«Im Sommer haben sich 2 Mio Menschen infiziert»
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Corona-Expertin Tanja Stadler:«Im Sommer haben sich 2 Mio Menschen infiziert»

Booster, Zertifikate, Masken, Spitalbelastung
Nächste Corona-Welle – so sind wir gerüstet

Fast die gesamte Bevölkerung ist schon mit dem Coronavirus in Kontakt gekommen – entweder durch die Impfung oder eine Infektion. Auch wenn die Sommerwelle abflacht, steht die nächste Welle bereits bevor. Blick erklärt, wo die Schweiz bei Corona derzeit steht.
Publiziert: 28.08.2022 um 17:16 Uhr
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Aktualisiert: 29.08.2022 um 14:05 Uhr
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Nach der Welle ist vor der Welle. «Es ist nicht zu vermeiden, dass es wieder aufwärtsgeht», sagt Tanja Stadler. «Irgendwann zwischen jetzt und Oktober erwarte ich eine Trendwende, und es wird eine durch BA.5 ausgelöste Welle geben.»
Foto: STEFAN BOHRER
Lea Hartmann, Ulrich Rotzinger und Ruedi Studer

Die gute Nachricht vorweg: Die Sommerwelle ist gebrochen. Corona ist kaum ein Thema mehr. Nicht für alle, aber für die grosse Mehrheit. Pfadi-Bundeslager, Street Parade und am Wochenende das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest: Es wird wieder gefestet. Corona-Einschränkungen gibt es keine. Letzte Zeitzeugen wie etwa Desinfektionsmittel-Spender in den Bahnhöfen sind abgebaut.

Zu früh? Seit Beginn der Pandemie bestätigten die Schweizer Labore 4’029’651 Ansteckungen mit dem Coronavirus. Daran gestorben sind bislang 13’589 Personen. Im Herbst und Winter erwarten uns wieder Ansteckungswellen, so viel ist sicher. Im Gegensatz zu den Vorjahren ist das aber kein Grund zur Panik, wie das Corona-Update von Blick zeigt.

Die nächste Welle kommt

Die Sommerwelle klingt weiter ab: 17'015 Neuansteckungen wurden in der letzten Woche gemeldet, gut 1200 weniger als in der Vorwoche. Ein Szenario mit nur wenigen Ansteckungen täglich ist aber weit entfernt. Die Positivitätsrate der PCR-Tests ist zwar leicht gesunken, aber weiterhin sehr hoch. Mehr als jeder dritte Test ist positiv.

Und die Kurve der Fallzahlen entwickelt sich in Richtung Stagnation. «Der Rückgang wird deutlich langsamer», sagt Biostatistikerin Tanja Stadler (41) zu Blick. Omikron bleibt weiterhin die dominierende Variante, wobei der besonders ansteckende Untertyp BA.5 das Geschehen praktisch vollständig dominiert. Angesichts saisonaler Faktoren – mit dem Herbst wird es kühler, wodurch sich die Menschen wieder öfter in Innenräumen aufhalten – rechnet die frühere Corona-Taskforce-Chefin erneut mit steigenden Fallzahlen. Auch das Ferienende begünstige die Viruszirkulation möglicherweise.

«Es ist nicht zu vermeiden, dass es wieder aufwärtsgeht», stellt Stadler fest. «Irgendwann zwischen jetzt und Oktober erwarte ich eine Trendwende, und es wird eine durch BA.5 ausgelöste Welle geben.»

In der Sommerwelle hätten sich «ganz grob rund zwei Millionen Menschen infiziert», schätzt Stadler. «Im Herbst dürfte die Infektionslast ähnlich hoch sein. Über den gesamten Winter könnte sich wieder die Mehrzahl der Menschen in der Schweiz
anstecken.» Immerhin: «Im Moment sehen wir keine neue Variante, die Omikron verdrängen und die aktuelle Situation nachhaltig verändern könnte.»

Für Spitäler bleibt es anspruchsvoll

Zurzeit liegt in jedem 20. Bett der Intensivstationen ein Corona-Patient. Die Zahl der Intensivbetten hat seit letztem Sommer abgenommen: Standen vor einem Jahr im Schnitt noch rund 850 Betten zur Verfügung, sind es derzeit noch knapp 800. Der Grund dafür sind Personalengpässe wegen Krankheit und Kündigungen. «Die Personalsituation auf den Intensivstationen war bereits vor der Covid-19-Pandemie angespannt und ist auch weiterhin, insbesondere im Bereich der Pflege, hoch anspruchsvoll», teilt die Schweizerische Gesellschaft für Intensivmedizin auf Anfrage mit.

