Moderner Umweltschutz ist nicht selten eine Art Ablasshandel. Weil Unternehmen oder auch Einzelpersonen ihren CO₂-Ausstoss nicht signifikant reduzieren können oder wollen, erwerben sie CO₂-Zertifikate. Mit diesen werden Projekte finanziert, die die Emissionen an anderer Stelle verringern. In der Regel entspricht ein Zertifikat einer Tonne CO₂ oder anderen Treibhausgasen wie Ozon oder Methan.
Die Erwartung ist, dass sich hierbei der CO₂-Ausstoss und die ökologischen Verbesserungsmassnahmen in etwa die Waage halten, also eine «Netto Null» erreicht wird.
Klimaprojekte mit wenig Nutzen
Die Realität sieht aber ganz anders aus. Laut einer neuen Studie, die am 24. August in der Zeitschrift «Science» veröffentlicht wurde, werden die Auswirkungen von Klimaschutzprojekten deutlich überschätzt. Das ergab eine systematische Bewertung von 26 Klimaschutzprojekten in sechs Ländern auf drei Kontinenten. Diese sollten die Waldrodung verlangsamen und dank Aufforstung positiv zur Klimabilanz beitragen. Die Studie ergab jedoch, dass die überwiegende Mehrheit der Projekte die Waldrodung nicht verlangsamt und die Projekte deutlich weniger wirksam waren als behauptet.
Das Resultat ist vernichtend: Nur 8 der 26 Klimaschutzprojekte – untersucht wurde in Kambodscha, Kolumbien, der Demokratischen Republik Kongo, Peru, Tansania und Sambia – verringerten nachweislich die Entwaldung. Selbst diese blieben aber unter den selber vorgegebenen Zielen. Bei acht Projekten waren die Informationen zu den Zielen mangelhaft. Bei den anderen 18 wurde erwartet, dass bis 2020 bis zu 89 Millionen Emissionsausgleiche erzeugt würden. Die Studie schätzt jedoch, dass nur 5,4 Millionen Emissionsausgleiche mit einer tatsächlichen Verringerung der Kohlenstoffemissionen verbunden sind. Läppische 6,1 Prozent des Ziels!
Allein auf CO₂-Zertifikate setzen bringt zu wenig
Laut «Science» bestätigen die Studienergebnisse gängige Annahmen, die den ökologischen Nutzen des CO₂-Zertifikatsgeschäfts infrage stellen. Anders formuliert: Wer sich allein auf CO₂-Zertifikate verlässt, tut der Umwelt keinen Gefallen.
Co-Studienautor Thales West von der Vrije Universiteit in Amsterdam erklärt: «Wer sich zu 100 Prozent auf Kompensationen verlässt, wird wahrscheinlich nichts Positives zur Eindämmung des Klimawandels beitragen.»
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Ins gleiche Horn stösst Silas Hobi (38), Geschäftsleiter beim Verein Umverkehr und studierter Umweltnaturwissenschaftler: «Stossend am System mit den Zertifikaten ist der falsche Anreiz: Viele meinen, dank der Kompensation müsse keine Änderung des eigenen Verbrauchs-Verhaltens einhergehen.» Deshalb habe Umverkehr den Emissionshandel, wie er beispielsweise im Luftfahrt-eigenen System Corsia (Carbon Offsetting and Reduction Scheme for International Aviation) betrieben wird, schon seit Anbeginn kritisiert. Hobi kritisiert auch die Billigfluggesellschaft Easyjet, die sich gerne als umweltfreundliche Fluggesellschaft inszeniert, bloss weil sie günstige Zertifikate einkaufe. Easyjet hält dem entgegen, dass der Schwerpunkt der Nachhaltigkeitsinvestitionen nicht auf dem Ausgleich von Emissionen liege.
Interessant in diesem Zusammenhang sei laut Hobi, dass beim heutigen Austausch auf Bundesebene über die Zukunft des Fliegens in der Schweiz «offensichtlich nicht die Reduktion des Flugverkehrs auf ein klimaverträgliches Niveau diskutiert wurde».