Die Postrentner nehmen sich Zeit, um ihrem Zorn Luft zu verschaffen. Erst als die letzten Delegationen aus Luzern und Freiburg eingetroffen sind, beginnt der Protest vor dem Hauptsitz der Post in Bern-Wankdorf. Aus der ganzen Schweiz sind über 350 Rentner angereist, um gegen die Abschaffung ihrer Personalgutscheine ab dem kommenden Jahr zu protestieren (Blick berichtete).
Konkret geht es um zwei Gutscheine in Wert von je 100 Franken. Geld, das oft gleich wieder in der Kasse der Post landet. «Viele lösen die Gutscheine am Postschalter ein», sagt Hermann Bigler (68) aus Frauenfeld TG. «Da wird einmal mehr auf dem Buckel der Rentner gespart, dagegen kämpfe ich», so der ehemalige Briefträger, der 45 Jahre lang «an der Front Kundendienst für die Post gemacht hat».
Romands besonders verärgert
Der finanzielle Aufwand für die Gutscheine der 20'000 Rentner beläuft sich auf gut 3,5 Millionen Franken. Zum Vergleich: In den ersten neun Monaten des laufenden Geschäftsjahres hat die Post 370 Millionen Franken verdient, mehr als hundertmal so viel wie die Kosten für Rentnergutscheine. Der Imageschaden dagegen ist umso grösser.
Besonders lautstark ist der Protest der Pensionäre aus der Romandie: «Rendons-nous nos bons!» (Gebt uns unsere Bons zurück!) ertönt der Schlachtruf der wütenden Rentner meist auf Französisch. «Mir fehlt jegliches Verständnis für diese Massnahme. Das ist unglaublich», echauffiert sich Dominique Beuchat (64) aus Mervelier JU. «200 Franken – das tut der Kasse der Post nun wirklich nicht weh.»
Eine Rentnerdemo gabs noch nie
Margrit Oettli (68) aus Lustdorf TG ergänzt: «Würde sich die Geschäftsleitung ihren Lohn nur um zehn Prozent kürzen, dann wäre das Geld schnell wieder drin.» Oettli hat beim Checkamt angefangen, war Posthalterin und Briefträgerin. «Das macht mich wirklich sauer, dass die Post den Kleinen das Geld klaut.» Ihr Vorschlag: Die Rentner sollen ihr Geld bei der Postfinance abziehen und zu anderen Banken bringen.
Es ist die erste Rentnerdemo in der Geschichte der Gewerkschaft Syndicom. Trotz der tiefen Temperaturen harren die meisten anderthalb Stunden in der Kälte aus. Pierre-Yves Maillard (53), der oberste Gewerkschafter, zeigt sich mit den Postrentnern solidarisch: «Dieser Entscheid ist eine Ungerechtigkeit. Wenn sich die Menschen dagegen wehren, dann unterstütze ich sie.»
Das Konzert der Trillerpfeifen ist manchmal ohrenbetäubend. Auch aktive Postangestellte unterstützen den Rentnerprotest. «Das kann mir später auch passieren. Es geht nicht ums Geld, es geht um Wertschätzung», erklärt Monique Monbaron (51), die seit 31 Jahren als Schalterbeamtin bei der Post arbeitet.
Post nimmts zur Kenntnis
Geduldig warten die Protestrentner, bis die vielen Ansprachen durch sind. Drei Rentner wenden sich an die Protestierenden. «Liebe Post, so nicht!», schmettert Susanne Rychener (65) in die Menge. Jubel brandet auf. «Wir verdienen Respekt und Wertschätzung. Wir lassen uns nicht einfach abbuchen!»
Mit versteinerter Miene nehmen zwei Personalvertreter der Post die Petition mit über 4000 Unterschriften entgegen. Die simple Forderung: «Gebt uns die Gutscheine zurück!» Selbst Postsprecher Erich Goetschi muss zugeben: «Der Aufmarsch ist beeindruckend.» Er dämpft aber gleichzeitig die Erwartungen: «Wir werden die Konzernleitung über die Petition in Kenntnis setzen.» Mehr ist ihm über die Chancen der Rentnerforderung nicht zu entlocken.