Wertlose Aktien als Sicherheiten
Das steckt in den Benko-Krediten über 606 Millionen Franken

Julius Bär gewährte Kredite in dreistelliger Millionenhöhe. Als Sicherheiten erhielt die Zürcher Privatbank Aktien, Pfandbriefe und einen Teil von Globus.
Publiziert: 03.12.2023 um 00:28 Uhr
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Aktualisiert: 03.12.2023 um 11:57 Uhr
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Wurde zum wichtigsten Kunden von Julius Bär: Der gescheiterte Immobilien-Financier René Benko.
Foto: Peter Rigaud/laif
*Beat Schmid

Julius Bär gab am Montag bekannt, dass sie einem «europäischen Konglomerat» einen Kredit von 606 Millionen Franken gewährt hatte. Wie der SonntagsBlick zuvor berichtete, umfasst das Gesamtengagement drei Kredite zu je 200 Millionen Franken. Weitere Recherchen haben nun ergeben, wie sich die drei Tranchen zusammensetzen. Sie bestehen im Wesentlichen aus einem Mix von Aktien der Signa-Gruppe sowie Hypotheken auf Signa-Immobilien in Deutschland. 

Die wackeligste Tranche: Die Bank Bär gewährte der Signa Holding von René Benko (46) einen Kredit über 200 Millionen Franken. Als Sicherheit erhielt die Bank Aktien der Tochtergesellschaft Signa Prime. Dieser Kredit ist besonders gefährdet, weil die Signa Holding zahlungsunfähig geworden ist und am Mittwoch in Wien Insolvenz angemeldet hat. Der Wert der Aktien dürfte somit gegen null gehen. Zwar kann die Bank am Ende des Insolvenzverfahrens auf eine Konkursdividende hoffen. Das kann aber Jahre dauern. Die Höhe der Entschädigung dürfte gering ausfallen, vermutlich deutlich unter 20 Prozent. 

Bei der zweiten Tranche über 200 Millionen handelt es sich um Finanzierungen für Gewerbeimmobilien der Signa-Gruppe in Deutschland. Um welche Immobilien es sich handelt, ist nicht bekannt. Auch nicht bekannt ist, wie hoch die Immobilien belastet sind. Teil des Geschäftsmodells von René Benko war es, Immobilien zu kaufen und deren Wert durch stark steigende Mieten in die Höhe zu treiben. 

Mieten verdoppelt

Besonders gut funktionierte dieses System bei Immobilien, die von Unternehmen vermietet wurden, die René Benko selbst kontrollierte. Ein Beispiel ist das Berliner Luxuskaufhaus KaDeWe. Die Mieten der Betreibergesellschaft sollen sich nach seinem Einstieg verdoppelt haben. Dieses System ging so lange gut, wie die Zinsen niedrig waren und die Preise für Gewerbeimmobilien stiegen. Doch der Wind hat längst gedreht. Ob Julius Bär die Hypotheken ohne Verluste loswird, ist fraglich.

Die dritte Tranche ist mit Aktien der sogenannten Luxusgruppe besichert. Dazu gehören Luxuskaufhäuser wie das KaDeWe, die Schweizer Globus- und die britische Selfridges-Gruppe. Da auch die thailändische Central Group mitbeteiligt ist, gelten die Aktien der Signa Premium als relativ sicher. Diese hat sich diese Woche zu den Kaufhäusern in Europa bekannt. Allerdings hat sie es im Moment nicht eilig, die Anteile der Signa-Gruppe abzukaufen. Je länger sie zuwartet, desto attraktiver wird der Preis für die thailändische Gruppe. 

Insidern zufolge könnte Julius Bär insgesamt bis zu 300 Millionen Franken auf den Benko-Krediten über total 606 Millionen Franken verlieren. Auch Bankanalyst Andreas Venditti von Vontobel geht von einem Abschreiber von 300 Millionen aus. Bisher hat die Bank lediglich 70 Millionen Franken für Ausfälle zurückgestellt. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Zürcher Privatbank bald weitere Rückstellungen bilden muss, ist sehr hoch. Ein Banksprecher lehnte am Samstag eine Stellungnahme ab. 

