Auf einen Blick
In der «Beobachter»-Serie «Die Abrechnung» zeigen unterschiedliche Menschen ihren Kontoauszug – und erzählen, wie sie mit ihrem Budget leben. Wie viel Geld steht ihnen zur Verfügung? Wofür geben sie es aus?
Zum Beispiel der soziale Stadtführer Daniel Michel, der in Wirklichkeit anders heisst.
Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.
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Meine Person
Ich bin 61 und arbeite als sozialer Stadtführer beim Verein Surprise. Mit meiner Tour «Wege aus der Schuldenspirale» gebe ich Einblick in mein Leben.
Ich zeige in der Stadt Basel Orte, an denen ich Unterstützung während meiner Zeit als Armutsbetroffener und Obdachloser erhielt. Es sind Orte, die mir halfen, meine Alkoholsucht in den Griff zu bekommen, den Schuldenberg anzugehen und die Depressionen zu überstehen.
Ich stamme aus einer mittelständischen Familie. Gelernt habe ich Sanitärinstallateur und -planer. Später habe ich das höhere Wirtschaftsdiplom gemacht.
Ich wollte immer mein eigener Chef sein, darum habe ich mich bereits als junger Mann selbständig gemacht. Vom Sanitärgeschäft über den Personalverleih und Generalunternehmer in der Baubranche bis zum Versicherungsmakler war alles dabei. Es ist einiges schiefgelaufen.
Irgendwann, ich war 33, stand ich mit einer Viertelmillion Schulden da. Es folgte die Trennung von meiner Familie. Ich verfiel dem Alkohol, lebte auf der Gasse und hatte Probleme mit der Polizei.
Heute werde ich vom Sozialamt unterstützt. Alkohol habe ich vor über sieben Jahren das letzte Mal getrunken. Aus der Schuldenfalle werde ich wohl nie mehr rauskommen. Denn: Nach aktuellem Stand habe ich Verlustscheine in der Höhe von knapp 330'000 Franken. Das könnte ich höchstens mit einer Erbschaft oder einem Lottogewinn bezahlen. Mit meinen beiden Söhnen habe ich regelmässig Kontakt. Seit zehn Jahren habe ich eine Freundin. Sie hat Multiple Sklerose und lebt im Rollstuhl. Sie ist mein Anker, und ich unterstütze sie, wo immer ich kann.
Für unsere Rubrik «Die Abrechnung» suchen wir zurzeit besonders Familien, frisch Pensionierte und Leute aus spezifischen Berufsgruppen. Wir freuen uns auf Ihre Anmeldung unter dem entsprechenden Link!
• Wurden Sie vor kurzem pensioniert? Und spüren jetzt das fehlende Arbeitseinkommen im Portemonnaie? Berichten Sie es uns. Melden Sie sich hier für «Die Abrechnung» an.
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• Arbeiten Sie im Verkauf? Bitte hier anmelden.
• Alle anderen sind natürlich ebenso willkommen. Bitte melden Sie sich hier an.
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Einnahmen
Vom Sozialamt erhalte ich Geld für den Grundbedarf (1031 Franken) sowie für die Wohnkosten (950 Franken), zusammen also 1981 Franken.
Bei Surprise kann ich etwas dazuverdienen. Für jeden Stadtrundgang, den ich durchführe, erhalte ich 75 Franken vom Verein. Für Sondereinsätze, wie Interviews oder Schulungen, an denen ich teilnehme, gibt es 25 Franken pro Stunde.
Davon darf ich einen Drittel behalten, aber nur bis maximal 400 Franken pro Monat. Der Rest wird mit der finanziellen Unterstützung des Sozialamtes verrechnet. Ich gebe pro Woche ungefähr drei Stadttouren. Dazu kommen ein bis zwei weitere Veranstaltungen.
Durchschnittlich kommen so 250 Franken pro Monat zusätzlich zum Sozialhilfegeld zusammen. Insgesamt gelangen 2230 Franken auf mein Konto.
Ausgaben
Ich erstelle mir jeden Monat ein Budget. Kommt Geld rein, hebe ich dieses in mehreren Schritten ab. Nur Bares ist Wahres – so mein Motto. So habe ich einen besseren Überblick, was ich noch übrig habe.
Für unregelmässige Rechnungen wie beispielsweise die Serafe-Gebühr lege ich jeweils Bargeld zur Seite. Sämtliche Rechnungen, die Ende Monat vorliegen, werden subito per Postüberweisung bezahlt – das ist für mich jedes Mal sehr befreiend.
Wohnen: Ich miete seit knapp fünf Jahren eine 1-Zimmer-Wohnung (28 Quadratmeter) mit Küche und Bad, ohne Balkon. Meine Freundin wohnt im selben Quartier. Für die Miete samt Nebenkosten zahle ich jeden Monat 950 Franken.
