Eigentlich wäre ich jetzt in Kasachstan. Als Mitglied der Schweizer Delegation dürfte ich unser Land an der Internationalen Wirtschaftsolympiade vertreten. Mittlerweile hätte ich meine Prüfungen beendet und könnte die Zeit nun geniessen, um das Land zu entdecken. Stattdessen sitze ich zu Hause und kommuniziere über Zoom.
Die Wirtschaftsolympiade ist ein Anlass, bei dem sich Schüler vor dem Unistudium in Wirtschaftsthemen messen. Getestet werden Financial Literacy, Economics und ein Business Case. Jedes Land darf ein Team von bis zu fünf Personen an die Olympiade schicken. In diesem Jahr nahmen 29 Nationen teil. Wegen des Coronavirus findet alles online statt.
Bern statt Astana
So verbringe ich eine Woche in Bern, gemeinsam mit Dario Ackermann (19), Silvan Thut (19) und Ana Van der Ree (18). Wir bilden das Schweizer Team. Natürlich ist die Enttäuschung gross gewesen, als wir den Bescheid erhielten alle Prüfungen online abzulegen.
Und prompt: So ganz problemlos verläuft die Umstellung auf online nicht. In meiner ersten Prüfung funktioniert mein Login nicht, und ich warte lange 17 Minuten verzweifelt darauf, die Prüfung endlich beginnen zu können. Der erste Prüfungsteil, Financial Literacy, basiert auf einer Simulation, in der die Finanzen eines fiktiven Charakters übernommen werden. Die Simulation hat bereits begonnen, und ich bemühe mich nach Kräften, die verlorene Zeit wieder aufzuholen.
Vier Stunden im Sichtfeld von Kameras
Im zweiten Teil muss ich Fragen in Economics beantworten und vier Essays zu offenen Themen schreiben. Wir werden während vier Stunden von drei Kameras überwacht und dürfen uns nicht aus deren Sichtfeld bewegen. Ein Freiwilliger beobachtet jeden von uns.
Zuletzt müssen wir in der Gruppe einen Business Case lösen. Als Team haben wir 24 Stunden lang Zeit, um das Pricing eines Corona-Impfstoffs auszuarbeiten. Es gilt zu entscheiden, wem wir zu welchem Preis verkaufen. Wir entscheiden uns für dynamische Preise. Mit einer eigens aufgestellten Formel können wir den Impfstoffpreis für jedes Land anhand seines Bruttoinlandprodukts berechnen. Ausserdem beschliessen wir, zuerst an jene Länder zu verkaufen, die am stärksten vom Virus betroffen sind.
Diese Idee präsentieren wir auch vor einer Jury online. Leider hat ein Juror unseren Vorschlag nicht verstanden. Auch sonst schien der neuartige Ansatz wenig Anklang zu finden. Wir werden doch wirklich gefragt, weshalb wir zuerst den reichen Ländern verkaufen und die Länder mit hohen Fallzahlen ausklammern. Das ist exakt das Gegenteil von dem, was wir präsentiert haben.
Bronzemedaille für die Schweiz
Die 130 Teilnehmer kommen unter anderem aus Malaysia, Ghana, Sri Lanka, Bangladesch oder Neuseeland. Es gibt Auszeichnungen für die einzelnen Prüfungsteile, als auch für die Gesamtwertung. Silvan Thut aus der Schweiz gewinnt eine Bronzemedaille für den gesamten Wettbewerb. Ich verpasse dieselbe Medaille ganz knapp um 0,4 Punkte. In der Teamwertung gewinnt Brasilien vor Indonesien und Russland.