Der französische Pharmakonzern Sanofi liefert seine Impfstoffe hierzulande ab Ende Monat aus. Verabreicht würden sie prioritär den 2,7 Millionen Menschen, die am meisten gefährdet sind – Risikopatienten und über 65-Jährige, erzählt Sanofi-Schweiz-Chef Andrea Meyer (42) dem BLICK.
Leider handelt es sich bei der Lieferung nicht um Corona-Impfstoffe, sondern um einen der zwei in der Schweiz zugelassenen Impfstoffe gegen die kommende saisonale Grippe – daran sterben hierzulande jährlich 600 bis 700 Menschen.
Hätte Sanofi bereits einen Corona-Impfstoff, wäre die Verteilung sehr ähnlich. Im Wettrennen liegt der Konzern auch deshalb vorne, weil er beim Corona-Impfstoff auf die bewährte Technologie seiner Grippeimpfung setzt.
Immenser Erfolgsdruck
«Wenn die Resultate der Phasen 1 und 2 positiv sind, wird die Testphase 3 Ende Jahr starten», sagt Meyer. «Wir rechnen damit, dass der Impfstoff ab dem zweiten Halbjahr 2021 verfügbar ist, sofern die Phase 3 positiv verläuft.» Er wird zusammen mit der britischen GSK entwickelt. Für die Marktzulassung müssen Arzneimittel drei klinische Testphasen an Menschen absolvieren. In jeder Phase nehmen mehr Probanden teil, wird die Dosierung gesteigert.
Der Erfolgsdruck ist immens. Besonders die US-Regierung hat eine hohe Erwartungshaltung. Nicht nur, weil sie damit bei den Wahlen punkten will, sondern auch, weil sie 10,8 Milliarden Dollar in die Entwicklung steckte – und zwar genau in die Impfstoffe der Firmen, die jetzt an der Spitze sind: Pfizer, Astra Zeneca, Moderna, Novavax, Sanofi und Johnson & Johnson. Vom Geldregen profitiert auch die Schweiz: Lonza produziert für Moderna, J&J forscht unter anderem in Bern. Nur die deutsche Curevac erhielt keine US-Geldspritze.
«Diesen Druck muss man aushalten», findet Meyer. Die Priorität von Sanofi sei von Anfang an ein sauberer Ablauf gewesen mit allen wichtigen Schritten für die Entwicklung – wie es sich gehöre.
Angesichts der Ängste in der amerikanischen, aber auch der europäischen Bevölkerung, dass die Firmen unter dem Erfolgsdruck Risiken eingehen, sahen sich die Pharmakonzerne diese Woche gezwungen, auf Trumps neuste Ankündigung zu reagieren. So versprachen die Konkurrenzkonzerne in einer Erklärung, dass sie sich trotz Zeitdruck zu einer sorgfältigen Impfstoffentwicklung nach wissenschaftlichen Standards verpflichteten.
Rückschläge gehören dazu
Es sollte nicht immer die Frage gestellt werden, wann der erste Corona-Impfstoff komme, so Meyer. Vielmehr soll sie lauten: «Wann haben wir einen effizienten und sicheren Impfstoff?»
Aus Sicherheitsgründen überraschend die Notbremse gezogen hat die bisherige Nummer zwei im Rennen, Astra Zeneca. Weil eine Probandin schwer erkankte, wurden die Tests unterbrochen, bis klar ist, was die Krankheit ausgelöst hat.
«Solche Fälle können beim Testen vorkommen», weiss der Sanofi-Schweiz-Chef. Das zeige, wie wichtig es sei, die klinische Entwicklung wirklich sorgfältig durchzuführen. Das kostet allerdings Zeit!
Der Bund hat mit Astra Zeneca einen Lieferdeal vorgespurt und zeigt sich trotz Rückschlag optimistisch. «Wir bleiben mit Astra Zeneca in Kontakt», so eine Sprecherin. Auch Sanofi sei mit dem Bund im Austausch für eine Lieferung, sagt Meyer.
Schweiz hat noch 130 Millionen Franken für weitere Impfstoff-Käufe
Bereits im August hat der Bund mit der US-Firma Moderna die Lieferung von 4,5 Millionen Impfdosen vereinbart. Sie kosten geschätzte 170 Millionen Franken. Insgesamt stellt der Bund 300 Millionen Franken für Corona-Impfstoffe bereit.
Gesichert hat sich die Schweiz damit erst einen Impfstoff mit einer Technologie, die bisher noch nirgends zugelassen ist. Auch der erstplatzierte US-Rivale Pfizer und die deutsche Curevac verfolgen diesen Ansatz mit dem sogenannten Boten-RNA. Genau mit diesem Ansatz hat Sanofi einen zweiten Impfstoff in Entwicklung. Er befindet sich aber mit 145 weiteren Kandidaten noch in der vorklinischen Phase, wurde also noch nicht an Menschen getestet.
Wieso setzt Sanofi auf zwei Pferde? Nur wenige der Impfstoffkandidaten weltweit würden es schaffen, antwortet Meyer. Weiter: «Mit zwei haben wir eine grössere Chance, dass wir mithelfen können, die Krise einigermassen zu bewältigen.