Das Ende der Credit Suisse
Ein Schweizer Requiem

Mit der Credit Suisse hat das Land seine älteste Grossbank zu Grabe getragen. Doch die Auferstehung der neuen UBS als Mega-Institut lässt auf sich warten.
Publiziert: 09.04.2023 um 10:46 Uhr
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Aktualisiert: 09.04.2023 um 11:14 Uhr
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Das CS-Requiem fand im Zürcher Hallenstadion statt.
Foto: STEFAN BOHRER
Raphael Rauch

Am 4. April 1991 starb Max Frisch, der letzte Schweizer Literat von Weltrang. Ein Theaterstück, dem er sich besonders verbunden fühlte, heisst «Graf Öderland». Es handelt von der Mordtat eines Kassierers, für die der Mitarbeiter der «Bank-Union» kein plausibles Motiv hat. Frisch geht es darin um Moral, Freiheit und Macht, um Fragen, die auch heute aktuell sind.

An Frischs 32. Todestag, dem 4. April 2023, trug die Schweiz die Credit Suisse zu Grabe. Starb die CS wegen Boni-geiler Banker? War es Tötung auf Verlangen des Auslands? Oder ein Medizinskandal mit falscher Diagnose und falscher Therapie? Die genaue Todesursache muss von der Politik erst noch aufgearbeitet werden.

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Krisen wecken schlummernde religiöse Gefühle. Am Josephstag, dem 19. März, gab der Bundesrat das Ende der CS bekannt. Seitdem regiert eine Schweizer Dreifaltigkeit aus Finanzministerin Karin Keller-Sutter (59), Nationalbank-Präsident Thomas Jordan (60) und Finma-Präsidentin Marlene Amstad (54).

Jesus an der Generalversammlung

In der Karwoche schliesslich das CS-Requiem: Bei der Generalversammlung im Zürcher Hallenstadion ergreift ein Politiker der religiösen Rechten das Wort. «Das Kreuz erinnert uns an das Leben, Leiden und Sterben von Jesus Christus», sagt EDU-Mann Daniel Engler (48) aus Sevelen SG. Die CS-Verantwortlichen sollten ans Kreuz geschlagen werden: «Vielleicht werden sie dann irgendwann für sich die Frage beantworten können: Wie viel ist genug?»

Bei Abdankungen stellen sich die Fragen: Wer ist alles da, wer fehlt? Fällt der Nachruf angemessen aus? Kommt er von Herzen, ist aber nicht zu ehrlich?

Buhmann des Requiems ist Urs Rohner (63), der zehn Jahre lang VR-Präsident der Credit Suisse war. Der SVP-Politiker Hugo Bühler (64) aus Hochdorf LU findet, der Verwaltungsrat habe aus Rohner und «elf Ministrantinnen und Ministranten bestanden».

Bühler stellt sich am Aktionärspult als «Noch-Mitarbeiter der CS» vor. 43 Jahre lang habe er für Credit Suisse gearbeitet. Explizit kritisiert er Iris Bohnet (57). Die Schweizer Professorin in Harvard ist das dienstälteste Mitglied im alten und neuen CS-Verwaltungsrat. Der SVP-Mann sagt in ihre Richtung: «Übernehme Verantwortung für das, was du tust oder unterlässt.»

Am Tag nach dem Requiem sagt Hugo Bühler, viele Kolleginnen und Kolleginnen seien von seinem Auftritt begeistert gewesen. Sie hätten ihm für seinen Mut gedankt.

Iris Bohnet kassierte im letzten Jahrzehnt Millionen im einstelligen Bereich. Gegenüber SonntagsBlick wollte sie die Kritik des CS-Mitarbeiters nicht kommentieren.

Historisch gesehen ist die Credit Suisse am Zürcher Paradeplatz eine reformiert geprägte Bank. Doch ihre Totenmesse trug katholische Züge: Vor allem Männer hielten Trauerreden.

