Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt prophezeit
«Im Frühling haben wir deutlich über 200'000 Arbeitslose»

Die zweite Coronawelle setzt der Schweizer Wirtschaft zu. Bereits geschwächte Betriebe könnten vermehrt dichtmachen. Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt rechnet mit einem starken Anstieg der Arbeitslosenzahlen.
Publiziert: 10.11.2020 um 15:17 Uhr
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Aktualisiert: 24.11.2020 um 14:07 Uhr
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Valentin Vogt rechnet mit weit über 200'000 Arbeitslosen.
Foto: Thomas Meier

Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt malt in der «NZZ» ein düsteres Szenario. Er rechnet im nächsten Frühling mit deutlich mehr als 200'000 Arbeitslosen und einer dramatischen Konkurswelle. Er warnt eindringlich davon, von einem Lockdown zu nächsten Lockerung zu stolpern.

«Wir müssen einen solchen Jo-Jo-Effekt unbedingt vermeiden und uns darauf einstellen, dass das jetzige Regime bis im Frühjahr gelten wird. Immerhin hat die zweite Welle das wirtschaftliche Leben bisher deutlich weniger beeinträchtigt als die erste Welle», sagt er. Und: «Die Schulen, die Grenzen und auch die Läden in den meisten Kantonen bleiben geöffnet. Auch der private Konsum ist bisher nicht eingebrochen. Aber wir haben derzeit 150'000 Arbeitslose, und schätzungsweise 300'000 Leute sind in Kurzarbeit.»

Vor allem die langfristige Entwicklung bereite ihm Sorgen. «Wir müssen den jetzigen Weg weitergehen und dezentral nur die unbedingt notwendigen Einschränkungen verfügen. Der wichtigste Stabilisator ist und bleibt die Kurzarbeit», so Vogt weiter. «Es gilt zudem, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht weiter zu verschlechtern.

«Ein Teil der Branchen verliert an Boden»

Die Schweizer Wirtschaft dürfte aufgrund der neuen Massnahmen zur Eindämmung des Coronavirus zum Jahresende noch einmal schrumpfen, teilte auch die UBS in ihrem «Outlook Schweiz» mit. Eine tiefe Rezession sei zwar nicht zu erwarten. Allerdings verstärke sich mit der Eintrübung der Stimmung die Zweiteilung der wirtschaftlichen Genesung.

Diese wird als K-förmige Erholung bezeichnet: «Ein Teil der Branchen erholt sich, ein anderer verliert weiter an Boden», sagte UBS-Ökonom Alessandro Bee an einer Online-Medienkonferenz. Wenig von der Krise getroffen wurden etwa die Pharma- oder Finanzbranche. Dazu kommen Bereiche, die sich schnell erholten, wie der Bau.

Auf der anderen Seite stünden Branchen, die durch die Rezession bereits im ersten Halbjahr geschwächt worden seien, sagte Bee. Dazu gehörten etwa die Gastronomie, die Reise- sowie die Eventbranche. Diese seien auch jetzt wieder am stärksten betroffen. «Eine neue Konjunkturdelle kann viele geschwächte Betriebe endgültig zur Aufgabe zwingen», sagte Bee.

Arbeitslosigkeit auf 3,9 Prozent

Er geht daher davon aus, dass sowohl die Konkurse als auch die Arbeitslosigkeit in den kommenden Monaten ansteigen werden. Die UBS rechnet insgesamt damit, dass die Arbeitslosigkeit im kommenden Jahr auf 3,9 Prozent steigt.

In vielen betroffenen Branchen beschleunige die Krise den Strukturwandel, sagte Bee. So habe der Onlinehandel massiv profitiert. Die stationäre Gastronomie könnte derweil an Boden verlieren, während Heimlieferdienste boomen. «Dieser Trend könnte auch über die Krise weiterbestehen, wenn sich die Leute daran gewöhnen.»

UBS-Chefökonom Daniel Kalt wies zudem daraufhin, dass nicht alle Länder gleich mit diesem Strukturwandel umgingen: «Wie schnell und wie stark lassen wir den Strukturwandel zu? Da gibt es auf der Welt zwei Herangehensweisen.» In Europa und auch in der Schweiz etwa würden Firmen über die Kurzarbeit gestützt und damit werde dafür gesorgt, dass die Leute ihre Arbeit behalten und die Unternehmen weiter existieren könnten.

Milderer Lockdown

In den USA sei dagegen der Grossteil der Unterstützungen nicht an die Firmen gegangen, sondern direkt an die Privathaushalte über erhöhte Arbeitslosengelder und Schecks. «In der mittleren Frist bedeutet das, dass in den USA der Strukturwandel viel schneller zugelassen wird und die Unternehmen sich schneller darauf einstellen», sagte Kalt. Indem hierzulande der Strukturwandel behindert werde, werde auch das langfristige Wachstumspotenzial beeinflusst.

Doch die Schweiz hat in dieser Krise auch Trümpfe ausspielen können. So hat sie sich verglichen mit anderen Ländern gut geschlagen. Ökonom Bee sieht dafür zwei Gründe verantwortlich: Erstens sei der Lockdown in der Schweiz im Frühjahr milder und weniger lang ausgefallen als in den Nachbarländern. Zweitens trage in der Schweiz die krisenresistente Pharmaindustrie viel zur Wertschöpfung bei.

Wirtschaft schrumpft um 4,5 Prozent

Insgesamt rechnen die UBS-Ökonomen weiter damit, dass die Schweizer Wirtschaft 2020 um 4,5 Prozent schrumpfen wird. Die Erholung im kommenden Jahr dürfte allerdings aufgrund der aktuellen Lage etwas später einsetzen als bislang erwartet: Daher senkten sie die Prognose für 2021 auf +3,2 Prozent von +3,9 Prozent im September. Die Erholung sollte sich dann 2022 mit +3,1 Prozent fortsetzen.

Eine schnellere Erholung bereits zu Jahresbeginn 2021 könnte es dann geben, wenn ein Impfstoff schnell verfügbar wäre, sagte Bee weiter. Seit gestern erscheint das nicht mehr so unwahrscheinlich: Am Montag hatten die Pharmaunternehmen Biontech und Pfizer ermutigende Studienergebnisse vorgestellt.

Dennoch blieben die konjunkturellen Risiken gross, warnte die UBS. Sollte die Pandemie einen erneuten flächendeckenden Lockdown in der Schweiz und in Europa einfordern, so wäre eine zweite schwere Rezession vorprogrammiert. (pbe)

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