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Während die Intensivstationen mit keinem massiven Anstieg bei Corona-Patienten rechnen müssen, dürfte die Belastung in den allgemeinen Abteilungen wieder steigen. «Mit steigenden Infektionszahlen werden auch die Spitaleinweisungen zunehmen», sagt Tanja Stadler. «Dank Impfungen und Genesungen sind die ganz schweren Erkrankungen, die intensivmedizinische Behandlung erfordern oder zum Tod führen, viel seltener geworden.»

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Allerdings seien die Erkrankungen auch mit Ausfällen am Arbeitsplatz verbunden, so Stadler. «Vor der Pandemie hatten wir in der Schweiz kein Virus, das im Sommer zu so vielen Krankschreibungen geführt hat wie das Coronavirus.»

Bei Massnahmen sind Kantone in der Pflicht

Seit Aufhebung der besonderen Lage Ende März sind nun primär die Kantone für das Corona-Management zuständig. Der Bundesrat hielt trotz deren Protest am Plan fest, nur noch einzugreifen, wenn eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit droht und die Kantone es allein nicht mehr schaffen. «Wir werden uns mehr koordinieren, damit es keinen Flickenteppich mehr gibt», sagt die Berner Kantonsärztin Barbara Grützmacher (47), Vizepräsidentin der Vereinigung der Kantonsärztinnen und -ärzte. Die Gesundheitsdirektoren-Konferenz hat das Vorgehen definiert und sich bereits über mögliche Massnahmen ausgetauscht.

Vorgesehen ist beispielsweise, in Spitälern und Heimen wieder repetitive Tests einzuführen, sollten viele Menschen schwer erkranken. Auch eine Maskenpflicht in Gesundheitsinstitutionen und eventuell auch im ÖV ist eine Option. Zudem könnten die Impfzentren rasch wieder in Betrieb genommen werden, teilen die Kantone auf Anfrage mit. Aufs Contact Tracing hingegen will zumindest ein Teil der Kantone aufgrund der gemachten Erfahrungen künftig verzichten, so beispielsweise St. Gallen und Aargau. Das Covid-Zertifikat soll nur dann wieder zum Einsatz kommen, wenn die Alternative ein Lockdown wäre – und wenn, dann nur schweizweit durch den Bund verordnet, finden die Kantone.

«Ziel ist es, einschneidende Massnahmen zu vermeiden», sagt Simon Ming vom Bundesamt für Gesundheit. Sein Amt geht davon aus, dass der individuelle und damit auch der Bevölkerungsimmunschutz abnehmen wird. Was die Anordnung allfälliger Massnahmen betrifft, übt sich der Bund in Zurückhaltung. In der derzeit bestehenden normalen Lage seien die Kantone dafür zuständig, betont Ming. Nötigenfalls werde das BAG jedoch Empfehlungen zuhanden der Kantone abgeben. «Die Umsetzung und Verantwortlichkeit liegt aber in jedem Fall bei den Kantonen», macht Ming klar. Immerhin plant das BAG, der Bevölkerung Verhaltenstipps zu geben, «wie man sich und andere im Herbst und Winter effektiv schützen kann».

97 Prozent sind immunisiert

Wie gut sind wir geschützt? Vollständig geimpft sind inzwischen 69,3 Prozent der Bevölkerung in der Schweiz. Zählt man die Personen mit erst einer Impfung dazu, liegt der Wert der Immunisierung bei knapp über 70 Prozent. Im Vergleich zum Ausland ist die Schweiz damit Mittelklasse. Dennoch spricht das BAG von einer «hohen Immunität» in der Bevölkerung.

Berücksichtige man auch die Ansteckungen, so dürften inzwischen über 97 Prozent der Schweizer Bevölkerung mit dem Virus in Kontakt gekommen sein. Christoph Berger (60), Präsident der Eidgenössischen Kommission für Impffragen (Ekif), bestätigt: «Wir haben damit einen gewissen Schutz vor schweren Erkrankungen.» Denn fast die Hälfte der vollständig geimpften Personen hat bislang auch einen Booster erhalten.

