«Am meisten enttäuscht bin ich von Romeo Lacher», sagt ein Banker zum Debakel bei Julius Bär. Wie konnte dem erfahrenen Manager (63) ein solch grober Schnitzer passieren? Während 27 Jahren war er in verschiedenen Führungspositionen bei der Credit Suisse tätig, viele Jahre davon in der Vermögensverwaltung. Seine Domäne sind zwar die Prozesse und Abläufe und weniger Kundenbeziehungen. Dennoch: Dass ihm beim Benko-Deal ein derart gravierender Patzer unterlaufen ist, ist schwer nachvollziehbar.
Lacher wurde im Frühjahr 2019 Verwaltungsratspräsident von Julius Bär, mit einem Jahresgehalt von über einer Million Franken. Laut Recherchen war René Benko (46) zu diesem Zeitpunkt noch kein Kunde der Bank. Erst in den folgenden Monaten kam es zu einer Zusammenarbeit mit dem österreichischen Immobilienmogul. Anlass war der Verkauf der Warenhauskette Globus, der im Februar 2020 über die Bühne ging.
Benko kaufte die Warenhauskette zusammen mit der thailändischen Central Group. Da er seinen 50-Prozent-Anteil von rund 500 Millionen Franken nicht aus eigener Tasche bezahlen konnte, brauchte er einen Kredit. Nachdem andere Banken abgelehnt hatten, kam Julius Bär ins Spiel. Federführend war ein kleines Team von Bankern, die zwei Jahre zuvor von der CS zur Zürcher Privatbank gewechselt hatten. Sie sind spezialisiert auf Spezialkredite, im Fachjargon Structured Loans genannt.
Entblösste Geschäftsbeziehung
Auf einem Social-Media-Profil eines Kreditspezialisten ist zu lesen, dass er «massgeschneiderte Kreditlösungen» für sogenannte UHNWIs anbietet. Die Abkürzung steht für Ultra-High-Net-Worth Individuals. Zu diesem Kundensegment gehören Personen mit einem frei investierbaren Vermögen ab 50 Millionen Franken. Julius Bär gewährte Benko einen Kredit von 200 Millionen Franken. Als Sicherheit erhielt die Bank Aktien einer Signa-Tochter, in der die Globus-Beteiligung gehalten wird.
Doch die 200 Millionen waren nur der Anfang. Später gab die Bank Benko nochmals je 200 Millionen Franken. Insgesamt schwoll das Kreditengagement auf 606 Millionen Franken an, wie die Julius Bär vor zwei Wochen in einer Mitteilung einräumen musste. Davon hat sie bisher 70 Millionen Franken abgeschrieben. Weitere Millionen dürften folgen. Insgesamt könnte die Bank das Benko-Abenteuer zwischen 300 und 400 Millionen Franken kosten.
Die entblösste Geschäftsbeziehung mit dem umstrittenen Immobilienfinancier hat nicht nur die Finanzmärkte verunsichert, sondern vor allem auch die Kundinnen und Kunden enttäuscht. Privatbanker bis hinauf zum CEO mussten ausschwärmen, um die wichtigsten Kunden zu besänftigen.
Seit Wochen befindet sich die Bank im Krisenmodus. Mit Blick auf die Jahreszahlen im Februar und die Generalversammlung im April geht es vermehrt auch darum, personelle Konsequenzen aus dem Debakel zu ziehen.
McKinsey-geschulter Kopf- und Zahlenmensch
So viel ist sicher: Da die höchsten Ebenen in die Kreditvergabe involviert waren, wird es nicht ausreichen, untergeordnete Banker zu entfernen. Zwar dürfte es auch sie treffen, insbesondere jene Banker, die von der CS zu Bär wechselten und die Deals mit Benko einfädelten. Aber mit ihnen allein ist es nicht getan.
Bankintern heiss diskutiert wird: Wer von den Chefs die Verantwortung für das Scheitern übernimmt. Einige zielen auf CEO Philipp Rickenbacher (51), der im September 2019 an die Spitze der Bank kam. Als ETH-Wissenschaftler schaue er auf die Finanzmärkte wie durch ein Reagenzglas, sagt ein Kritiker. Der McKinsey-gestählte Kopf- und Zahlenmensch habe kein Verständnis für emotionales oder irrationales Verhalten, das im Finanzgeschäft verbreitet ist.
Ein Finanzmedium schrieb, ein Rücktritt Rickenbachers wäre ein Befreiungsschlag wie einst der Abgang von Oswald Grübel bei der UBS 2012. Doch so einfach wird man den hoch bezahlten Bankchef nicht los, der letztes Jahr über sechs Millionen Franken verdiente. Gegenüber der «NZZ» sagte Rickenbacher, Kredite würden bei der Bank nach klaren Governance-Grundsätzen vergeben und stets im Detail geprüft – und zwar in der Kreditabteilung, im entsprechenden Ausschuss der Geschäftsleitung sowie im Risikoausschuss des Verwaltungsrats.
Lachers Versäumnis
Damit zielt Rickenbacher direkt auf Verwaltungsratspräsident Romeo Lacher, der als Mitglied des Risikoausschusses in die Kreditgenehmigung involviert war. Hinzu kommt, dass es die Aufgabe des Verwaltungsrats ist, der Geschäftsleitung klare Regeln vorzugeben. Dies gilt insbesondere für das Kreditgeschäft. Dieser Rahmen definiert, wie gross das Kreditengagement gegenüber einem einzelnen Kunden maximal sein darf. Laut verschiedenen Quellen hat es der Verwaltungsrat versäumt, der Geschäftsleitung einen solchen Rahmen vorzugeben.
Ein Kreditexperte erklärt es so: Wenn man wie bei Bär ein strukturiertes Kreditportfolio aufbaut, definiert man zuerst die angestrebte Grösse des Portfolios. Dann definiert man die maximale Grösse einer einzelnen Position. Allein aus diesen beiden Parametern ergebe sich ein klarer Rahmen, in dem sich die Banker bewegen können. Da das strukturierte Kreditportfolio bei Bär 1,5 Milliarden Franken beträgt, wäre eine sinnvolle maximale Einzelposition 100 Millionen Franken. Mit der Benko-Position ist Julius Bär also um das Sechsfache über das Ziel hinausgeschossen.
Die Bank hätte dieses Klumpenrisiko nie eingehen dürfen. Julius-Bär-Präsident Romeo Lacher hätte die Notbremse ziehen müssen. Es hat also eine gewisse Logik, wenn nicht Rickenbacher zurücktritt, sondern Lacher.