106 Tage sass der gefallene Raiffeisen-Boss Pierin Vincenz (65) im Frühling 2018 in Untersuchungshaft: vom 27. Februar bis zum 12. Juni. Auch seinen 62. Geburtstag am 11. Mai verbrachte er in seiner Zelle. Für Vincenz keine einfache Zeit.
Gerade für Menschen, die bisher kaum je in Konflikt mit dem Gesetz standen, ist die Untersuchungshaft schwierig. «Plötzlich bricht die Realität ein. Ein Gefangener erlebt die ganze Macht und Gewalt vom Rechtsstaat am eigenen Leib», sagte die Rechtspsychologin Monika Egli-Alge (62) vom Forensischen Institut Ostschweiz (Forio) damals zu Blick.
Internet ist für Häftlinge tabu
In welchem Gefängnis Vincenz einsass, wurde nie offiziell kommuniziert. Man munkelt, dass er im Gefängnis Limmattal in Dietikon ZH untergebracht war. Die Zelle: zwölf Quadratmeter gross. Während bis zu neun Stunden am Tag durfte Vincenz aber auch im Gruppenraum sitzen oder nach draussen auf den Hof.
Wenn Vincenz im Gefängnis fernsehen wollte, musste er dafür bezahlen. Kostenpunkt: ein Franken am Tag. Auch Zeitungen gab es, am Gefängnis-Kiosk. Ob Vincenz sie angesichts der ausführlichen Berichterstattung über ihn und seine mutmasslichen Betrügereien las, sei dahingestellt. Online-Medien hingegen waren tabu wie auch der Internetzugang im Allgemeinen. Persönliche Handys und Laptops sind in Schweizer Gefängnissen verboten, damit die Häftlinge keine Ausbruchspläne schmieden. Computer können wie Fernseher zwar kostenpflichtig gemietet werden, haben aber keine Internetverbindung.
Ob Vincenz hinter Gittern gearbeitet hat, ist nicht bekannt. Die Zürcher Behörden wollen sich aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht dazu äussern. Elena Tankovski, Sprecherin der Zürcher Justizdirektion, gibt nur so viel preis: «In der Untersuchungshaft gibt es keine Arbeitspflicht. Die inhaftierten Personen können auf freiwilliger Basis einer Arbeit nachgehen. Das umfasst beispielsweise Malerarbeiten, Arbeiten in der Küche oder Kartonagearbeiten.» Vincenz als Küchenhelfer oder Maler? Eine ungewohnte Vorstellung.
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Mithäftling auf Drogen und ein rosarotes Kondom
Vincenz' mutmasslicher Mittäter Beat Stocker (61) hat in einem Interview mit der «NZZ am Sonntag» jüngst weitere Details aus dem Alltag in Haft ausgeplaudert. Seine erste Nacht im Gefängnis habe er mit einem zugedröhnten Mexikaner in der Zelle verbracht, so Stocker. «Was danach folgte, war der Horror.» Im Gefängnis in Pfäffikon ZH habe er gleich zu Beginn zusammen mit Dusch- und Bettsachen ein rosarotes Kondom erhalten. «Und dann hiess es: ‹Sie können jetzt duschen, Herr Stocker.› Ich dachte, ou Stocker, das kommt nicht gut.»
Über Vincenz' Gefängnisalltag sind weniger Details bekannt. Klar ist nur: Die Zeit in der Zelle passte auch ihm überhaupt nicht. «Die Untersuchungshaft war aus meiner Sicht unnötig und ihre Länge völlig unverhältnismässig», liess er am Tag nach seiner Freilassung verlauten. Beim Prozess droht ihm nun eine noch deutlich längere Haftstrafe. Sollte er verurteilt werden, will ihn die Staatsanwaltschaft sechs Jahre hinter Gitter schicken.