Bund hat zu hohe Ziele gesetzt
Solaroffensive wird zum Offensivchen

200 Solaranlagen sollten bis Ende 2025 in den Bergen entstehen: Die Ziele des Schweizer Solarexpress drohen grandios zu scheitern. Im Wallis winkt am Sonntag sogar die Vollbremsung.
Publiziert: 10.09.2023 um 00:58 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2023 um 11:32 Uhr
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Die erste im Kanton Bern: Aufbau einer Pilot-Solaranlage auf dem Hornberg in Saanenmöser.
Foto: zvg
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Lino SchaerenRedaktor

Der Schweizer Solarexpress läuft Gefahr, heute im Wallis ausgebremst zu werden. Ausgerechnet im Südkanton – schliesslich war es der Walliser Ständerat Beat Rieder (60, Die Mitte), der das Notgesetz 2022 im Rekordtempo durchs Parlament peitschte. Dank diesem können im alpinen Raum grossflächig Solaranlagen gebaut werden. Und sie werden erst noch üppig subventioniert. Allerdings nur, wenn die grossen Kraftwerke bis Ende 2025 mit mindestens zehn Prozent der Leistung am Netz sind. Ziel der Solaroffensive: Bis zu 200 alpine Solarkraftwerke und jährlich zwei Terawattstunden Strom. Damit soll die Stromlücke im Winter geschlossen werden.

Auch das Wallis wollte den Schwung und vor allem die Solarmillionen des Bundes mitnehmen. Laut Staatsrat Roberto Schmidt (61, Die Mitte) sind derzeit zehn Projekte in Arbeit. Doch jetzt könnte es zur Blockade kommen. Heute stimmt die Walliser Bevölkerung über das Solardekret ab. Dieses sieht beschleunigte Bewilligungsverfahren für Solaranlagen vor. Dagegen haben die Walliser Grünen um ihre Co-Präsidentin Brigitte Wolf (56) zusammen mit Umweltschutzverbänden das Referendum ergriffen.

Setzt sich das Nein-Lager an der Urne durch, werden alpine Solaranlagen zwar nicht verboten. Der Solarexpress dürfte für das Wallis ohne beschleunigte Bewilligungsverfahren aber abgefahren sein.

Der produzierte Strom kann nicht abgeleitet werden

Die grosse nationale Solaroffensive würde damit endgültig zum Solarreförmchen. Ein Blick in die Bergkantone zeigt: Der vollmundig ausgerufene Ausbau in den Bergen kommt auch anderswo nicht wie gewünscht auf Touren. Die vom Bund gesteckten Ziele drohen weit verfehlt zu werden, selbst ein Ja heute im Wallis würde daran nicht mehr viel ändern. Der Grund sind die politischen, rechtlichen und technischen Hürden sowie der Zeitdruck. Viele Initianten können das vorgegebene Tempo nicht mitgehen.

Besonders ärgerlich: Das Schweizer Stromnetz kann den angestrebten Turbo-Ausbau gar nicht aufnehmen. Das Parlament hat mit seinem Notgesetz zwar den Bau von Solarkraftwerken beschleunigt, vergass dabei aber den Ausbau der Netzkapazität. Im Wallis mussten deshalb die gigantischen Anlagen Grengiols und Vispertal massiv verkleinert werden. Der produzierte Strom der geplanten riesigen Solarfelder könnte gar nicht abgeleitet werden.

Diesen Fehler hat der Kanton Bern nicht gemacht. Hier wurde zuerst das bestehende Stromnetz analysiert, statt von riesigen Solarfeldern in den Alpen zu fabulieren. Zusammen mit der Netzbetreiberin BKW hat der Kanton eine Obergrenze für neue Anlagen gesetzt: Mehr als 100 Megawatt zusätzliche Leistung liegen nicht drin, weil das Netz gar nicht mehr aufnehmen könnte. Das entspricht einer jährlichen Stromproduktion von 150 Gigawattstunden.

