Auf einen Blick
- Gregor Deschwanden zeigte eine bärenstarke Vierschanzentournee
- Das verdankt er unter anderem dem Ex-Weltmeister Andreas Küttel
- Zudem machte das Schweizer Team beim Material einen Schritt vorwärts
Spätzünder Gregor Deschwanden (33) verdankt seine jüngsten Erfolge unter anderem einem Telefonat nach Dänemark. Den wegweisenden Anruf tätigte der ehemalige Nationaltrainer Berni Schödler (53) im Anschluss an die Olympischen Spiele 2018. Er wählte die Nummer des in Dänemark wohnhaften Skisprung-Weltmeisters Andreas Küttel (45).
Der heutige Sportwissenschaftler sollte den Schweizer Springern als Mentor zu Seite stehen. Schonungslos analysierte er ihren Trainingsalltag, auch den von Deschwanden. «Bis dahin war Gregor ein Pseudo-Profi», lautete sein vernichtendes Fazit.
Deschwanden überzeugt als Känguru
Mit Küttel begann ein Veränderungsprozess, der an der diesjährigen Vierschanzentournee seinen vorläufigen Höhepunkt erreichte. Deschwanden konnte die drei überragenden Österreicher herausfordern. Am Ende belegte er den fünften Gesamtrang – eine bärenstarke Leistung!
Dass Deschwanden über aussergewöhnliche Qualitäten verfügt, fiel Küttel bereits früh auf. Der Schwyzer erinnert sich an einen gemeinsamen Trainingstag im Jahr 2007. «Er hatte bereits eine saubere Technik. Und profitierte schon damals von seinem schlanken Körperbau.»
Bei einer Grösse von 1,85 Metern wiegt Deschwanden nur knapp 65 Kilo. Ein Vorteil beim Skispringen, wo es auf jedes Gramm ankommt. Dazu kommt seine gewaltige Sprungkraft: «Er ist eines der grössten Kängurus im Skisprung-Zirkus.»
Studium als gute Ablenkung
Warum der Luzerner trotzdem jahrelang der Spitze hinterher sprang, erklärt sich Küttel so: «Ihm fehlte die Struktur in seinen Tagen. Er musste die Basics des Lebens als Spitzensportler lernen. Gregor glaubte, wenn er einmal am Tag trainiert und daneben chillt, kommt das Bestmögliche heraus.» Von diesem Denken brachte ihn Küttel ab.
Dank der Hilfe des ehemaligen Weltmeisters realisierte Deschwanden, dass er viel mehr aus seinen Tagen herausholen konnte. Zudem ermutigte er ihn, ein Studium zu beginnen. Deschwanden entschied sich für Betriebsökonomie. «So wird er auch geistig gefordert. Dann studiert er nicht immer am Skispringen herum.»
Schweizer können auf fremde Hilfe zählen
Dass der sportliche Erfolg nicht schon viel früher kam, ist auf das schlechte Material der Schweizer zurückzuführen. Wie unprofessionell sie aufgestellt waren, zeigt sich an folgendem Beispiel: Zeitweise musste Cheftrainer Ronny Hornschuh nach dem Videostudium und Teambesprechung abends zu Schere und Nadel greifen, um die Anzüge zu optimieren.
Seit dieser Saison begleitet mit Robin van Baarle ein professioneller Anzugmacher das Team. Der Niederländer profitiert von seinen Erfahrungen aus dem Surfen und Paragliding. Wichtig für den Erfolg von Deschwanden ist auch Wachser Björn Schneider (39). Der Deutsche präpariert die Skisprung-Latten so gut, dass die Schweizer regelmässig die schnellsten in der Anlaufspur sind.
Der Erfolg von Deschwanden ist auch deshalb so speziell, weil der in Horw LU aufgewachsene Student einst kurz davor war, seine Skisprung-Karriere zu beenden. Nach den Olympischen Spielen 2018 lebte Deschwanden zwei Jahre lang von seinen Ersparnissen. Er sprach damals von einem «tiefroten Geschäft».
Küttel erinnert sich: «Gregor wusste nicht, ob er weiterhin Ski springen will.» In dieser Phase motivierte ihn der Weltmeister mit dem Satz: «Du kannst nicht aufhören, bevor du aufs Podest gesprungen bis.» Das gelang Deschwanden in dieser Saison mehrfach. «Jetzt muss er mindestens weitermachen bis zu seinem ersten Sieg», meint Küttel lachend.