Als 2020 die Pandemie ausbrach, begann für Roland Zulauf (61) und seine Frau Gudrun (68) eine schwere Zeit. Sie wurde damals gerade pensioniert und er konnte seinen Job als Inhaber einer kleinen Caravan-Firma nicht mehr ausüben. Die Corona-Massnahmen machten Kundenkontakt fast unmöglich.
«Wir hatten Angst, dass es finanziell irgendwann nicht mehr geht», sagt Zulauf heute zu Blick. Damals lebte das Ehepaar in einer Eigentumswohnung in Nürensdorf ZH. Nicht nur der Finanzierungsaufwand für das traute Heim machte Zulauf zu schaffen. Ganz allgemein die Lebenshaltungskosten in der Schweiz, wie etwa die hohen Krankenkassenprämien, bereiteten Sorgen.
Das Eigenheim wird zur Belastung
Also fasste das Ehepaar einen Entschluss: «Wir entschieden uns damals, unsere Eigentumswohnung in der Schweiz zu verkaufen und uns damit einen Neuanfang in Deutschland zu finanzieren», sagt Zulauf. Das Ehepaar hatte bereits ein 3000 Quadratmeter grosses Grundstück im Landkreis Barnim in Brandenburg D gesichert.
«Der Wert unserer Eigentumswohnung in Nürensdorf hat sich in den zehn Jahren, in der sie uns gehörte, fast verdoppelt», sagt Zulauf. Mit dem Verkaufserlös konnte sich das Ehepaar auf ihrem Grundstück ein schönes, frei stehendes Einfamilienhaus bauen lassen – ohne dafür eine Hypothek aufnehmen zu müssen. Darüber hinaus konnten sich die Senioren noch etwas auf die Seite legen.
Raus aus der teuren Schweiz
Das Auswandern nach Deutschland befreite das Ehepaar Zulauf von ihren finanziellen Sorgen, die ihr Leben in der Schweiz belasteten. Die Schweizer dürften mit ihrer Geschichte nicht alleine sein. Dass Eidgenossen zunehmend aus Kostengründen vermehrt ihr Land verlassen, ist allerdings schwer mit Zahlen zu belegen. Die Gründe fürs Auswandern werden nirgends offiziell erfasst. Dass die Inflation und die steigenden Zinsen Senioren und Rentnerinnen besonders zu schaffen machen, liegt jedoch nahe. Nach der Pensionierung sinkt das Einkommen meist beträchtlich.
Laut dem Bundesamt für Statistik BFS lebten Ende 2022 98'100 Schweizerinnen und Schweizer in Deutschland. Es ist das Land mit der zweitgrössten Auslandschweizer-Bevölkerung. Nur in Frankreich leben noch mehr Schweizer. Die vom BFS veröffentlichte Auslandschweizerstatistik zeigt zudem, dass die Anzahl Schweizer Auswanderer die letzten Jahre stetig stieg. Ende 2022 waren es 1,5 Prozent mehr als Ende 2021. In diesen Zahlen werden allerdings auch Geburten und Einbürgerungen mitgezählt. Dorothea Vollenweider
Laut dem Bundesamt für Statistik BFS lebten Ende 2022 98'100 Schweizerinnen und Schweizer in Deutschland. Es ist das Land mit der zweitgrössten Auslandschweizer-Bevölkerung. Nur in Frankreich leben noch mehr Schweizer. Die vom BFS veröffentlichte Auslandschweizerstatistik zeigt zudem, dass die Anzahl Schweizer Auswanderer die letzten Jahre stetig stieg. Ende 2022 waren es 1,5 Prozent mehr als Ende 2021. In diesen Zahlen werden allerdings auch Geburten und Einbürgerungen mitgezählt. Dorothea Vollenweider
Blick hat bei der Auslandschweizer-Organisation Swiss Community nachgefragt. Die Organisation erfasst die Beweggründe zwar ebenfalls nicht systematisch. Doch deren Sprecherin Smilla Schär sagt: «In unserer Beratungsarbeit erhalten wir regelmässig Anfragen von Leuten, die aus finanziellen Gründen auswandern wollen oder bereits ausgewandert sind.» Die meisten dieser Anfragen stammen laut Schär von Rentnern.
Wenn das Geld nicht mehr reicht
«Bei der Gruppe der über 65-Jährigen spielen finanzielle Gründe eine wichtige Rolle für die Entscheidung, auszuwandern», weiss Schär. Diese Altersgruppe wuchs in der Statistik in den letzten Jahren jeweils stärker an als die anderen Altersgruppen. «Das legt nahe, dass finanzielle Beweggründe hier durchaus eine Rolle spielen», so die Expertin.
Wohneigentum zu kaufen, ist in Deutschland deutlich günstiger als in der Schweiz. «Die finanziellen Vorteile liegen auf der Hand», sagt der Marktforscher Stephan Kippes (60) vom Deutschen Immobilienverband IVD Süd. Roland Zulauf konnte sein Haus vor knapp drei Jahren für 200'000 Franken bauen lassen. Inzwischen sind die Preise zwar gestiegen. Vor allem, weil die Kosten für Baumaterialien deutlich höher sind. Die Immobilienpreise liegen jedoch immer noch weit unter dem Schweizer Preisniveau.
Hypo-Zinsen steigen auch in Deutschland
Die Hypothekarzinsen sind in Deutschland letztes Jahr sogar etwas stärker angestiegen als in der Schweiz. Sie liegen bei 3,5 bis 4 Prozent. Für viele Deutsche ist ein Eigenheim deshalb kaum noch finanzierbar. «Makler haben in Deutschland im aktuellen Marktumfeld zum Teil Mühe, Käufer zu finden», sagt Kippes. «Da sind Schweizer Kaufinteressenten willkommen.»
«Immobilien in Deutschland sind für Schweizer Käufer nach wie vor interessant», sagt auch Thomas Frigo (51), Managing Partner bei Engel & Völkers Wohnen Schweiz. Auch er stellt fest, dass viele Schweizer ihren Lebensabend im Ausland verbringen. Das sei jedoch nicht ausschliesslich auf die hohen Immobilienpreise im Land zurückzuführen. «Dennoch gibt es sicher auch Schweizer, welche die Finanzierung ihres Eigenheims nicht mehr tragen können oder wollen», sagt Frigo.
Für Zulauf sind die gestiegenen Hypothekarzinsen nicht weiter schlimm. Er musste für den Bau des Eigenheims in Deutschland keine Hypothek aufnehmen. Der Wohnwagenverkäufer hat sich in der neuen Heimat inzwischen ein neues Geschäft aufgebaut. «Wir haben den Entscheid auszuwandern, nie bereut und leben gerne hier», sagt Zulauf. Warum er seine Geschichte im Blick öffentlich macht? Zulauf: «Ich möchte darüber sprechen, weil ich sicher bin, dass vielen Senioren in der Schweiz gerade ähnliche finanzielle Sorgen haben.»