Welches Unternehmen wünscht sich das nicht: Ganz egal, wie hoch es den Preis festsetzt, die Kundschaft muss diesen bezahlen. In etwa so läuft die Stromversorgung der Privathaushalte in der Schweiz ab. Die Kunden können in der Grundversorgung nicht wählen, woher sie ihren Strom beziehen. «Sie sind ihren Versorgern vollkommen ausgeliefert», sagt Andreas Tresch (33) vom Beratungsunternehmen Enerprice zu Blick.
Die Grundversorger können den Preis natürlich nicht völlig willkürlich festlegen. Produzieren sie selber Strom, sind die Gestehungskosten für den Preis ausschlaggebend. Kaufen sie Strom ein, können sie den Einkaufspreis auf ihre Kunden überwälzen. Das Ergebnis: «Für die Versorger fehlt der Anreiz. Es hat für sie keine Folgen, ob sie beim Stromeinkauf auf eine gute oder schlechte Strategie setzen», sagt Tresch.
Erneut Preissteigerungen von 30 Prozent
Einige Versorger kaufen den Strom über mehrere Jahre verteilt in unterschiedlich grossen Tranchen am Grosshandelsmarkt ein. Andere besorgen den Strom ohne längerfristige Strategie jeweils zum aktuellen Preis – und wurden von der Preisexplosion im vergangenen Jahr völlig überrollt. Im schweizweiten Durchschnitt stiegen die Stromtarife in der Grundversorgung um 27 Prozent, in Extremfällen haben sie sich aber verdreifacht oder beinahe vervierfacht, wie im Fall von Oberlunkhofen AG.
Obwohl der Strompreis am Grosshandelsmarkt inzwischen wieder deutlich unter dem Vorjahresniveau liegt, müssen viele Haushalte auch in diesem Jahr wieder mit saftigen Preisaufschlägen leben. Die Stadtbevölkerung in Winterthur ZH oder Solothurn muss im nächsten Jahr im Schnitt 30 Prozent mehr berappen. In der Gemeinde Glarus geht es um 24 Prozent nach oben und in Thun zwischen 22 und 29 Prozent. Die Eidgenössische Elektrizitätskommission (Elcom) wird am Dienstag die Tarife für alle Gemeinden bekannt geben.
Warum steigen die Tarife erneut?
Wie kann es sein, dass die Preise erneut ansteigen? Angenommen ein Versorger kauft seinen Strom für ein bestimmtes Jahr jeweils auf drei Jahre verteilt ein. Dann fallen nun günstigere, ältere Tranchen weg, während teurere zum aktuellen Preis hinzukommen. «Zudem gibt es Versorger, die in der Krisenzeit Angst bekommen und sehr viel Strom zu sehr ungünstigen Konditionen gekauft haben. Das schlägt sich nun zusätzlich im Preis nieder», sagt Tresch.
Weitere Faktoren für die steigenden Tarife sind: ein höherer Kapitalkostensatz, die neue Abgabe für die Winterreserve und die steigenden Kosten bei der nationalen Netzgesellschaft Swissgrid.
Die fehlenden oder schlechten Einkaufsstrategien sind oft auf den mangelnden Professionalisierungsgrad bei den Versorgern zurückzuführen. Sage und schreibe 630 Grundversorger sind dafür verantwortlich, dass in den Schweizer Haushalten das Licht brennt. «Viele davon sind Kleinbetriebe und auf den Netzbetrieb ausgelegt. Know-how und Erfahrung, in volatilen Märkten und Krisenzeiten erfolgreich Strom einzukaufen, fehlt da oft», sagt Tresch. Für den Energieexperten ist klar: «Bei den Versorgern müsste es wohl eine Strukturbereinigung geben.»
Marktöffnung als Lösung?
Eine solche Strukturbereinigung könnte durch eine Marktöffnung ausgelöst werden. Grossverbraucher mit einem Stromverbrauch von über 100'000 Kilowattstunden pro Jahr können ihren Stromlieferanten selber auswählen. Der Bundesrat will, dass diese Option künftig auch für Privathaushalte offen steht. Diese Öffnung ist notwendig, damit die Schweiz das wichtige Stromabkommen mit der EU abschliessen könnte.
Die Schweizer Bevölkerung würde in vielen Fällen aber auch direkt profitieren: Mit Ausnahme des vergangenen Jahres lag der Marktpreis immer unter dem Durchschnittspreis in der Grundversorgung. «Bei einer Marktöffnung für Privathaushalte wäre man dem regionalen Versorger nicht mehr ausgeliefert und könnte den Anbieter frei wählen», so Tresch.