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Neue Impfempfehlung im September

Die Empfehlung von Ekif und BAG für eine weitere Auffrischung des Impfschutzes ist bislang vorderhand auf besonders gefährdete Personen und Menschen ab 80 Jahren ausgerichtet, aber sie gilt auch für Personal in der Pflege und Betreuung. Damit soll das Gesundheitssystem vor Überlastung geschützt werden.

Laut BAG haben bislang 125'341 Personen eine zweite Auffrischung erhalten. Davon sind 77'000 Personen 80 Jahre oder älter, was 16,9 Prozent dieser Altersgruppe entspricht. «Bei den restlichen Impfungen handelt es sich entweder um Reiseimpfungen oder Auffrischungsimpfungen für immundefiziente Personen.»

Dazu Impfchef Berger: «Einen zweiten Booster für die breite Bevölkerung braucht es, Stand jetzt, nicht.» BAG und Ekif raten, mit einer zweiten Auffrischungsimpfung (vierter Piks) bis vor Ausbruch der Winterwelle zuzuwarten. Der Grund sind die aktuell zirkulierenden Virusvarianten, die sich aber wieder geringer ausbreiten. In der Schweiz ist es Omikron mit über 99 Prozent. Dagegen gibt es hierzulande noch keine angepassten Impfstoffe.

Im September will der Bund die neuen Impfempfehlungen kommunizieren. Dann wird wohl allen Personen ab 16 Jahren eine weitere Auffrischung empfohlen, besonders aber Seniorinnen und Senioren ab 65 Jahren nahegelegt. Wird diese Empfehlung definitiv, ist die Auffrischung kostenlos. Der Bund geht davon aus, dass der Impfstart «voraussichtlich in den Oktober fallen wird».

Angepasste Impfstoffe schon vorbestellt

Laut BAG stehen ausreichend Impfdosen (Moderna, Biontech/Pfizer, Janssen) zur Verfügung. Zudem kommt der proteinbasierte Impfstoff von Novavax bei Personen zum Einsatz, die aus medizinischen Gründen nicht mit einem mRNA-Impfstoff gepikst werden dürfen. Er stehe aber auch allen anderen Impfwilligen zur Verfügung.

Weil aktuell verfügbare Impfstoffe kaum vor Infektionen mit Omikron und Untervarianten mit hohem Ansteckungspotenzial, aber mehrheitlich milden Verläufen schützen, kann es sich lohnen, auf die angepassten Impfstoffe zu warten. «Ideal wäre es, in Zukunft einen Impfstoff zu haben, der weniger variantenabhängig ist», sagt Berger.

Immerhin: Im Oktober, vor der Winterwelle, sollen Omikron-angepasste Impfstoffe bereitstehen. Pfizer und Moderna haben bei Swissmedic ein Zulassungsverfahren für ihre angepassten, bivalenten Booster am Laufen. Moderna rechnet bis Ende August mit grünem Licht, Pfizer spätestens im September. Laut den Herstellern sollen die angepassten Impfstoffe dann auch zur Auslieferung bereitstehen. Vorbestellt sind diese bereits vom Bund – in ausreichender Menge, wie das BAG versichert.

Zertifikat ist fast bedeutungslos

Nach einer Auffrischungsimpfung ist das Covid-Zertifikat mindestens 270 Tage gültig. Ein Ablauf ist in der Schweiz ohne Bedeutung – zumindest solange nicht wieder eine Pflicht eingeführt wird, etwa für den Hallenbadbesuch. Wichtig beim Reisen: Nicht die Schweizer Gültigkeitsregeln sind dann relevant, sondern die des Ziellandes.

Für unter 18-Jährige sind Covid-Zertifikate nach der Grundimmunisierung in den EU-Staaten unlimitiert gültig. Manche Länder akzeptieren auch ein abgelaufenes Schweizer Zertifikat. Mit der neuen Funktion der Covid-Cert-App kann jeder prüfen, ob das Zertifikat zum Zeitpunkt der Einreise ins Zielland gültig ist.

Gut zu wissen: Die Einreise in fast alle europäischen Länder ist nun wieder ohne Impfnachweis oder Test möglich. So verhält es sich auch bei der Türkei, Ägypten, Südafrika und Australien. Thailand, Tunesien, Kanada, China oder Japan verlangen noch Test oder Impfung. Weiterhin nur für Geimpfte zugänglich sind die USA, Singapur und Hongkong.

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