell staatsfreundlich argumentieren, kann es bei international zusammengesetzten Schiedsgerichten durchaus Überraschungen geben. «Manchmal prallen auch Rechtskulturen von kontinentaleuropäischem und angelsächsischem Recht aufeinander», sagt Diebold. Wo das Schiedsgericht tagen wird, müssen die Streithähne erst noch bestimmen. Staatliche Räumlichkeiten stehen ihnen nicht zur Verfügung, eher beispielsweise Konferenzräume von Hotels.

Wie der Streit am Ende ausgeht, ist unklar. Im schlimmsten Fall könnte es für den Steuerzahler teuer werden. Experte Diebold: «Kommt das Schiedsgericht zum Schluss, dass die Schutzstandards des Abkommens verletzt worden sind, kann es den beklagten Staat zu hohen Schadenersatzzahlungen verpflichten.»

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