Die Nebenkostenbeträge sind pauschal. Das heisst: Ich bekomme keine jährliche Abrechnung. Ich muss also keine Angst vor hohen Nachforderungen der Heizkosten haben.
Die Wohnung und der Preis sind ein absoluter Glücksfall. Dahinter steckt ein privater Vermieter, der mir eine Chance gegeben hat. Die Stromkosten laufen über das regionale Elektrizitätswerk. Dafür kalkuliere ich monatlich 25 Franken ein. Insgesamt gebe ich fürs Wohnen monatlich 975 Franken aus.
Telefon und Internet: Für Telefon, Internet und TV gebe ich monatlich 86 Franken aus. Dazu kommen jährlich 335 Franken Serafe-Gebühren.
Ich habe Verwandte im Ausland. Deshalb habe ich europaweit unbegrenzte Anrufe. Abos oder Streamingdienste habe ich nicht.
Abzahlung Schulden: Ich habe ungerechtfertigte Leistungen von ungefähr 10'000 Franken vom Sozialamt bezogen und muss diese nun zurückzahlen. Das mache ich mit jeweils 100 Franken pro Monat.
Gesundheit: Die monatliche Krankenkassenprämie von 650 Franken zahlt die Sozialhilfe direkt. Ich muss mich aber jeden Monat mit 30 Franken beteiligen. Sie verlangt, dass ich die tiefstmögliche Franchise habe.
Früher ging ich praktisch nie zum Arzt. Vor drei Jahren hatte ich einen Leistenbruch und musste operieren. Dann kam die chronische obstruktive Lungenkrankheit COPD dazu.
Ich muss nun regelmässig zum Arzt und brauche Medikamente. Da die Sozialhilfe sowohl Franchise als auch Selbstbehalt übernimmt, habe ich mit den Kosten nichts zu tun.
Versicherungen: Die Kosten für die Hausrat- und die Privathaftpflichtversicherung werden vollständig von der Sozialhilfe übernommen. Ich stecke die geöffnete Prämienrechnung jeweils direkt wieder in ein Couvert und leite sie an das Sozialamt weiter.
Mobilität: Mein Leben spielt sich in Basel ab. Hier arbeite ich, hier sind meine Freunde und meine Familie. Entweder bin ich zu Fuss unterwegs oder nehme den öffentlichen Verkehr.
Seit mehreren Jahren habe ich ein Zonenabo für den Verkehrsbund Basel und ein SBB-Halbtax-Abo. Beides zusammen kostet mich monatlich 100 Franken.
Haushalt: 450 Franken sind mein Limit für Lebensmittel, Hygieneartikel und Waschmittel. Mehr möchte ich dafür nicht ausgeben. Alles, was nicht verderblich ist, kaufe ich in grossen Mengen, von Teigwaren bis Seife.
Milchprodukte, Gemüse und Fleisch kaufe ich zweimal pro Woche ein. Am liebsten nehme ich Bio-Produkte. Mit meinem Budget ist das nicht immer möglich. Deshalb mache ich unter anderem beim Fleisch Abstriche oder kaufe in Deutschland ein.
Ich rauche, seit ich zwölf Jahre alt bin. Dafür gebe ich monatlich 125 Franken aus. In finanziell guten Zeiten waren es zwischen drei und vier Päckli pro Tag. In einer Freinacht sogar bis zu sechs. Ich habe immer und überall geraucht, sogar in der Dusche. Im Gefängnis habe ich dann jeweils meinen Konsum angepasst.
Heute drehe ich mir meine Zigaretten mehrheitlich selbst. Ich kaufe mir monatlich zwei Dosen Tabak für insgesamt 70 Franken. Dazu kommen Papier und Filter für nochmals 30 Franken. Manchmal kaufe ich mir aber doch noch ein Päckli. Ich weiss, dass ich der Gesundheit zuliebe aufhören sollte, und schaffe das auch – wie mit dem Alk.
Ich habe lange Haare, die schneide ich mir selbst. Dafür brauche ich keinen Coiffeur. Das spart mir Geld.
Verpflegung ausser Haus: Im Schnitt esse ich zweimal pro Woche in der Gassenküche. Pro Mahlzeit sind das drei Franken. Meine Freundin und ich sind manchmal bei sozialen Events eingeladen. Dort gibt es Gratisessen. Letzte Woche waren wir zum Beispiel beim jährlichen Raclette-Essen des Rollstuhl-Clubs.
Ungefähr dreimal im Monat gehe ich auswärts essen, zum Beispiel ein Cordon bleu für 30 Franken in meiner Stammbeiz. Übers Jahr gerechnet gebe ich monatlich 120 Franken fürs Auswärtsessen aus.