Miserable Klimapolitik

Eine der wenigen Frauen, die das Wort ergreifen, ist die britische Aktivistin Kelly Shields (30). Sie spricht im Namen von Share Action, einer Organisation, die für nachhaltige Finanzen wirbt. Share Action wirft CS und UBS vor, die schlechteste Klimapolitik im europäischen Bankensektor zu betreiben.

Zu Abdankungen erscheinen bisweilen Menschen, die Fremdschäm-Momente auslösen. Etwa die CS-Aktionärin, die sich im Gespräch mit SonntagsBlick als UBS-Mitarbeiterin outet. Sie schimpft über die Gier zweier Ex-CEOs: «Dougan und der Afrikaner.» Sie meint damit den US-Amerikaner Brady Dougan (63), der von 2007 bis 2015 Chef der CS war. Und den ivorisch-französischen Ex-CEO Tidjane Thiam (60), der von 2015 bis 2020 am Drücker war.

Ein Mann fragt im Hallenstadion nach der Rolle der USA und von George Soros. Der New Yorker Investor muss immer wieder als Sündenbock herhalten. Egal ob in Ungarn, wo der Holocaust-Überlebende geboren wurde, oder eben in Zürich.

Ein Nachruf ist immer auch ein Kampf um Deutungshoheit. Manchmal beginnt schon im Requiem die Geschichtsklitterung. Verwaltungsratspräsident Axel Lehmann (64) sagt, am Ende habe es «nur noch die Option Deal oder Konkurs» gegeben. Eine dritte Variante, die Verstaatlichung, erwähnt er nicht.

Glauben

Axel Lehmanns Rede enthält religiös gefärbtes Vokabular. Er spricht vom Glauben an einen erfolgreichen Turnaround. Stattdessen herrsche nun «Trauer über das Ende einer Bank». Ein Schuldbekenntnis enthält seine Ansprache ebenfalls. Zwar kein «Mea culpa», aber doch eine Bitte um Entschuldigung für zwei Punkte: «dass wir den über Jahre hinweg angestauten Vertrauensverlust nicht mehr aufhalten konnten». Und: «dass wir Sie alle enttäuscht haben».

Schuldeingeständnisse von Top-Bankern werden durch Juristinnen und Juristen abgesegnet. Denn bei Schadenersatzklagen ziehen die Gegner sämtliche Sündenregister. Später sagt eine Seniorin beim Apéro, der sympathische Herr Lehmann könne doch nichts dafür. Das Problem seien die Vorgänger gewesen.

Schon einen Tag nach dem CS-Requiem übt die UBS-Generalversammlung in Basel die Auferstehung. Der feuerrote Blumenschmuck auf dem Podium der St. Jakobshalle erinnert an ein modernes Osterfeuer. Der VR-Präsident der UBS, Colm Kelleher (65), faltet mehrmals deutlich sichtbar die Hände.

Hoffen

Tod, Auferstehung – geht das auch bei Banken? Der katholische Theologe und Unternehmensberater Tobias Heisig (55) äussert sich gegenüber SonntagsBlick skeptisch: Ostern bedeute, sich auf eine «totale Veränderung» einzulassen. «Das Neue ist ganz anders, als wir geglaubt haben.»

Zwinglis Nachfolger, der reformierte Grossmünsterpfarrer Christoph Sigrist (60), pflichtet Heisig bei: «Das Dogma der Credit Suisse als sicherer Wert ist zerbrochen. Wir brauchen einen radikalen Neuanfang.»

Der scheidende UBS-Chef Ralph Hamers (57) betont den Wandel, den er eingeleitet habe. Er sieht sich nicht als Klimasünder, sondern inszeniert sich als Klimaretter. «Denken Sie an die Gletscher, die immer schneller schmelzen», ruft er den Aktionärinnen und Aktionären zu.

Der neue Prophet der UBS indes lässt auf sich warten. Was Sergio Ermotti mit der CS vorhat, ist am Ostermorgen unklar. Ob er das Zeug zu einem Schweizer Messias hat, muss er erst noch beweisen.

In jedem Fall gibts genügend Stoff für Max Frischs Jüngerinnen und Jünger. Inspiration könnte der Wein liefern, der beim CS-Requiem floss: «Mythos».

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