«Gigantismus ist schon deshalb nicht möglich», sagt der zuständige Berner Regierungsrat Christoph Ammann (54, SP). An runden Tischen mit Initianten, Netzbetreiberinnen und Umweltschutzverbänden hat er im Sommer die Projekte im Kanton Bern priorisiert. Rund 35 Projekte waren es total, 17 davon wurden nach den Diskussionsrunden zurückgezogen. Ammann rechnet bis Ende 2025 mit sechs bis neun alpinen Solarkraftwerken am Netz. Seinen Kanton sieht er im interkantonalen Wettrennen auf der Überholspur. «Bern ist beim Solarexpress der schnellste Kanton», sagte Ammann vor einer Woche bei der Einweihung einer Pilotanlage auf dem Hornberg in Saanenmöser.

Nur ein Bruchteil wird bis Ende 2025 gebaut sein

Tatsächlich stösst Bern mit dem gewählten Vorgehen auf deutlich weniger Widerstand als die Solar-Turbos im Wallis – sowohl politisch als auch bei den Umweltschutzverbänden. Der Grund dafür sind vor allem die deutlich kleineren Ambitionen. Reizt der Kanton die selbst gesetzte Obergrenze aus, baut er zwar einen Drittel des inzwischen abgeschalteten Kernkraftwerks Mühleberg in die Alpen. Gemessen am Solarpotenzial in den Berner Alpen ist das aber viel zu wenig, um die ambitionierten Ziele der Solaroffensive zu erreichen.

«Das interessiert mich nicht», sagt Ammann. Die Ziele des Bundes seien hehr, aber unrealistisch. Die Annahme, mit dem Solarexpress könne die Stromlücke im Winter kurzfristig geschlossen werden, sei «völlig naiv» gewesen.Dennoch lobt der Berner Regierungsrat den Mut, auf Bundesebene gross zu denken. «Das ist die richtige Grundhaltung. Wir müssen in der Energiepolitik weg von der Erbsenzählerei und hin zu mehr Pioniergeist.»

Ähnlich tönt es in Graubünden. «Die Anforderungen sind so rigide und der Zeitplan so eng, dass die Fördergelder möglicherweise nicht ausgeschöpft werden können», sagt Tomas Schmid (53), Vorsteher des Amtes für Energie und Verkehr. Erfreulich sei aber der angestossene Prozess: «Das Bauen im Gebirge wird innovativ angegangen, es wird viel Fachwissen aufgebaut. Das macht die Branche fit.»

Schmid sagt, er wisse derzeit von 15 Projekten, die in Graubünden weiter vorangetrieben werden. Über die Realisierungschancen könne er nichts sagen, da er weder den Stand noch die Qualität der Projekte kenne. Mehr als eine Handvoll Anlagen dürften aber auch in Graubünden bis Ende 2025 nicht realisiert werden.

Dass die Hoffnungen in die Solaroffensive im Bundeshaus deutlich zu hoch gesteckt wurden, überrascht Nationalrat Jürg Grossen (54) nicht. Der Präsident von Swissolar und GLP Schweiz sagt: «Als ich in der Herbstsession 2022 den Abstimmungsknopf drückte, dachte ich: Da werden noch einige ihr blaues Wunder erleben, so schnell geht das alles wohl auch beim besten Willen nicht.»

Auch wenn bis Ende 2025 nur ein kleiner Bruchteil der angestrebten 200 Anlagen gebaut werden dürfte: Von einem Scheitern der Solaroffensive will Grossen dennoch nichts wissen. Viele vielversprechende Projekte seien auf gutem Weg. «Manchmal ist es auch wichtig, mit grossen Ideen eine Bresche zu schlagen.» Der Ausbau der Solarenergie in den Alpen werde nach Ablauf der gesetzten Frist nicht beendet sein, sondern dank des neuen Mantelerlass-Gesetzes weitergehen, sagt Grossen. «Die im Herbst 2022 vom Parlament formulierten Ziele für die Solarkraft in den Bergen werden wir erreichen, aber wohl nicht innerhalb der gesetzten Frist.»

Das sieht auch der Berner Regierungsrat Christoph Ammann so. Er nennt die Solaroffensive «ein Übungsverfahren». Mit den Erkenntnissen daraus, sagt Ammann, «können wir dann den Solarexpress 2.0 starten».

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