Kleidung und Schuhe: Da bin ich einfach gestrickt. Budgetiert habe ich monatlich 30 Franken. Zwei Sommerhosen (zusammen 140 Franken), zwei Winterhosen (zusammen 70 Franken) und ein paar T-Shirts sowie Hemden genügen mir. Ich trage meine Kleider durch, und dann kaufe ich mir neue.
Ich trage Arbeitshosen mit Seitentaschen. Im Herbst habe ich mir eine Strickjacke für 40 Franken gekauft. Bei den Schuhen sieht es ähnlich aus.
Im Sommer trage ich Arbeitsschuhe für 70 Franken. Die wärmeren Winterschuhe habe ich letztes Jahr für 180 Franken gekauft.
Freizeit: Ich spreche vier Sprachen: Deutsch und Italienisch sind meine Muttersprachen, Französisch habe ich auf Reisen und bei meinen Verwandten in Paris gelernt und Englisch durch einen Sprachaufenthalt in Neuseeland.
In meinem Alter sollte man versuchen, fit zu bleiben, auch im Köpfchen. Deshalb lerne ich Russisch. Mich reizt besonders das kyrillische Alphabet. Der Internetkurs bei Busuu kostet mich 50 Franken.
Zudem schwimme ich gerne. Ein Eintritt ins Hallenbad kostet 7 Franken. Das Ziel wäre mindestens einmal pro Woche. Insgesamt sind für meine Hobbys 50 Franken pro Monat eingeplant.
Ferien: Dieses Jahr machten meine Freundin und ich eine Woche Ferien im Wohnwagen. Wir fuhren ins Tessin und logierten auf einem Campingplatz. Für Benzin, Platzmiete und Essen habe ich 600 Franken ausgegeben.
Zudem gingen wir mit der Schweizer Paraplegiker-Stiftung ans Greenfield Festival, ein dreitägiges Rockmusik-Open-Air im Berner Oberland. Alles in allem kostete das 600 Franken. Im Budget rechne ich für Ferien 100 Franken pro Monat.
Altersvorsorge: Die ist bei mir katastrophal. Ich habe 5000 Franken auf einem Freizügigkeitskonto, weil ich Geld für meine Selbständigkeit rausnahm. In zwei Jahren werde ich ziemlich sicher durch das Sozialamt in die Frühpension geschickt.
Das heisst: Ab dann kann ich AHV beziehen. Meine Rente wird aber sehr klein sein – deutlich tiefer als der Betrag, den ich heute vom Sozialamt bekomme. Damit ich meinen Lebensunterhalt bestreiten kann, werde ich wohl Ergänzungsleistungen kriegen.
Steuern: Während meiner Zeit als Erwerbstätiger habe ich meine Steuern immer bezahlt. Als ich in die Sozialhilfe fiel, habe ich es versäumt, meine Steuererklärung auszufüllen und wurde von der Steuerbehörde zu hoch eingeschätzt. So entstanden meine Steuerschulden. Heute habe ich noch 36'500 Franken.
Mitgliedschaften: Ich bin Mitglied im Rollstuhl-Club. Ebenfalls bin ich Gönner bei der Rega und habe eine TCS-Mitgliedschaft. Alle drei Organisationen unterstütze ich aus Überzeugung. Ich rechne mit 25 Franken monatlich.
Geschenke: Ich werde gelegentlich von Bettlern nach Geld gefragt. Wenn ich etwas habe, dann gebe ich ein Nötli. Ich habe zwei Jahre auf der Strasse gelebt und weiss deshalb, wie hart das ist.
Mir ist natürlich bewusst, dass das Geld meistens weder für Essen noch für die Notschlafstelle gebraucht wird, sondern für Alkohol oder Drogen. Aus eigener Erfahrung weiss ich: Ein kalter Entzug auf der Strasse kann lebensbedrohlich sein. Ich verschenke ungefähr 25 Franken monatlich.
Was ist der grösste Luxus, den Sie sich je geleistet haben?
Das war ein Sprachaufenthalt in Neuseeland, als ich noch jung war. In zehn Monaten habe ich 30'000 Franken ausgegeben. Dort habe ich meine Ex-Frau kennengelernt.
So fühle ich mich
Das Sozialamt garantiert mir die laufenden Lebenskosten sowie die Miete und zahlt mir die Krankenkassenprämien. Dafür bin ich sehr dankbar. Ich bin mit der heutigen Situation zufrieden und komme finanziell zurecht – das Leben ist schön. Geld hat schlicht nicht mehr den Stellenwert, den es in früheren Jahren hatte.
Aufgezeichnet von Katrin Reichmuth
Hier finden Sie die bisherigen Folgen der Rubrik «Die Abrechnung».