BLICK-USA-Korrespondent Nicola Imfeld über das Leben in Kaliforniens Feuerhölle
Wir erleben hier das Jahr 2030

Die ganze US-Westküste brennt! So schlimm wie dieses Jahr war es in Kalifornien noch nie. BLICK-USA-Korrespondent Nicola Imfeld lebt in San Diego und hat seit einer Woche keinen blauen Himmel mehr gesehen. Ein Erfahrungsbericht.
Publiziert: 15.09.2020 um 08:55 Uhr
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Aktualisiert: 15.09.2020 um 12:26 Uhr
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Zerstörung: Die Waldbrände an der Westküste wüten seit Mitte August.
Foto: AFP
Nicola Imfeld aus San Diego (USA)

Sonntagabend, 6. September: Gerade geht die Sonne über dem Meer unter. Die letzten Sonnenstrahlen streifen noch meinen Balkon, als ich mit Freunden gemütlich eine lange Woche ausklingen lasse. Es ist das erste Wochenende nach dem monatelangen Coronavirus-Lockdown in San Diego. Ein Blick auf die Wetterprognose für die kommenden sieben Tage lässt uns frohlocken: nur Sonnenschein. Nicht ein einziges Wölkchen zeigt meine App an. Von Montag bis Montag. Temperaturen: 27 bis 34 Grad. Ich mache einen Screenshot und schicke das Bild in meinen Familienchat, versehen mit einem neckischen Emoji (😛).

Eine Woche später: Wieder ist es Sonntagabend, wieder sind wir auf dem Balkon. Nur der Sonnenuntergang fehlt. Die Sicht ist komplett vernebelt durch den Rauch des «Valley Fire», das seit Tagen rund 40 Kilometer östlich von Downtown San Diego lodert. Einen blauen Himmel, den meine ansonsten zuverlässige Wetterapp angekündigt hatte, suchte man die ganze Woche über vergebens. Mit dem Rauch sind wir aufgestanden, mit dem Rauch sind wir ins Bett gegangen.

19'000 Quadratmeterkilometer verkohlt – die Hälfte der Schweiz!

Die Waldbrandsaison in Kalifornien hat eigentlich erst gerade angefangen. Doch bereits jetzt gelten die diesjährigen Brände als die schlimmsten seit Beginn der Aufzeichnung. Mehr als 30'000 Feuerwehrleute und Helfer sind im Einsatz, um der Flammen Herr zu werden. Schon jetzt sind laut Behörden rund 19'000 Quadratkilometer Land verkohlt – das entspricht knapp der Hälfte der Fläche der gesamten Schweiz!

Die Brände bedrohen nicht nur die Infrastruktur von ganzen Städten, sondern auch die Gesundheit der Menschen. Kalifornien hat seit Ausbruch der ersten Feuer Mitte August 24 Opfer gemeldet. Dutzende Menschen werden vermisst. Zehntausende sind auf der Flucht.

Die ganze US-Westküste brennt

Wie ausserordentlich schlimm die Lage dieses Jahr bereits ist, verdeutlichen die Bilder aus San Francisco. Was normalerweise nur der trendigste Filter hinkriegt, können die Menschen in Nordkalifornien nun mit eigenem Auge erfahren: Alles erscheint in einem rot-orangen Licht. Ein Augenzeuge beschrieb das Phänomen gegenüber dem «San Francisco Chronicle» vergangene Woche als einer «Apokalypse ähnlich».

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San Francisco ohne Sonne!«Es fühlt sich an wie die Apokalypse»

Kalifornien ist mit seinem Schicksal dieses Jahr nicht allein. An der ganzen Westküste kämpfen die Bundesstaaten gegen die Flammen. In Oregon sind rund 4000 Quadratkilometer Waldfläche abgebrannt – doppelt so viel wie in einem durchschnittlichen Jahr. Die Kleinstadt Detroit ist nahezu komplett zerstört, wie CNN gestern berichtete. Dort stehen nur noch etwa zwei Dutzend Gebäude. Mehrere Feuerwehrleute im Ort hätten ihr eigenes Zuhause verloren und kämpften nun für den Schutz der verbliebenen Häuser. Anwohnerin Elizabeth Smith sagte dem Sender, ihr Haus sei vollkommen zerstört worden. «Es sieht aus, als sei eine Bombe explodiert.»

