Auf einen Blick
Die ETH Zürich hat eine brisante Lohnforderung am Hals. Das zeigen Recherchen der «Handelszeitung» auf der Basis von Dokumenten, die die ETH-Beschwerdekommission publiziert hat. Das Thema: Der ETH wird vorgeworfen, bei den Löhnen Doktorandinnen und Doktoranden nach Geschlecht zu diskriminieren. Nachdem die ETH nicht auf die Forderung eintreten wollte, liegt der Fall nun beim Bundesverwaltungsgericht.
Es stehen sich zwei Parteien gegenüber: Auf der einen Seite reichten eine Doktorandin und ein Doktorand je eine Beschwerde (BK 2023 33 und BK 2023 34) ein, vertreten durch zwei Anwältinnen der Kanzlei Streichenberg und Partner. Auf der anderen Seite verteidigt sich die ETH mit zwei Anwälten von Walder Wyss. Der zentrale Vorwurf: Doktorierende in Fachbereichen mit vielen Männern würden systematisch besser bezahlt als Doktorierende in Bereichen mit vielen Frauen.
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Im Zentrum steht eine Lohnforderung der beiden Doktorierenden, sie verlangen von der ETH Nachzahlungen. Im Zwischenentscheid der Doktorandin heisst es beispielsweise, «dass auf ihr Begehren um Lohngleichbehandlung einzutreten und die Beschwerdegegnerin zu einer Lohnnachzahlung von CHF 140’860 brutto (...) samt Zins zu verpflichten sei». Zusätzlich fordern die zwei Beschwerdeführenden einen Teuerungsausgleich für die Periode vom 1. Januar 2019 bis zum 28. Februar 2023.
Die ETH arbeitet mit verschiedenen Lohnbändern
Beide Doktorierende erhielten zu Beginn ihres Doktorats einen Jahreslohn von 47'040 Franken, im Januar 2022 stieg dieser auf 50’040 Franken. Der Betrag entspricht dem untersten Ansatz der Lohnbänder der ETH Zürich. Als eine der wenigen Hochschulen führt sie fünf verschiedene Lohnbänder für Doktorierende. Deren Skalen reichen zum heutigen Zeitpunkt von 50’700 bis 72’800 im ersten Jahr, steigen jährlich an und liegen im dritten Jahr zwischen 53'900 und 83'200 Franken. Auffällig: Wer höher eingestuft ist, erhält eine prozentual höhere Lohnsteigerung. Die einzelnen Departemente legen ihre Lohnansätze selber fest.
Hier soll die Lohndiskriminierung stattfinden: Studiengänge, in denen überwiegend Männer doktorieren, sollen generell den höheren Lohnansatz erhalten, während in Studiengängen mit steigendem Anteil Doktorandinnen tendenziell der untere Lohnansatz angewendet werden soll.
Ein Blick in die Datenbank der ETH zeigt, dass an der ETH im vergangenen Jahr 35 Prozent der Doktorierenden weiblich waren. In Bezug auf die einzelnen Departemente unterscheiden sich die Werte stark. 84 Prozent der Doktorierenden im Bereich Mathematik sind männlich, in der Informatik sind es rund 80 Prozent. Es gibt jedoch auch Studiengänge, in denen Männer in der Unterzahl sind. Im Bereich der Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften, der Gesundheitswissenschaften und Technologie oder der Umweltsystemwissenschaften doktorieren etwas mehr Frauen als Männer.
ETH schweigt zu den Vorwürfen
Wer welchen Lohnansatz erhält, lässt sich von aussen nicht eruieren. Die ETH kommentiert auf Anfrage weder den aktuellen Fall, noch legt sie Lohnunterschiede nach Fachbereichen offen. Sie verweist darauf, dass bei der Anwendung diverse Kriterien wie Tätigkeitsanforderungen, die aufzuwendende Zeit, die Erfahrung, die wirtschaftliche und finanzielle Lage sowie die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt den Ausschlag geben können.
Etwas mehr Orientierung bietet der Schweizerische Nationalfonds (SNF). Der Fonds legt ein Lohnband fest, innerhalb dessen sich die Löhne für SNF-Doktorierende bewegen sollen. Der SNF legt auf Anfrage Wert darauf, dass mindestens die Untergrenze – sie wurde im Juli neu auf 50’000 Franken angesetzt und soll ab 2026 in Kraft treten – eingehalten wird. Nach oben liege der Betrag in der Autonomie der Hochschulen. Dass die ETH in Bereichen wie der Informatik ihre Löhne erhöhe, liege in der Natur der Sache, da sie im Kampf um Talente mit Tech-Unternehmen wie Google konkurriere, sagt der stellvertretende Direktor des SNF Thomas Werder.
Die Beschwerdekommission prüft das Begehren
Nun müssen die Gerichte entscheiden, ob die von den Doktorierenden bemängelten Lohnunterschiede gerechtfertigt sind oder nicht. Die Beschwerdekommission der ETH wurde eingeschaltet, weil die Hochschule erst gar nicht auf die Forderung eintreten wollte. Der Schriftenwechsel in der Folge lässt sich aus dem Dokument eruieren. Die Doktorierenden werfen der ETH vor, dass «die willkürliche Anwendung der Lohnansätze Grundlage des Arbeitsvertrages sei».
Die ETH beruft sich auf das Vertragsrecht und den Grundsatz «pacta sunt servanda». Ein öffentlich-rechtlicher Einzelarbeitsvertrag, in dem sich beide Parteien über die wesentlichen Punkte geeinigt hätten – wozu auch der Lohn gehört – könne somit nicht einfach infrage gestellt werden. Entsprechende Anpassungen müssten neu verhandelt und vereinbart werden.
Gerichtsentscheid könnte zum Leiturteil werden
Die Beschwerdekommission kommt gemäss den Unterlagen zum Schluss, dass die ETH eine Rechtsverweigerung begangen habe und dass sie die Anliegen der Doktorierenden zumindest zu prüfen habe. Die ETH müsse untersuchen, ob die Assistenzstellen im Vergleich zu anderen Departementen als geschlechtsspezifische Positionen betrachtet werden können. Sollte dies zutreffen, müsse sie weiter untersuchen, ob tatsächlich eine Lohnungleichheit im Vergleich zu Doktorierenden anderer Departemente nachgewiesen werden kann. Falls dies der Fall sei, müsse die ETH klären, ob es gerechtfertigte Gründe für die grossen Gehaltsunterschiede gibt, bevor sie eine endgültige Entscheidung trifft.
Anstatt diesen Weisungen nachzukommen, wurde der Fall nun ans Bundesverwaltungsgericht weitergezogen. Dessen Entscheid wird einem Leiturteil gleichkommen, denn der Fall ist nicht nur für die betroffenen Parteien von Bedeutung, er könnte auch für künftige Streitfälle an Hochschulen richtungsweisend sein – insbesondere für die Fragen nach der rechtlichen Handhabe bei Lohndiskriminierung, nachträglicher Lohnzahlung und Vertragsanpassungen.