In China gibts einen Fall, in dem sich 71 Menschen in einem Lift mit Corona angesteckt haben – und zwar ohne persönlichen Kontakt. Weil die Wolke aus Millionen von Partikeln in der Luft – darunter auch Coronaviren – stundenlang in einem Lift hängen bleiben kann. Für den deutschen Physiker Gerhard Scheuch, der seit über 30 Jahren an Aerosolen forscht, ist klar: Aerosole sind der wichtigste Übertragungsweg der Coronaviren. «Kontakt- und Tröpfcheninfektionen scheinen mir viel unwahrscheinlicher», sagt er zur «NZZ am Sonntag», «wenn ich ein Sars-CoV-2-Virus wäre, würde ich mich einatmen lassen.»
Sicher ist: Die Übertragung in Innenräumen ist viel wahrscheinlicher als an der frischen Luft – wo die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung fast ausgeschlossen ist.
WHO anerkannte Aerosole, BAG nicht
Schon im Juli 2020 benannten Forscher und Ärzte die Problematik der Aerosole, wie die «NZZ» schreibt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) anerkannte ab April 2021 Aerosole als Überträger des Virus. Die US-Gesundheitsbehörde CDC setzte die in der Luft schwebenden Mikroteilchen gar zuoberst auf die Liste der möglichen Infektionswege.
Und das Bundesamt für Gesundheit (BAG)? Das schreibt auf seiner Webseite: «Das Virus wird wie folgt übertragen: Atmet, spricht, niest oder hustet die infizierte Person, können virenhaltige Tröpfchen direkt auf die Schleimhäute von Nase, Mund oder Augen von anderen Menschen in unmittelbarer Nähe (unter 1,5 Metern) gelangen. Eine Übertragung durch feinste Tröpfchen (Aerosole) über weitere Distanzen ist möglich, kommt aber nicht häufig vor.»
Darüber können Forscher wie Gerhard Scheuch nur den Kopf schütteln: Die Passage müsse «unbedingt» geändert werden. «Die Aerosol-Übertragung sollte als eine der wichtigsten Wege genannt werden.»
BAG will Webseite anpassen
Schlimm sind vor allem die Folgen: Schutzmassnahmen, die aufgrund dieser Einsicht hätten ergriffen werden können, wurden unterlassen.
So haben die Behörden in der Schweiz – anders als etwa in Deutschland – viel weniger vehement auf häufiges Lüften gepocht. Scheuch würde raten, in allen Klassenzimmern oder Altersheimen CO₂-Messgeräte zu installieren. Wenn es zu stickig wird im Raum, geben diese Geräte an – und die Personen im Raum wüssten dann, dass es Zeit wäre, die Fenster zu öffnen. Auch Luftfilter hält er für eine gute Investition – egal, in welchen Innenräumen.
Das BAG hat sich vorgenommen, die Webseite anzupassen. Dies aufgrund der Anfrage der «NZZ». Autor Martin Amrein fordert gar: Die Anpassung auf der Webseite dürfe nicht klammheimlich erfolgen. «Das BAG muss die Bevölkerung deutlich auf die Thematik aufmerksam machen.» (ct)