Es ist ein tragischer Abschiedsbrief. Er handelt von Schuld und Sühne. «Ich habe gezockt – doch bin gescheitert», schreibt ein Finanzberater in Brüssel seiner Ehefrau. Dann nimmt er sich das Leben.
Der Portfoliomanager gesteht in seinem letzten Schreiben, sogar Gelder der Schwiegereltern veruntreut zu haben – um Spatial View am Leben zu erhalten. Mit dem englischen Begriff für räumliches Sehen ist ein Unternehmen in Kanada gemeint, dessen Rendite durch die Decke gehen sollte: mit 3-D-Technologie.
Bis sich der Mann in Brüssel kurz vor Weihnachten 2015 umbrachte, glaubte Anne Kearns (70), ein gutes Investment getätigt zu haben. Die Britin hatte ihm vertraut und ihn beauftragt, sich um ihr Vermögen zu kümmern, damals rund 1,2 Millionen US-Dollar.
Erst durch den Suizid erfuhr sie, dass sie Opfer eines Betrügers und seines Netzwerks in der Schweiz geworden war. Am Dienstag wird der Fall vor dem Bezirksgericht Zürich verhandelt. Kearns verklagt die Bank Julius Bär auf rund 1,8 Millionen Franken plus Zinsen. Denn die Transaktion lief über ein Depot bei der ING Bank in Lausanne VD. Und die gehört seit 2010 Julius Bär.
Statt Schweizer Präzision gabs Vetterliwirtschaft.»
Kearns sagt SonntagsBlick, sie habe nur 300'000 US-Dollar in das kanadische Start-up investieren wollen. Den Rest suchte sie sicher anzulegen. Tatsächlich sei viel mehr von ihrem Geld geflossen – ohne Rücksprache und mit gefälschter Unterschrift: «Ich habe dem Schweizer Bankensystem vertraut. Statt Schweizer Präzision gabs Vetterliwirtschaft.»
Der damals zuständige Bankangestellte der ING Bank in Lausanne sei mit dem Geschäftsführer von Spatial View verschwägert gewesen. Kearns: «Das ist ein klarer Interessenkonflikt. Trotzdem hat er die Zahlungen durchgewinkt. So etwas hätte der Bank nie passieren dürfen.»
Damit nicht genug. 2008 hatte die Psychotherapeutin ihre Wohnung in London für 1,6 Millionen Franken verkauft.
Sie liess das Geld auf Empfehlung des Brüsseler Portfoliomanagers auf dessen Firmenkonto in der Schweiz überweisen, das der Lausanner Banker betreute. Von dort aus sollte der Betrag an sie weitergeleitet werden, ging aber nie auf ihrem Depot ein: «Stattdessen wanderte das Geld teilweise nach Jersey, teilweise nach Deutschland», so Kearns. «Mein Vermögen wurde weggemäht. Es kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben!»
Kearns hat eine zentrale Frage an die Adresse von Julius Bär: «Wie kann es sein, dass niemandem aufgefallen ist, dass die Unterschrift gefälscht wurde?» Ein Gutachten, das Kearns in Auftrag gab, hält fest: Es gebe eine «starke Evidenz», dass mehrmals Unterschriften gefälscht worden seien.
Kein Geld für Anwälte
Seit Jahren kämpft Kearns nun schon um ihr Vermögen. Mittlerweile lebt sie mit ihrer Ehefrau Penelope (79) im Südwesten Frankreichs. «Uns geht es nicht gut. Meine Frau ist pflegebedürftig, bei mir wurde Brustkrebs entdeckt. Wir brauchen das Geld.»
Anwälte könne sie sich nicht leisten. Deswegen habe sie sich auf eine Prozessfinanzierung eingelassen. Sollten sich ihre Anwälte vor Gericht durchsetzen, muss sie einen Teil des erkämpften Geldes abtreten.
Anne Kearns ist überzeugt: «Die Bank Julius Bär wusste von den Verfehlungen der Banker, oder die Compliance-Verfahren haben nicht funktioniert. So etwas darf einer Schweizer Bank nicht passieren.»
Strafanzeigen hätten bislang zu nichts geführt. Nun setzt sie auf eine Zivilklage vor dem Bezirksgericht Zürich.
Die Bank Julius Bär wollte den Fall nicht kommentieren. Für die involvierten Banker gilt die Unschuldsvermutung.