Börse reagiert überaus hart

Für die Privatbank gerät das Benko-Engagement zum Fiasko. Julius Bär hat sich in Geschäftsfelder vorgewagt, die nicht zur DNA einer Privatbank gehören und bekommt nun die Quittung dafür. Für Benko entwickelte die Bank strukturierte Kredite, die ein Know-how erfordern, das eher bei auf Firmenkunden spezialisierten Instituten zu finden ist. Die Börse reagierte ausgesprochen hart auf den Flop: In den letzten zwei Wochen verloren die Aktien der Bank Julius Bär über 20 Prozent an Wert. Am Freitag wurde die Bank mit 9,18 Milliarden bewertet. Vor der Krise waren es über elf Milliarden. Rund zwei Milliarden Franken haben sich in Luft aufgelöst. 

Verantwortlich für das Debakel ist die Führung der Bank: Verwaltungsratspräsident Romeo Lacher (63) und CEO Philipp Rickenbacher (51). Wie mehrere Quellen bestätigen, wurden die Kredite an Benko von höchster Stelle genehmigt. Der Kredit lief über den Risikoausschuss des Verwaltungsrats, in dem Lacher sitzt. Auch CEO Rickenbacher, der Risikochef und die Finanzchefin waren im Bild. Sie waren bereit, in das Risiko mit René Benko zu gehen und ihn zu ihrem wohl wichtigsten Kunden zu machen.

Oberste Chefs in der Pflicht

Wenn jemand die Verantwortung für das Scheitern übernehmen muss, sind es somit die obersten Chefs. Die Entlassung eines untergeordneten Mitarbeiters reicht in diesem Fall nicht aus, da die Kredite von höchster Stelle bewilligt wurden. Romeo Lacher und Philipp Rickenbacher sind in der Pflicht. Wer von beiden übernimmt die Verantwortung?

Noch sieht es so aus, als wolle die Bank die Krise aussitzen. Interviewanfragen des SonntagsBlicks werden freundlich abgelehnt. Ob das eine gute Strategie ist, um das angeschlagene Vertrauen der Kunden zurückzugewinnen? Man darf es bezweifeln. Aber Augen zu und durch ist typisch für ein Unternehmen, das keinen starken Aktionär im Hintergrund hat. Die Familie Bär hat sich längst zurückgezogen. Die grössten Aktionäre sind institutionelle Investoren. Diese legen auch bei den grössten Problemen gerne die Hände in den Schoss.

Jahrzehntelang hatte die Familie Bär das Sagen. Zwar ging Julius Bär bereits 1980 als erste Privatbank der Schweiz an die Börse, doch die Familie behielt über Stimmrechtsaktien die Kontrolle über die Gruppe. Dies änderte sich 2005 mit der Einführung des Prinzips «eine Aktie – eine Stimme». Der Anteil der Familie Bär fiel unter die Meldeschwelle von drei Prozent.

Seither hat die Bank keinen Ankeraktionär mehr, der im Krisenfall Verantwortung übernehmen könnte. Anonyme Vermögensverwaltungsgesellschaften haben das Ruder übernommen. Grösster Aktionär ist heute der US-Fondsmanager MFS Investment Management, gefolgt von UBS Fund Management, Blackrock und T. Rowe Price. Alle vier Aktionäre mussten in den letzten Tagen einen Buchverlust von über 350 Millionen Franken hinnehmen. Mit einem Aufmucken ist nicht zu rechnen. 

*Wirtschaftsjournalist Beat Schmid war in seiner Karriere für mehrere grosse Medienhäuser tätig. Er schreibt im SonntagsBlick über Finanzthemen. 

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