«Für mich grenzt es an Erpressung»
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Bewohnerin zu Klausel:«Für mich grenzt es an Erpressung»

284 Haushalte betroffen in Langnau am Albis ZH
«Wir wissen nicht, wie es weitergeht»

In Langnau am Albis ZH haben 284 Mietparteien der Vita-Siedlung überraschend die Kündigung erhalten. Die Zürich Versicherung plant eine Verdichtung des Geländes, was Bauarbeiten erfordert. Blick hat mit Betroffenen gesprochen.
Publiziert: 09:31 Uhr
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Aktualisiert: vor 42 Minuten
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In Langnau am Albis ZH haben 284 Mietparteien der Vita-Siedlung überraschend die Kündigung erhalten.
Foto: Google Maps

Darum gehts

  • Zürich Versicherung kündigt 284 Mietparteien in Langnau am Albis
  • Mieter können Kündigungsfrist verlängern, wenn sie auf rechtliche Schritte verzichten
  • Baustart für Sanierung und Verdichtung des 65'000 Quadratmeter grossen Geländes geplant
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.

Die Zürich Versicherung hat in der Vita-Siedlung in Langnau am Albis eine Massenkündigung ausgesprochen. 284 Mietparteien erhielten am Mittwoch ihre Kündigung. Die Mieter müssen auf Ende September ausziehen, es sei denn, sie verzichten mittels Vereinbarung, sich gegen die Kündigung zu wehren.

Die Eigentümerin plant eine umfassende Sanierung und Verdichtung des 65'000 Quadratmeter grossen Geländes. Laut der Liegenschaftsverwaltung Apleona Schweiz AG sind Renovierungen an Küchen, Bädern, Leitungen, Böden, Wänden, Treppenhäusern, Fassaden, Dächern und Fenstern notwendig.

«Das Gesamtprojekt sieht vor, dass ein wesentlicher Teil der heutigen Überbauung umfassend saniert wird und damit erhalten bleibt. Auf anderen Teilen des Areals entstehen nach dem Rückbau bestehender Gebäude neue Baukörper», heisst es in einem Begleitbrief zum Kündigungsschreiben, der Blick vorliegt. Das Projekt trage nachhaltig zur Entwicklung der Gemeinde bei. Die Realisierung solle zügig angegangen werden.

Mieter wehren sich

Die Kündigungsfrist könne um ein Jahr verlängert werden, wenn die Mieter auf rechtliche Schritte gegen das Bauvorhaben verzichten. Einige Bewohner wollen nun eine Interessengemeinschaft gründen und sich wehren.

Bewohnerin Emine Januzi (34) muss bis Ende September 2025 raus. Sie wohnt mit ihrer kleinen Tochter (3) und ihrem Mann in der Siedlung. In dem Gebäude habe ausserdem auch ihre Schwiegermutter und ihr Schwiegervater ein Zuhause gefunden. In einem weiteren Gebäude leben zudem auch noch ihr Bruder und dessen Frau, ihre Mutter und ihr Vater, wie sie Blick am Donnerstag erzählt. Fünf Wohnungen sind es insgesamt, die von Januzi-Familienmitgliedern bewohnt werden.

«Wir finden gar nichts», beklagt sich die Mutter. Ihre Tochter sei gerade in die Spielgruppe in Langnau gekommen. «Finde ich etwas in Langnau?», fragt sie sich. Woanders, befürchtet sie, wird das Wohnen deutlich teurer sein. «Ich brauche eine 3,5-Zimmer-Wohnung. Es ist schwierig.»

Familie mit autistischer Tochter muss raus

Auch Emine Shabani (34) und ihre Tochter Raja (3) werden wohl ausziehen müssen. Noch haben sie keine Kündigung erhalten, erwarten sie aber in den nächsten Tagen. Sie zahlt für ihre 3-Zimmer-Wohnung aktuell 1850 Franken. Die verheiratete Mutter von zwei Kindern ist alles andere als begeistert.

«Unsere älteste Tochter ist Autistin. Wir sind eigentlich schon länger auf der Wohnungssuche», sagt sie zu Blick. Insider hätten sie bereits vorgewarnt, dass die Wohnungen bald saniert werden. «Das war der ausschlaggebende Punkt, warum wir angefangen haben zu suchen.» Die Suche sei bislang aber erfolglos geblieben. 

Obwohl sie eine 80-Prozent-Stelle habe und ihr Mann in Vollzeit angestellt sei, gestalte sich die Wohnungssuche schon seit einem Jahr schwierig. Die autistische Tochter geht in Urdorf in die Schule. «Dort haben wir auch schon geschaut, aber es ist schwierig.» Ein wirkliches Hilfsangebot von Apleona gab es laut Shabani bislang nicht. 

«Wir bekommen keine Unterstützung»

Neben den Januzis und Shabanis müssen auch die Pontis ihr Zuhause im Herbst verlassen. Mutter Susan (40) wohnt mit ihrem Mann und fünf Kindern in einem Einfamilienhaus auf dem Gelände, welches saniert und teilweise abgerissen werden soll. «Wir haben schon immer gewusst, dass etwas passieren wird», sagt das Fünffach-Mami. Seit sechs bis sieben Jahren wohnt die Familie glücklich in der Liegenschaft.

Sie habe immer auf eine sozial verträgliche Kündigung gehofft, der Wohnungsmarkt lasse es nicht zu, dass sie etwas finden würden. «Wir leben sehr gerne hier. Es hat hier sehr viele Familien und Menschen aus allen Generationen. Jung, alt, einzeln, Kleinfamilie, Grossfamilie», zählt sie auf. Jetzt herrsche eine traurige Stimmung in der Vita-Siedlung. 

Ponti arbeitet in Langnau in der Schulpflege, ein Umzug in eine andere Gegend wäre ungünstig. «Wir wissen noch nicht, wie es weitergeht.» Der Andrang bei anderen Siedlungen in dem Züribieter Ort sei gross. «Das erschwert die Situation natürlich sehr.»

Bei ihr ist ein gewisser Unmut mit der Verwaltung spürbar. «Wir haben keine Alternativen aufgezeigt bekommen. Wir bekommen keine Unterstützung», beschwert sie sich. «In anderen Orten hat man temporäre Siedlungen gebaut, man hat Containerwohnungen zur Verfügung gestellt, man hat andere Siedlungen temporär umgenutzt. Das ist hier nicht der Fall», ärgert sie sich weiter. 

Offener Brief an Gemeinderat

In der IG Vita-Siedlung will man sich jetzt zusammentun und einander unterstützen. «Wir haben uns entschieden, dass wir uns rechtlich beraten lassen», so Ponti. Von Apleona findet sie sich unter Druck gesetzt. «Das grenzt an Erpressung!» Noch am Donnerstag wird die Interessensgemeinschaft dem Gemeinderat einen offenen Brief überreichen. 

Der Baustart ist für den 1. Oktober 2026 geplant. Die Eigentümerin betont, dass das Projekt eine Balance zwischen Sanierung und Neubau darstelle.

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