«Richtig neblig hier, fast wie in der Schweiz», findet Pierre Bi (30), als er nach seinem Bachelor-Abschluss an der ETH nach Peking (China) reist. «Das ist kein Nebel, sondern Smog», korrigiert ihn der Taxifahrer – und schon ist die Idee für sein Start-up geboren.
Gemeinsam mit seinem Studienfreund Constantin Overlack (31) tüftelt Pierre Bi an einem Luftfilter für die smoggeplagten chinesischen Grossstadtbewohner. «Es gab damals zwar schon Luftfilter, aber das waren eher Marketing-Spielereien», erinnert sich der Zürcher mit chinesischen Wurzeln. Das Ziel: ein Luftfilter für die eigenen vier Wände, der «verhebet». Und der obendrein auch noch gut aussieht. «Wir leben schliesslich im 21. Jahrhundert, alles ist durchdesignt, vom Smartphone bis zu den Möbeln.»
2017 bringen Bi und Overlack ihren ersten Luftfilter auf den Markt, taufen die Eigenkreation Aeris. Die Technologie der jungen Zürcher Ingenieure schneidet in unabhängigen Produktvergleichen tatsächlich weit besser ab als die der Konkurrenz. 5000 Geräte umfasst die erste Charge. Heute produzieren die beiden über 100'000 pro Jahr.
Australische Klassenzimmer mit Schweizer Luftfiltern
Aeris ist innert weniger Jahre vom wackligen Start-up zum Multimillionen-Dollar-Konzern angewachsen. Die beiden Gründer sind längst Tech-Millionäre. Das hat auch mit Corona zu tun. «Wir haben gerade 15'000 Geräte nach Australien geliefert. Im Bundesstaat New South Wales werden alle Schulzimmer damit ausgerüstet.»
Die Erfindung der Schweizer Ingenieure filtert nämlich nicht nur Smogpartikel und anderen Dreck aus der Luft – sondern auch Viren und Bakterien. Stichwort Aerosole. In Schweizer Klassenzimmern kommen die Luftreiniger des Start-ups mit Sitz in Cham ZG dennoch kaum zum Einsatz. «In der Schweiz gehen die Leute immer noch davon aus, dass Lüften reicht. Dabei ist wissenschaftlich belegt, dass Luftfilter das Ansteckungsrisiko minimieren», kritisiert Bi.
Anders etwa in Deutschland und den USA: Dort gelten Luftreiniger offiziell als Massnahme in der Pandemiebekämpfung, ähnlich wie hierzulande Masken. Es gibt staatliche Subventionsprogramme, um Krankenhäuser, Schulen und Arztpraxen damit auszurüsten.
Allergien und Waldbrände als Verkaufsargument
Die Pandemie war für das junge Schweizer Start-up zweifelsohne ein Booster. Die Verkäufe wären aber auch ohne Corona durch die Decke gegangen, ist Bi überzeugt. «Wir hatten schon vor Covid Wachstumsraten zwischen 300 und 700 Prozent.» Nach dem Markteintritt in China fanden die Luftfilter etwa auch in den USA reissenden Absatz.
Aber warum stellen sich Menschen ausserhalb der versmogten chinesischen Grossstädte einen teuren Luftfilter ins Haus? Die Aeris-Geräte sind mit 500 bis 1000 Franken nicht gerade ein Schnäppchen. «In den USA geht es vor allem um Verkehrsabgase», sagt Bi. «Und an der US-Westküste kommen Waldbrände hinzu.» Die Russpartikel belasten die Atemluft stark.
Auch Bi hat einen Luftfilter in seinem Zuhause stehen. Er wohnt am Zürichsee, weit weg von Waldbränden und Smog. «Ich bin Allergiker», sagt der Jungunternehmer. Das Gerät filtert Pollen, Hausstaub oder Tierhaare aus der Luft. «Wenn ich den Filter im Frühling oder Sommer benutze, geht es mir viel besser.»
US-Tech-Gigant blättert 72 Millionen für Schweizer Start-up hin
Auch Grosskonzerne glauben an die Zukunft von Bis Luftfiltern – sei es für Allergiker, Grossstadtbewohner oder die nächste Pandemie. Der US-Techkonzern iRobot fand das Schweizer Start-up derart verheissungsvoll, dass er es gerade aufgekauft hat. Für 72 Millionen US-Dollar!
Eine stattliche Summe, bedenkt man, dass die beiden Studienabgänger ihren ersten Filter vor gerade einmal vier Jahren verkauft haben. Der Erfolg hängt auch mit den potenten Geldgebern im Hintergrund zusammen. «Wir haben einen der Mitbegründer von Tinder an Bord», verrät Bi.
Wie kommen zwei blutjunge Start-up-Unternehmer mit dem Kopf der weltgrössten Dating-Plattform in Kontakt? «Wir hatten einen Tinder-Match!», scherzt Bi. «Nein, im Ernst, durch mein Master-Studium am MIT in den USA hatte ich ein spannendes Netzwerk. Man muss aber auch sagen: Wir haben mit Hunderten Investoren gesprochen!» Einige wenige haben an die Gründer geglaubt und investiert.
Es hat sich gelohnt, wie der millionenschwere Verkauf belegt. Ganz geben Bi und Overlack ihr Baby aber nicht aus den Händen: Sie bleiben als Angestellte bei iRobot, leiten dort fortan die Abteilung Luftqualität. Auch die übrigen Mitarbeiter behalten ihre Stelle. In Cham ZG sind es mittlerweile knapp 20, ein weiteres Dutzend in den USA und in Asien. «Wir werden die Anzahl der Arbeitsplätze in der Schweiz nächstes Jahr verdoppeln», prognostiziert Bi. Die Auftragsbücher sind bereits proppenvoll. Corona sei Dank.