Angst und Verzweiflung bei Älteren und Familien nehmen zu
Wie sich Miethaushalte gegen Leerkündigungen wehren können

Leerkündigungen nehmen zu und sorgen bei Mieterinnen und Mietern in zentralen Lagen wie Zürich, Genf und Zug für Unsicherheit und Angst. Familien und ältere Menschen stehen unter Druck. Betroffene müssen diese Kündigungen nicht tatenlos über sich ergehen lassen.
Publiziert: 07:32 Uhr
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Aktualisiert: vor 22 Minuten
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Bei der Schlichtungsstelle der Stadt Zürich gingen im Januar 2025 insgesamt 141 Kündigungsschutzverfahren ein.
Foto: Philippe Rossier

Auf einen Blick

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Dorothea VollenweiderRedaktorin Wirtschaft

Angst und Unsicherheit machen sich breit. «Trifft es bald auch mich?», fragen sich immer mehr Mieterinnen und Mieter. In vielen Schweizer Städten und touristischen Berggemeinden ist die Wohnungsnot so gross, dass Einheimische um ihren Wohnraum zittern müssen. Sie fürchten sich vor Leerkündigungen, die immer häufiger für Schlagzeilen sorgen. Wohlwissend: Wer aus der Wohnung muss, wird in der Nähe so schnell nichts Vergleichbares mehr finden.

«Die Verunsicherung unter Mieterinnen und Mieter ist riesig», sagt Walter Angst (62) vom Mieterinnen- und Mieterverband Zürich. Besonders für Familien mit Schulkindern, Rentner und Haushalte mit einem tiefen Einkommen sei die Situation schwierig. «Für sie kann eine Wohnungskündigung zur Katastrophe werden», sagt Angst.

Die Not breitet sich aus

Und es seien bei weitem nicht nur die Stadtzürcher, die den Druck zu spüren bekommen. Laut einer Studie der Zürcher Kantonalbank wurden in den letzten Jahren in den Städten Basel, St. Gallen und Bern neben Zürich am meisten Leerkündigungen ausgesprochen. Genauso wie in Luzern, Winterthur und Davos. Auch in der Region zwischen Genf und Montreux VD ist die Situation schwierig.

Aktuelle Zahlen gibt es allerdings nicht. Vom Bund wird die Anzahl Schlichtungsverfahren im Zusammenhang mit Leerkündigungen nicht statistisch erfasst. Blick hat über zehn verschiedene Schlichtungsstellen angeschrieben, die wenigsten gaben im Detail Auskunft zu Kündigungsschutzverfahren. Einige haben ihre Fälle auf Anfrage von Blick ausgewertet.

Kündigungsschutzverfahren nehmen zu

Bei der Schlichtungsstelle der Stadt Zürich etwa gingen im Januar 2025 insgesamt 141 Kündigungsschutzverfahren ein. Zum Vergleich: Im Januar 2024 waren es gerade mal 28. Die starke Zunahme sei auf die umstrittene Leerkündigung der «Sugus-Häuser» zurückzuführen, heisst es. Aber auch davor gingen die Zahlen bereits nach oben: So gingen im Jahr 2022 insgesamt 827 Kündigungsschutzverfahren ein, 2024 waren es 1014.

Die Schlichtungsstelle in Dietikon ZH stellt ebenfalls eine Zunahme fest. Gingen im Jahr 2022 noch 66 Schlichtungsgesuche wegen Kündigungsschutz und Fristerstreckung ein, waren es 2024 mit 119 fast doppelt so viele. Im Januar 2025 sind bereits 15 weitere dazugekommen.

Bei der Zuger Schlichtungsstelle haben die Gesuche im Verlauf der letzten Jahre etwa um die Hälfte zugenommen, heisst es auf Anfrage. Im letzten Jahr waren es 140 Schlichtungsgesuche wegen Kündigungsschutz.

«Kann ein ganzes Leben auf den Kopf stellen»

Walter Angst betont, dass nicht mehr von Hotspots gesprochen werden könne. Denn die Welle schwappe jeweils auf die umliegenden Gemeinden über. Bei einer Leerkündigung werden alle Mieterinnen und Mieter einer Überbauung aus ihrer Wohnung geworfen, weil die Liegenschaft totalsaniert wird. Im Normalfall steigen die Mieten damit deutlich – nicht nur in der jeweiligen Liegenschaft. Sondern auch in der unmittelbaren Umgebung. «Wenn in Zürich-Wiedikon eine 4-Zimmer-Wohnung für 5500 Franken vermietet werden kann, tauchen in Bülach plötzlich Wohnungsangebote auf, die mehr als 3000 Franken kosten», weiss Angst.

Zuletzt passierte das in den «Sugus-Häusern» in Zürich. Über 100 Mietparteien müssen bis Ende September 2025 aus ihrer Wohnung. Für viele wird der Auszug mit einem Wohnortwechsel einhergehen müssen. «Das kann ein ganzes Leben auf den Kopf stellen», so der Experte.

Auch der Mieterverband bekommt die grosse Verunsicherung zu spüren. «Wir haben sehr viele Anfragen», sagt Angst. Herausfordernd seien vor allem die kurzen Fristen. Anfechtungen müssen innerhalb von 30 Tagen ab Erhalt der Kündigung mit eingeschriebenem Brief an die Schlichtungsbehörde abgeschickt werden.

Anfechtung der Kündigung lohnt sich

Von einer Leerkündigung betroffene Miethaushalte können laut dem Experten immer eine Anfechtung prüfen. Die Verfahren vor Schlichtungsbehörden sind kostenlos. «Wenn die Kündigung wegen eines Ersatzneubaus ausgesprochen wird, lohnt sich eine Anfechtung fast immer», sagt Angst. Meist werde in diesen Fällen auf einen viel zu frühen Termin gekündigt.

Sei das der Fall, könne man mehr Zeit einfordern. Beispielsweise ein Bleiberecht bis zum Beginn der Bauarbeiten zu den günstigen Konditionen des alten Mietvertrags. Oder eine Bevorzugung bei Mietangeboten der Verwaltung. Manchmal erhalten Mieter sogar Hilfe bei der Wohnungssuche.

Aber aufgepasst: Werden sich die Parteien vor der Schlichtungsbehörde nicht einig, wird der Fall vor das Mietgericht gezogen. Während der Gang an die Schlichtungsbehörde für Mieter gratis ist, kostet ein Verfahren vor dem Mietgericht in vielen Kantonen etwas.

Mietparteien, die sich ein mietgerichtliches Verfahren nicht leisten können – und keine Rechtsschutzversicherung haben –, sind in solchen Fällen im Nachteil. Eine Mitgliedschaft beim Mieterverband des jeweiligen Wohnkantons kann Abhilfe schaffen. Denn sie beinhaltet meist eine Rechtsschutzversicherung.

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