Andere Verfahren müssen warten
Fall Vincenz lässt Pendenzenberg bei Staatsanwaltschaft wachsen

Staatsanwaltschaften in der ganzen Schweiz haben es mit immer mehr komplexen Verfahren zu tun. Zürich ist besonders betroffen. Der Fall Vincenz beschäftigt die Staatsanwaltschaft noch über Jahre hinweg und macht die Überlastung nur noch schlimmer.
Publiziert: 15.03.2024 um 00:19 Uhr
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Aktualisiert: 15.03.2024 um 06:28 Uhr
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Pierin Vincenz – hier mit seinem Anwalt Lorenz Erni (r.) – muss noch Jahre warten, bis sein Fall abgeschlossen ist.
Foto: STEFAN BOHRER
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Sarah FrattaroliStv. Wirtschaftschefin

«True Crime – jeden Tag.» So wirbt die Zürcher Staatsanwaltschaft in einer Broschüre um Personal. Gutes Personal kann sie denn auch dringend gebrauchen: Mehr als 11'000 Verfahren sind bei der Zürcher Staatsanwaltschaft aktuell hängig – Tendenz steigend. Die neusten Zahlen werden im April publiziert, bereits jetzt sagt die Staatsanwaltschaft auf Anfrage von Blick: «Es zeichnet sich eine weitere Zunahme bei den pendenten Verfahren ab.»

Mitschuld ist auch der Fall um Ex-Raiffeisen-Boss Pierin Vincenz (67). Er wird von der spezialisierten Zürcher Staatsanwaltschaft III behandelt, die sich nur um komplexe Wirtschaftsdelikte kümmert. «Die Causa Vincenz hat die Staatsanwaltschaft über Jahre ans Limit gebracht», schätzt der Rechtsprofessor Peter V. Kunz (59). Bei der Staatsanwaltschaft III ist der Pendenzenberg zuletzt um 20 Prozent nach oben geschnellt – in der gesamten Zürcher Staatsanwaltschaft betrug die Zunahme im gleichen Zeitraum 6,5 Prozent.

Grosser Erfolgsdruck im Fall Vincenz

Alleine die von der Staatsanwaltschaft verfasste Anklageschrift zum Fall Vincenz war 364 Seiten lang. Das Bezirksgericht Zürich fällte vor rund 2 Jahren ein Urteil gegen Vincenz und dessen Mitbeschuldigte – das vor wenigen Wochen durch das Zürcher Obergericht aufgehoben wurde. Grund: Verfahrensfehler. Unter anderem, weil die Anklageschrift «teilweise ausschweifend» gewesen sei, statt sich auf das Wesentliche zu fokussieren.

«Das Verfahren ist in seiner Grösse aus dem Ruder gelaufen», so das Verdikt von Kunz. Die Protokolle füllen mehrere Hundert Bundesordner. «Die Staatsanwaltschaft wollte es wohl zu gut machen – und schoss dabei übers Ziel hinaus.» Die Medienaufmerksamkeit im Fall war und ist riesig, das Image der Staatsanwaltschaft stand auf dem Spiel. Sie hat mit der jüngsten Entwicklung im Fall Vincenz einen heftigen Tolggen im Reinheft abbekommen.

Der Ball im Fall Vincenz liegt nun beim Bundesgericht: Die Zürcher Staatsanwaltschaft hat den Entscheid des Obergerichts zur Aufhebung des Urteils weitergezogen. Kunz rechnet um den Jahreswechsel mit einem Entscheid, ob die Urteilsaufhebung durch das Obergericht rechtmässig war oder nicht. «Danach startet die Staatsanwaltschaft wieder auf Feld 1», so Kunz. Die Anklageschrift könne nicht einfach gekürzt, sondern müsse ganz neu geschrieben werden. Der Fall Vincenz dürfte die Zürcher Staatsanwaltschaft weitere Jahre ans Limit bringen – und auch andere Verfahren verzögern.

Zürich: Schauplatz der landesweiten Wirtschaftskriminalität

Die Überlastung der Zürcher Staatsanwaltschaft hat aber nicht nur mit Vincenz zu tun. Sie ist ein gesamtschweizerisches Phänomen. Landesweit sind über 100'000 Strafverfahren hängig. Geschuldet ist der stetig wachsende Pendenzenberg bei den Staatsanwaltschaften etwa Änderungen im Strafprozessrecht, die die formellen Anforderungen an Untersuchungen erhöhen. Auch sorgen neue Deliktarten (darunter Cyberkriminalität) für immer komplexere Strafverfahren. Und Urteile werden heute häufiger an die nächsthöhere Instanz weitergezogen, was die Verfahren in die Länge zieht.

Zürich ist von diesem Phänomen überdurchschnittlich betroffen, weil praktisch sämtliche Fälle von komplexer Wirtschaftskriminalität in der Schweiz in Zürich angesiedelt sind. Betrug, Geldwäscherei oder Korruption im grossen Stil spielen sich eben nicht im Glarnerland ab – sondern dort, wo sich auch die Schalthebel der nationalen und internationalen Finanzwirtschaft befinden. True Crime eben.

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