Die Schweiz rückt näher zusammen
Immer mehr Menschen müssen wegen Wohnungsnot in WGs leben

Die Anzahl Haushalte mit drei oder mehr Personen stieg im vergangenen Jahr stark an. Das Zusammenrücken ist nicht ganz freiwillig. Die Wohnungsknappheit hat das Nachfrageverhalten verändert.
Publiziert: 26.10.2023 um 17:01 Uhr
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Aktualisiert: 27.10.2023 um 15:17 Uhr
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Junge bleiben länger zu Hause oder ziehen in eine WG. Im Bild: Eine grosse WG-Küche in Kloten.
Foto: Philippe Rossier
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Dorothea VollenweiderRedaktorin Wirtschaft

Noch bis vor kurzem wollten Schweizerinnen und Schweizer vor allem eines: für sich sein. Die Anzahl Haushalte mit ein oder zwei Personen nimmt seit Jahren zu. Doch die Krise auf dem Wohnungsmarkt hat Spuren hinterlassen. Immer mehr Mieter können sich eine eigene Wohnung nicht mehr leisten.

Die Zahl der Kleinhaushalte stieg im letzten Jahr zwar erneut. Allerdings zeigt die Wachstumskurve seit 2021 steil nach unten – bei gleichzeitig starker Zunahme der Bevölkerung. Dafür hat die Zahl der Personen in neu gebildeten Haushalten, die drei oder mehr Personen umfassen, in dieser Zeit stetig zugenommen: 29'000 neue Grosshaushalte wurden 2022 gegründet. Das sind 7466 mehr als im Jahr davor.

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Wohnungsnachfrage im Wandel

Stellen diese Zahlen eine Trendwende dar? Der Immobilienberater Wüest Partner hat die Haushaltsdaten vom Bundesamt für Statistik im jährlichen Immo-Monitoring in Kontext gesetzt. «Bei näherer Betrachtung wird deutlich, dass sich die Haushaltsbildung und damit auch die Wohnungsnachfrage zu wandeln beginnen», sagt Robert Weinert (44), Leiter Research bei Wüest Partner.

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Alles deute darauf hin, dass die Schweizer Bevölkerung vermehrt gezwungen ist, statt allein mit anderen Menschen gemeinsam unter einem Dach zu wohnen. Kein Wunder – das Leben wird immer teurer. Neben den Mieten steigen die Krankenkassenprämien, die Kosten für Lebensmittel, für Strom und fürs Heizen. Das treffe insbesondere die jüngere Generation. Junge Erwachsene können sich seltener eine eigene Wohnung leisten. «Sie ziehen deshalb später aus dem Elternhaus aus oder gründen häufiger eine WG», sagt Weinert. In Städten wie Zürich, Lausanne, Winterthur, Luzern und Zug sei diese Entwicklung besonders ausgeprägt.

«Im Gegensatz dazu ist der wachsende Anteil der älteren Bevölkerung zunehmend der wichtigste Grund für die steigende Zahl der Kleinhaushalte», sagt der Immobilienexperte.

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«Die Wahl der Wohnform spiegeln nicht unbedingt die tatsächlichen Wünsche wider.»
Robert Weinert (44), Leiter Immo-Monitoring von Wüest Partner
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Individualisierung vs. Gemeinschaft

Die Schweiz rückt wieder näher zusammen. Aber nicht, weil sich die Gesellschaft von der Individualisierung abwendet und wieder stärker auf Gemeinschaftlichkeit setzt. «Die Zahlen machen viel mehr deutlich, dass die Wohnungsknappheit und die rückläufige Neubauaktivität das Nachfrageverhalten der Schweizer Haushalte massgeblich beeinflussen.»

«Die Wahl der Wohnform spiegeln nicht unbedingt die tatsächlichen Wünsche wider», sagt Weinert. Die Mieterinnen und Mieter haben viel mehr aus der Not eine Tugend gemacht. Der akute Wohnungsmangel in Kombination mit den steigenden Mieten zwingt sie dazu, statt allein mit anderen Menschen zusammenzuwohnen. Die Trends der Jahre 2017 bis 2020 belegen aber, dass ihr eigentlicher Wohntraum ein anderer wäre. Damals, als die Mieten sanken und das Angebot vielfältiger war, wohnte ein beträchtlicher Teil der Schweizer in kleineren Haushalten.

Nun hat die Knappheit Menschen dazu veranlasst, ihren Wohnraum zu reduzieren. Aus ökologischer Sicht sind das gute Neuigkeiten. Grosse Haushalte haben einen kleineren CO₂-Ausstoss. Auch aus wirtschaftlicher Sicht ist die Entwicklung erfreulich. Denn der beschränkte Wohnraum wird effizienter genutzt. «Welche Auswirkungen das letztendlich auf die Gesellschaft hat, wird sich erst zeigen», sagt Weinert.

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So stark steigen die Mieten

Eine Wahl haben Mieterinnen und Mieter im Moment sowieso nicht. Der Markt ist ausgetrocknet. Die Zahl der inserierten Mietwohnungen ist im zweiten Quartal 2023 weiter zurückgegangen. Gleichzeitig geht die Neubautätigkeit zurück. Die Bewilligungen liegen im zweiten Quartal 2023 weiterhin unter dem Durchschnitt der vorangegangenen zehn Jahre. Und die Nachfrage bleibt gross. Die ständige Wohnbevölkerung dürfte 2023 um rund 1,6 Prozent wachsen.

Dadurch steigen die Mieten für die wenigen verfügbaren Objekte stark an. In ihrem eigenen Index für Angebotsmieten hat Wüest Partner die Mietpreisentwicklung einer typischen, inserierten Wohnung ohne Nebenkosten ausgerechnet. Die Standard-Wohnung ist 85 Quadratmeter gross, hat 3,5 Zimmer, befindet sich an einer leicht überdurchschnittlichen Lage, ist 35 Jahre alt und kostet 1620 Franken. Der Index zeigt, dass die Miete einer solchen Wohnung im zweiten Quartal 2023 im Vergleich zum Vorjahr bereits um 3,5 Prozent gestiegen ist. Im 2024 dürften es weitere 4,8 Prozent sein.

All das sind Indikatoren dafür, dass die Haushaltsgrössen in nächster Zukunft weiter zunehmen werden. Die Aussicht auf eine eigene Wohnung rückt damit für viele Schweizerinnen und Schweizer in weite Ferne.

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