«Was auf dem Markt ist, liegt nicht in unserem Budget»
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Verzweifelte Wohnungssuche:«Was auf dem Markt ist, liegt nicht in unserem Budget»

Zweitwohnungen verdrängen Einheimische
«Für Touristen hat es genug Platz, aber für uns nicht»

Familie Weber hat Angst, ihre Wohnung in Parpan GR zu verlieren. Das Haus wird verkauft. Etwas Neues fanden sie bisher nicht. Das Problem: Durch die Umwandlung von Erst- in Zweitwohnungen verlieren Einheimische ihr Zuhause.
Publiziert: 31.03.2023 um 00:40 Uhr
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Aktualisiert: 31.03.2023 um 15:02 Uhr
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Seit zwölf Jahren lebt Tanja Weber (37) zusammen mit ihrem Mann Markus (40) und den drei Kindern in Parpan.
Foto: Thomas Meier
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Dorothea VollenweiderRedaktorin Wirtschaft

Familie Weber ist verzweifelt. Seit Anfang Jahr suchen sie eine neue Wohnung in Parpan GR. Denn die Familie weiss: Lange können Sie in ihrem jetzigen Heim nicht mehr bleiben. Das Haus, in dem sie wohnen, wird verkauft. Mit grosser Wahrscheinlichkeit entstehen hier bald neue Ferienwohnungen. «Wir finden nichts Neues», sagt Tanja Weber (37).

Seit zwölf Jahren lebt Tanja zusammen mit ihrem Mann Markus Weber (40) und den drei Kindern in Parpan. Das 260-Seelen-Dorf nahe der Lenzerheide ist mit seinen Skipisten und Langlaufloipen eine beliebte Tourismusdestination. Für Webers jedoch ist es mehr als das. Es ist ihr Zuhause. Die Kinder gehen hier zur Schule. Sie sind im Skiclub, der Vater arbeitet bei der Gemeinde und ist bei der Feuerwehr. Die Mutter arbeitet bei der Kinderspitex. «Wir sind hier verwurzelt und wollen nicht weg», sagt sie.

Kein Leben in der Stadt

Zwei der drei Kinder sind zudem krank. Das eine hat ein Lungenleiden, das andere kämpft mit starken Allergien. «Beiden tut die Höhe gut», sagt Tanja Weber. Ein Leben in einer Stadt wie Chur können sie sich nur schon deshalb schwer vorstellen.

Doch das Haus, in dem sie wohnen, wurde letztes Jahr zum Verkauf ausgeschrieben. Es fanden mehrere Besichtigungen statt. Der Immobilienmakler machte der Familie nicht viel Hoffnung. «Er meinte, wir müssten damit rechnen, dass wir hier nicht mehr lange wohnen können», sagt Weber. Und die Kaufinteressenten, die zur Besichtigung kamen, hätten meist dieselbe Absicht geäussert: Sie wollen hier Ferienwohnungen oder Eigenheime bauen.

Mietwohnungen sind Mangelware

Inzwischen ist die Immobilie wieder vom Markt verschwunden. Ist das Haus verkauft? «Der Vermieter gibt uns keine genauen Informationen», sagt Weber. Auf Anfrage beim Grundbuchamt erfährt Blick, dass bisher noch keine Handänderung stattgefunden hat. Das heisst: Das Haus gehört nach wie vor dem jetzigen Besitzer. Dieser war für Blick bis Redaktionsschluss nicht erreichbar.

Für die Familie wiederholt sich damit ihr schlimmster Alptraum schon zum zweiten Mal. Denn bereits im November 2015 musste sie eine neue Wohnung suchen und im Sommer 2016 ausziehen. Schon damals mussten sie raus, weil ihr Zuhause Ferienwohnungen wich.

Schlupfloch im Gesetz

In Parpan fehlt es an bezahlbarem Wohnraum für Einheimische. Ausgeschrieben sind fast ausschliesslich Ferienwohnungen: 4,5 Zimmer für 2,2 Millionen Franken. Etwas zur Miete gibt es kaum. Ein Problem, das viele Schweizer Berggemeinden haben. Zwar mangelt es nicht an Wohnblöcken. Doch die sind gefüllt mit Ferienwohnungen. Das Licht brennt dort nur an Weihnachten und in den Sportferien. Gleichzeitig finden einheimische Familien und für die Region wichtige Arbeitskräfte keinen Wohnraum mehr.

Grund dafür ist ein rechtliches Schlupfloch. Denn eigentlich dürfen Gemeinden mit einem Zweitwohnungsanteil von 20 Prozent oder mehr keine neuen Ferienwohnungen mehr bauen. Der Haken: Die Umwandlung von Erstwohnungen in Zweitwohnungen ist weiterhin möglich.

Touristen verdrängen Einheimische

Seit Inkrafttreten der Zweitwohnungsinitiative gilt: In Gemeinden mit einem Anteil an Ferienwohnungen von 20 Prozent oder mehr dürfen keine neuen Zweitwohnungen mehr gebaut werden. Das Gesetz soll die Anzahl kalter Betten in Tourismusorten beschränken. Bloss: Die Umnutzung von Erstwohnungen zu Zweitwohnungen wird durch das Gesetz nicht beschränkt.