Luftqualität in San Diego doppelt so schlimm wie in Peking

So dramatisch ist es in den grossen Metropolenregionen in Kalifornien noch nicht. Nebst den eindrücklichen Bildern und dem fehlenden blauen Himmel setzt uns hier jedoch vor allem die Luftqualität zu. Der Luftqualitätsindex für San Diego erreichte am vergangenen Freitag mit einem Wert von 220 die Stufe «extrem». Sportliche Aktivitäten sollten bei einer solch hohen Luftverschmutzung selbst junge und gesunde Menschen nicht treiben. Zum Vergleich: Die chinesische Grosstadt Peking, bekannt für ihren Smog, kam gleichentags auf eine Luftqualität von 111.

Noch schlimmer als in San Diego ist es derzeit in Teilen des Bundesstaats Oregon. Dort schlug am Sonntag die Gesundheitsbeauftragte vom Clackamas County südöstlich der Stadt Portland Alarm: «In unserer Region herrscht derzeit die schlechteste Luftqualität der Welt. Es ist nicht nur ungesund, es liegt im gefährlichen Bereich.»

Klimawandel: «Kalifornien ist Amerika im Schnelldurchlauf»

Wir an der US-Westküste durchleben nach Ansicht von Experten gerade eine Zeit, die dem ganzen Land in einigen Jahren blühen wird. Gavin Newsom (52), der Gouverneur von Kalifornien, sprach von einem Einblick ins Jahr 2030. «Kalifornien ist Amerika im Schnelldurchlauf», sagte er am vergangenen Wochenende und betonte, dass der Klimawandel «real» sei und «jetzt» stattfinden würde.

Klimaexperte Zeke Hausfather von der Denkfabrik Breakthrough Institute formulierte es in der «Los Angeles Times» so: «Leute, die seit 30, 40 Jahren in Kalifornien leben, sagen, es ist beispiellos, es war noch nie so heiss, es war noch nie so verraucht in all den Jahren, in denen ich hier lebe.» Was man jetzt in Kalifornien sehe, seien Ereignisse, bei denen man klar sagen könne, dass sich der Klimawandel verschlimmert habe.

Gouverneur zu Klimawandel-Leugnern: «Seht euch das an»
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Trump leugnet Klimawandel bei Besuch

Donald Trump (74) wollte sich am Montag ein eigenes Bild der Lage machen. Der US-Präsident besuchte uns in Kalifornien – und enttäuschte auf der ganzen Linie. Der Republikaner wollte nichts vom Klimawandel wissen, den er selbst leugnet, sondern kritisierte das aus seiner Sicht schlechte Forstmanagement.

«Es wird anfangen, kühler zu werden, schauen Sie einfach zu», sagte Trump zum kalifornischen Minister Wade Crowfoot. Crowfoot entgegnete: «Ich wünschte, die Wissenschaft würde Ihnen zustimmen.» Trump erwiderte: «Nun, ich denke nicht, dass die Wissenschaft es wirklich weiss.»

Eine Falschaussage: Wissenschaftler sehen es als erwiesen an, dass die Klimakrise Wetterextreme wie Trockenheit und Hitze verschärft, die zu heftigeren Waldbränden beitragen können. Wer das immer noch nicht glaubt, sollte jetzt nach Kalifornien kommen. Der US-Präsident darf sich gern auf meinem Balkon davon überzeugen. Er muss nur in die Ferne schauen – dorthin, wo die Sonne hinter den dicken Rauchschwaden seit Tagen scheinbar nicht mehr untergeht. Willkommen im Jahr 2030, Mr. President.

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