Sitzungszimmer in Bern, Mittwochabend: Simonetta Sommaruga (61) ist gerade in einem Zoom-Chat. «Es berührt mein Herz, wenn ich sehe, wie beängstigend die Situation gewesen sein muss», sagt sie und legt demonstrativ die rechte Hand auf ihr Herz. Doch am anderen Ende der Leitung runzeln alle nur verwirrt die Stirn. «Man hört nichts», und «Ich glaube, sie ist stummgeschaltet», murmeln die Leute. Sommaruga bemerkt die Unruhe, blickt fragend ihren Techniker an. «Sorry», sagt er und greift hastig nach der Maus. Neuer Anlauf: «Können Sie mich jetzt verstehen?», fragt Sommaruga und lächelt.
Es ist eine Situation, die jeder im Homeoffice kennt. Doch Sommaruga ist nicht in einem gewöhnlichen Zoom-Chat. Die Umweltministerin leistet in dieser Woche Pionierarbeit. Sommaruga weilt von Montag bis Donnerstag auf Arbeitsbesuch in Kalifornien. Das Besondere daran: Der Bundesratsjet PC-24 hob nie von Bern-Belp in Richtung San Francisco ab. Sommarugas Stippvisite ist die erste grüne Reise einer Bundesrätin überhaupt. Alles findet virtuell statt – die Besichtigung von Firmen, gemeinsame Veranstaltungen und bilaterale Gespräche mit Politikern.
Drohnen und Zeitverschiebung
«Das ist ein Pilotversuch», sagt Sommaruga zu Blick. «Mit einer virtuellen Reise spart man viel Zeit und CO2. Das Potenzial ist gross.» In Kalifornien kommen sogar Drohnen zum Einsatz, damit sich die Bundesrätin im «Golden State» wähnt. Die technische Umsetzung ist ein Husarenstück. Ein gutes Dutzend Leute sind daran beteiligt.
«Es fühlt sich an, als wäre ich in Kalifornien vor Ort», schwärmt Sommaruga. Auch die Meetings werden in Echtzeit angesetzt – trotz Zeitverschiebung von neun Stunden. Gerade der Mittwoch wird für die Bundesrätin so zum Marathon-Tag. Los gehts am Morgen mit der Bundesratssitzung. Der Tag endet spätabends mit dem Besuch in Kalifornien. «Machen wir hier fertig», sagt eine sichtlich müde Sommaruga kurz vor 22 Uhr.
Klimawandel trifft Kalifornien stark
Der Umweltministerin hat Kalifornien wegen des Klimawandels ausgewählt. Der Bundesstaat ist davon stark betroffen. Jahr für Jahr werden in der Waldbrandsaison neue Rekorde aufgestellt. 2020 war das schlimmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen. 18'000 Quadratkilometer Land sind verkohlt – das entspricht etwa der Hälfte der Fläche der gesamten Schweiz.
Die Bilder aus San Francisco im vergangenen September gingen um die Welt. In der Stadt wurde es nicht mehr dunkel in der Nacht. Der Himmel erschien in einem rot-orangen Licht – 24 Stunden und 7 Tage die Woche. Auch in der Metropole San Diego konnte man wegen des Rauches wochenlang keinen blauen Himmel sehen. Dort erreichte die Luftqualität zwischenzeitlich den bedenklichen Wert von 220 – doppelt so hoch wie gleichentags in der chinesischen Smog-Hölle Peking.
«Die Schweiz ist auch vom Klimawandel betroffen, wenn auch weniger stark als Kalifornien», sagt Sommaruga. «Das ist ein globales Problem. Das Ziel des Arbeitsbesuchs ist es, von den Erfahrungen aus Kalifornien zu lernen.» Dafür trifft die Umweltministerin unter anderem die kalifornische Vizegouverneurin Eleni Kounalakis (55). Ein Gespräch unter vier Augen – Blick muss das Sitzungszimmer verlassen.
Immer wieder Aussetzer
Technisch läuft auf dieser ersten virtuellen Reise nicht alles rund. Am Dienstag will eine Vertreterin des Bundesamtes für Umwelt (Bafu) den Amerikanern ein Video über die Schweizer Nationalparks zeigen. In Kalifornien sieht man die Ausschnitte zwar – aber ohne Ton.
Oder am Mittwoch: Im Zoom-Chat friert das Bild eines Experten immer wieder ein. Schlimmer ergeht es seinem Kollegen von der kalifornischen Behörde für Forstwesen und Brandschutz. Minutenlang hört Sommaruga seinen stockenden Ausführungen zu. Verständlich ist nichts davon. Irgendwann wirds einem Teilnehmer in San Francisco zu bunt. Er platzt rein: «Wenn Sie das Video ausschalten, wird es vielleicht besser.» Sommaruga lächelt.
Stadler Rail in Kalifornien
Dass es auch anders geht, zeigt ein hochrangiges Gespräch Anfang Woche: Als sich die Bundesrätin mit dem Schweizer Milliardär Hansjörg Wyss (85) und Ex-US-Präsidentschaftskandidat Tom Steyer (63) austauscht, ist die Verbindung stabil. Auch die virtuellen Besuche bei Elektrobauer Tesla und dem Schweizer Zugbauer Stadler Rail klappen.
Bei Stadler Rail erzählt man Sommaruga stolz vom ersten wasserstoffbetriebenen Zug, der für Kalifornien gebaut wird. «Der Austausch ist für uns wichtig. Diese Firmen investieren in eine klimafreundliche Zukunft – in saubere Technologien und eine Mobilität, die ohne fossile Treibstoffe funktioniert», sagt die Bundesrätin.
Ihr Schlusswort nach einer langen Woche: «We keep on fighting.» Also: «Wir werden weiter kämpfen.» Damit meint sie den Klimawandel – aber wohl auch ein wenig die Technik.