Die Credit Suisse kommt nicht zur Ruhe, obwohl die Spitze um Präsident Axel Lehmann (63) und Konzernchef Ulrich Körner (59) alles versucht, um Aktionäre, Angestellte und Kunden zu beruhigen. Die Durchhalteparolen werden immer dringlicher, Panik keimt auf, Geduld wird eingefordert. Zum Beispiel in einem internen Memo, das am Wochenende den Weg in die Öffentlichkeit fand. Von einem «ehrgeizigen Zeitplan» ist dort die Rede. Man komme bei der «umfassenden strategischen Überprüfung» des Geschäftsmodells der Bank «gut voran», wie es zusätzlich in einer Medienmitteilung der CS vom Montag heisst.
Das Problem: Zeit hat die CS-Spitze keine mehr. Erst am 27. Oktober will die Bank erklären, wie ihre Zukunft aussehen soll. Dann könnte es vielleicht schon zu spät sein. Den Faktor Zeit hat die CS-Spitze bereits einmal unterschätzt. Das Gerede vom «Übergangsjahr» hat im Juli Thomas Gottstein (58) den Job als Konzernchef gekostet. Das Jahr 2022 kann nicht mehr ein Jahr des Übergangs sein, es muss das Jahr der Rettung der Credit Suisse sein.
Kann die Taktik der CS-Spitze aufgehen?
Die Beruhigungspillen und Durchhalteparolen haben die Märkte vorerst etwas beruhigt – allerdings nur kurz. Vom Allzeittief bei 4.04 Franken erholte sich die CS-Aktie am Montag vorübergehend, schloss aber einmal mehr im Minus. Da waren wohl tagsüber einige Schnäppchenjäger am Werk. Solange die CS-Spitze keine überzeugende neue Strategie vorlegt, bleibt viel Raum für Gerüchte und Spekulationen.
Wie könnte die neue Strategie aussehen?
Klar ist nur, dass die Investmentbank der CS runtergefahren werden muss. Wird sie ganz oder teilweise zerschlagen? Kommt es zur Wiederbenennung der Investmentbank First Boston? Mit deren Kauf ist die Bank Ende des letzten Jahrhunderts im grossen Stil in den USA eingestiegen. Jetzt könnte in diesem Geschäftsbereich gar ein Rückzug aus dem US-Markt bevorstehen. Auch das Asset Management mit Dienstleistungen für institutionelle Anleger steht zur Disposition. Die neue CS dürfte auf zwei Pfeilern stehen – globale Vermögensverwaltung und starke Schweizer Bank. Also eine Art UBS light.
Warum rauscht der Börsenkurs in den Keller?
Seit Anfang Jahr hat sich der Kurs der CS-Aktie mehr als halbiert, weil für die Anleger nicht zu erkennen ist, mit welchem Geschäftsmodell die Bank in Zukunft wirtschaften möchte. Den jüngsten Absturz haben Gerüchte über eine milliardenschwere Kapitalerhöhung ausgelöst. Denn damit würde der Wert der Aktie verwässert, die bisherigen Anleger noch mehr Geld mit dem Titel verlieren. Allerdings: Für den Ab- und Umbau braucht die CS dringend Geld, also dürfte es ohne zusätzliches Kapital kaum gehen.
Was ist die CS überhaupt noch wert?
Nicht mehr viel. Im Moment ist die Grossbank an der Börse noch knapp elf Milliarden Franken wert. Deutlich weniger als ihr Buchwert, der bei rund 45 Milliarden Franken liegt. Das heisst, die Börse bewertet die gesamte Bank deutlich tiefer als die Summe der einzelnen Teile. Mit dieser Marktkapitalisierung ist die CS nur wenig mehr wert als die Privatbank Julius Bär. Das Finanzportal Tippinpoint.ch schätzt den Wert der grössten Kantonalbank, der Zürcher Kantonalbank, auf rund 20 Milliarden Franken – deutlich höher als jener der CS.
Warum gibt es keine Kaufinteressenten?
Weil sich niemand die Finger daran verbrennen möchte. Wer die CS kauft, handelt sich einen grossen Berg an Problemen ein. Die Neuausrichtung der Bank kostet zunächst viel Geld, bevor vielleicht später wieder Gewinne fliessen. Die europäischen Banken sind mit eigenen Problemen beschäftigt; die US-Banken hätten zwar das nötige «Kleingeld», haben aber mehr davon, wenn sich die CS aus dem US-Markt zurückzieht.
Wer muss sich wirklich Sorgen machen?
Vor allem Aktionäre und Angestellte haben wirklich Grund zur Sorge. Denn niemand weiss, wo der tiefe Fall der einst so stolzen Aktie endet. Erst bei null ist wirklich Schluss. Die Neuausrichtung der Bank wird nicht ohne grossen Stellenabbau über die Bühne gehen. Von 3000 bis 5000 Stellen ist die Rede, also etwa ein Zehntel der Belegschaft. Einzig die Kunden der Schweizer Bank dürfen relativ gelassen in die Zukunft blicken, denn das Schweizer Geschäft steht solide da.