Die Sommermonate werden immer heisser. Extreme Temperaturen gab es in der Schweiz schon 2003, 2015, 2018 und 2019. Mit der Folge, dass die Wasserstände in Flüssen, Seen und im Grundwasser sanken. Jetzt macht eine weitere Hitzewelle das blaue Gold erneut zum raren Gut.
In Gemeinden von Mendrisio TI bis Courtételle JU ist es bereits verboten, den Rasen zu bewässern, den Pool zu füllen oder das Auto zu waschen. Ein Kanton nach dem anderen untersagt den Bauern, Wasser aus den Flüssen zu pumpen – abrupte Reaktionen auf Mangellagen vor Ort, hektisch und unkoordiniert. Jede Gemeinde muss selber schauen, wo sie bleibt. Und jeder Kanton wurstelt für sich.
Doch wie schlimm ist es wirklich? Wie viel Wasser brauchen die Schweizer Haushalte und die Wirtschaft? Welche Mengen stehen zur Verfügung? Reicht das Wasser bis zum Herbst? Und falls nicht: Gibt es Notfallpläne?
SonntagsBlick hat beim Bund und Kantonen nachgefragt. Ergebnis: Die Schweiz steuert ihre Wasserversorgung im Blindflug. «Diese Fragen können wir nicht beantworten», heisst es aus diversen Amtsstuben. «Dazu haben wir keine Zahlen.» Kein einziger Kanton weiss, wie hoch sein durchschnittlicher Wasserverbrauch in den trockenen Monaten ist, wie viel Wasser jeweils zur Verfügung steht und wie es aktuell konkret aussieht.
Ein föderales Wirrwarr
Deshalb kann kein Kanton sagen, wie eng es dieses Jahr wirklich wird. Und weil diese Informationen nicht vorliegen, hat auch der Bund keine Übersicht über die Lage im Land. In Bern verweist ein Amt auf das andere – und alle zusammen zurück auf die Kantone und Gemeinden.
Schon 2018 forderte Mitte-Ständerat Beat Rieder (59) mit einem Vorstoss einen Bericht des Bundes zur Schweizer Wasserversorgung, 2020 zog Grünen-Ständerätin Maya Graf (60) nach. Doch die Landesregierung fand das offensichtlich unnötig und nahm sich reichlich Zeit. Erst im Mai 2022 erschien der Bericht: Er lässt vorsichtig durchblicken, dass es um die Informationen zur Schweizer Wasserversorgung nicht zum Besten stehe. Das hiesige Wassermanagement ist ein föderales Wirrwarr, wie die Umfrage von SonntagsBlick zeigt. Niemand weiss, was Sache ist.
Beat Rieder und Maya Graf überrascht das nicht. «Die behördliche Sorglosigkeit dürfte nicht zuletzt mit dem Bild vom ewig sprudelnden Schweizer Wasserschloss zu tun haben», sagt Graf. «Zwar gab es immer schon saisonal-lokale Wasserknappheit, aber kaum jemand rechnete damit, dass das ein schweizweites Problem werden könnte.» Nun müsse ein Umdenken stattfinden: «Wasserknappheit ist ein Risiko für das ganze Land.»
Zumal der Verbrauch zunimmt: Haushalte, Industrie, Landwirtschaft, Tourismus, Energieversorger – alle wollen mehr. «Das ist eine explosive Mischung», sagt Rieder. Umso wichtiger die Frage: Wer bekommt noch wie viel Wasser, wenn die Pegelstände weiter sinken? «Es gibt keine Rationierungspläne», lassen die Kantone ausrichten. Und der Bund verweist auf eine Verordnung aus dem Jahr 2020 zur Sicherstellung der Trinkwasserversorgung – die betont, dass sich Kantone und Gemeinden darum kümmern müssen.
Empfehlungen seien zu wenig
«Das Grundproblem ist, dass die Kantone über zu wenig Daten und Steuerung verfügen, da die Gemeinden zuständig sind», sagt Maya Graf. «Und der Bund hat keinen Überblick über die Kantone. Deshalb gibt es keine koordinierte Vorsorgeplanung, sondern lediglich lokale Kriseninterventionen, wenn es eng wird.»
Für Beat Rieder ist klar: «Jetzt müssen grossflächig Wasserdaten in den Gemeinden und Kantonen erhoben werden. Ausserdem braucht es mehr und grössere Wasserspeicher.» Doch das geht nicht ohne zentrale Führung. Rieder betont denn auch: «Genau wie die Energie muss auch die Wasserversorgung bei Knappheit Bundeskompetenz sein.»
Carlo Scapozza ist Abteilungsleiter Hydrologie beim Bundesamt für Umwelt. Er sagt: «Der Bundesrat hat die Lücke betreffend Daten zum Wasserverbrauch erkannt.» Die Regierung habe den Aufbau eines nationalen Systems zur Früherkennung und Warnung vor Trockenheit in die Wege geleitet. Ausserdem sollen die Kantone feststellen, wie viel Wasser die Bevölkerung und die Wirtschaft brauchen und wie viel in den trockenen Sommermonaten überhaupt zur Verfügung steht.
Das sind allerdings nur Empfehlungen. «Angesichts der besorgniserregenden Entwicklung ist das zu wenig», sagt Graf. «Die Massnahmen erfolgen nicht nur zu spät, sie sind auch zu wenig stark und nicht verpflichtend.»
Schon jetzt steht fest: Der nächste Hitzesommer kommt bestimmt.