«Das Ausmass solcher Umwandlungen darf nicht unterschätzt werden», sagt Norbert Hörburger (50), Professor an der Fachhochschule Graubünden FHGR. Das Institut für Tourismus und Freizeit der FHGR hat die Umnutzungen von Erst- zu Zweitwohnungen in Bündner Gemeinden untersucht.

Das Resultat: In der untersuchten Gemeinde Flims etwa werden jährlich im Schnitt 22 Erstwohnungen zu Zweitwohnungen umgewandelt. Und das, obwohl der Zweitwohnungsanteil in der Gemeinde bereits bei 70 Prozent liegt.

«Die Problematik betrifft grundsätzlich alle touristischen Berggemeinden», sagt Hörburger. Solche Umwandlungen summieren sich über die Jahre und entziehen dem Wohnungsmarkt Erstwohnraum. «Dadurch kann sich die Wohnungsnot in den betroffenen Gemeinden drastisch zuspitzen», sagt Hörburger.

Sind die Leerstandsquoten in Schweizer Tourismusorten derart tief wie jetzt, haben Einheimische oder auch Saisonarbeitskräfte kaum noch Auswahl bei der Wohnungssuche. «Und wir reden dabei noch nicht über bezahlbaren Wohnraum», so Hörburger. Für Geringverdiener ist die Situation existenzbedrohend. (dvo)

Seit Inkrafttreten der Zweitwohnungsinitiative gilt: In Gemeinden mit einem Anteil an Ferienwohnungen von 20 Prozent oder mehr dürfen keine neuen Zweitwohnungen mehr gebaut werden. Das Gesetz soll die Anzahl kalter Betten in Tourismusorten beschränken. Bloss: Die Umnutzung von Erstwohnungen zu Zweitwohnungen wird durch das Gesetz nicht beschränkt.

«Das Ausmass solcher Umwandlungen darf nicht unterschätzt werden», sagt Norbert Hörburger (50), Professor an der Fachhochschule Graubünden FHGR. Das Institut für Tourismus und Freizeit der FHGR hat die Umnutzungen von Erst- zu Zweitwohnungen in Bündner Gemeinden untersucht.

Das Resultat: In der untersuchten Gemeinde Flims etwa werden jährlich im Schnitt 22 Erstwohnungen zu Zweitwohnungen umgewandelt. Und das, obwohl der Zweitwohnungsanteil in der Gemeinde bereits bei 70 Prozent liegt.

«Die Problematik betrifft grundsätzlich alle touristischen Berggemeinden», sagt Hörburger. Solche Umwandlungen summieren sich über die Jahre und entziehen dem Wohnungsmarkt Erstwohnraum. «Dadurch kann sich die Wohnungsnot in den betroffenen Gemeinden drastisch zuspitzen», sagt Hörburger.

Sind die Leerstandsquoten in Schweizer Tourismusorten derart tief wie jetzt, haben Einheimische oder auch Saisonarbeitskräfte kaum noch Auswahl bei der Wohnungssuche. «Und wir reden dabei noch nicht über bezahlbaren Wohnraum», so Hörburger. Für Geringverdiener ist die Situation existenzbedrohend. (dvo)

Die Gemeinde Churwalden GR, zu der Parpan gehört, hat laut dem Bundesamt für Raumplanungsentwicklung einen Anteil an Zweitwohnungen von 62,7 Prozent. Das heisst: In der Gemeinde dürfen eigentlich keine neuen Zweitwohnungen entstehen – wäre da nicht dieses Schlupfloch.

Umnutzungen verschärfen das Problem

Das hat Folgen: Die Leerwohnungsziffer sank in Churwalden in den letzten fünf Jahren von 2,29 auf 0,74 Prozent. Konkret heisst das: In Churwalden standen 2022 gerade mal 19 Wohnungen leer. Inzwischen dürften es noch weniger sein.

Die Gemeindepräsidentin von Churwalden, Karin Niederberger-Schwitter (53), ist sich der Problematik bewusst: «Es stimmt, dass der Druck auf die Umnutzung von Erstwohnung steigt, je touristischer ein Ort ist», sagt sie zu Blick. Das sei eine logische Folge der Zweitwohnungsinitiative und entspreche dem Prinzip von Angebot und Nachfrage.

Familie fühlt sich im Stich gelassen

Laut Niederberger-Schwitter hat die Gemeinde Churwalden den Handlungsbedarf jedoch schon früh erkannt und bereits vor rund zehn Jahren Massnahmen ergriffen. «So wurde anlässlich der Ortsplanungsrevision Regelungen zur Baulandverfügbarkeit eingeführt», sagt sie. Dadurch könne der Baulandhortung entgegengewirkt und Erstwohnraum geschaffen werden. «So wurden in den vergangenen drei Jahren 54 Erstwohnungen realisiert», sagt die Gemeindepräsidentin. In dieser Zeit hat die Zahl der Einwohnerinnen in der Gemeinde Churwalden allerdings auch um über 100 Personen zugenommen.

Zusätzliche Massnahmen sind laut der Gemeindepräsidentin aktuell nicht geplant. Für die Familie Weber ein Hohn. «Wir fühlen uns im Stich gelassen», sagt Tanja Weber. «Für Touristen hat es genug Platz, aber für uns nicht.»

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