Ja, es ist bloss eine kleine Stadt, aber für einmal ist sie Gastgeber im ganz grossen Sport. Schaffhausen rüstet sich für die Curling-Weltmeisterschaften der Männer, die ab Samstag losgehen und am 7. April mit den Finalspielen ihren Höhepunkt finden.
Die Stadt zeigt Flagge. In Schaffhausen wehen Fahnen und wird erfolgreich Werbung gemacht. Wer ein Ticket für die kommenden Spiele in der IWC-Arena hat, kann sich glücklich schätzen. Ein paar wenige freie Plätze gibt es noch. Die Crew um Skip Yannick Schwaller präsentierte sich am Dienstagmorgen vor herrlicher Kulisse. Der Rheinfall tobte, das Wetter war freundlich, die Erwartungen sind hoch.
Letzter WM-Titel vor 32 Jahren
Es wird kein Spaziergang für das Schweizer Team, denn die Weltspitze ist dicht, das Turnier ist bestbesetzt. Schottland, Schweden, Kanada, die Italiener, alle wollen Gold. Auch die Schweizer treten an, um endlich das zu schaffen, was letztmals 1992 unter Skip Markus Eggler (55) vollbracht wurde: Sie wollen endlich wieder WM-Gold gewinnen.
Mehr Curling-Storys
Skip Yannick Schwaller (28) hat tolle Kameraden um sich: Benoît Schwarz-van Berkel (32), Sven Michel (35) und Pablo Lachat (23) sind bis in die Haarspitzen motiviert, um in der Munotstadt Geschichte zu schreiben. Seit knapp zwei Jahren ist das Quartett zusammen. Aus den einstigen nationalen Rivalen wurde eine Art All-Star-Team zusammengestellt. «Klar, wir mussten uns zuerst finden», sagt der erfahrene Genfer Schwarz-van Berkel. «Aber jetzt weiss jeder, was er zu tun hat. Wir haben eine flache Hierarchie im Team, ein gemeinsames Ziel. Wir treten an, um zu gewinnen und wir wollen uns ständig verbessern.»
Zwei Geburtstage zum WM-Auftakt
Grosse Verantwortung wird bei der Mission WM-Gold Skip Yannick Schwaller übernehmen müssen. Seine Teamkameraden sparen nicht mit Lob, betonen aber auch, dass sich alle vier auf Augenhöhe begegnen, unabhängig von Rolle und Alter. Sven Michel sagt über den Solothurner: «Yannick ist sehr zielstrebig, arbeitet akribisch, will immer gewinnen. Dieser Wille überträgt er aufs ganze Team.» Michel hat am Samstag Geburtstag, er wird 36. «Es wäre schön, am Abend mit einem Sieg gegen die USA ins Bett gehen zu können. Ein gemeinsames Essen wird bestimmt drinliegen. Ein Glas Wein wohl auch.»
Yannick Schwaller hat gleich am Sonntag Geburtstag. Sein grösster Wunsch: «Dass wir dann bereits auf einen gelungenen WM-Start zurückblicken können. Der wäre wichtig.» Michel und Schwaller sind es gewohnt, dass ihre Geburtstage oft während Grossanlässen stattfinden. Also ist das kein Problem, eher eine willkommene Abwechslung.
Fussball ist ein heisses Thema
Der Waadtländer Pablo Lachat ist der Jungspund im Team. Seine Jugendlichkeit ist ein Gewinn für alle. «Da mal ein Spruch, dort mal ein Spass, das gehört dazu, wenn man neun Tage fokussiert zusammenlebt», sagt er. Und ja, der Druck auf die Schweizer Männer ist wohl nicht kleiner geworden, nachdem sich die Schweizerinnen um Skip Silvana Tirinzoni letzte Woche nach vier WM-Titeln in Folge in Kanada für einmal mit Silber begnügen mussten.
Ab Donnerstag beziehen die Schweizer im Hotel Vienna gleich hinter dem Schaffhauser Bahnhof Quartier. Jeder Athlet hat ein Einzelzimmer. «Das ist positiv», findet Schwaller. «So ergeben sich auch mal Gelegenheiten, um sich zurückziehen zu können.»
Doch der Teamgedanke geht über das Curling hinaus. Die vier Athleten haben genügend Themen, die sie besprechen können. Fussball ist dabei ganz wichtig. Schwaller, dem Bayern-Fan, gehen die Argumente nicht aus, wenn er mit Sven Michel, dem Liverpool- und Dortmund-Anhänger über die Bundesliga-Rangliste diskutiert. «Langweilig wird es uns bestimmt nicht», sagen beide. Und sollte es doch mal Spannungen im Team geben, ist ein Sportpsychologe da, der diese kanalisieren kann.
Vier Männer auf Augenhöhe
Benoît Schwarz, der Ruhige im Team, kann da nur lächeln. Mit viel Erfahrung ausgestattet, hat er seine Emotionen stets im Griff. Weil er jeweils erst als vierter zu den Steinen greift, und so dafür verantwortlich ist, dass die letzten beiden Schweizer Steine sitzen müssen, ist das auch ganz gut so. Schwarz, der seit letztem Jahr Schwarz-van Berkel heisst, weil er geheiratet hat, verspricht, dass er die emotionale Handbremse lösen wird, sollte die Schweiz tatsächlich den WM-Titel gewinnen. «Es wäre ein grosses Ding.» Intern gilt er als der «Eiskalte», der die Nerven behält, egal, wie brenzlig die Situation ist.
Vier Männer, die sich auf Augenhöhe begegnen, die ein gemeinsames, grosses Ziel haben, die die einmalige Chance auf einen WM-Coup im eigenen Land nützen wollen, um sich sportlich unsterblich zu machen … diese Ausgangslage verspricht einiges. Auch für die Zuschauer.
Schach auf Eis
Curling gehört in der Schweiz zwar noch zu den Randsportarten, aber fasziniert Spieler wie Zuschauer gleichermassen. Da fliegt nichts durch die Luft. Da gibt es keine spektakulären Stürze. Es wird nicht gerast oder mit Akrobatik geprahlt, es gibt keine Zweikämpfe Rad an Rad oder Mann gegen Mann, keine Fouls, üblicherweise keine schweren Verletzungen. Vielleicht ist es gerade diese Unaufgeregtheit, die einen so in Bann zieht.
Die Mimik der Spieler, sekundenlang in Nahaufnahme eingefangen, das Warten auf den nächsten Coup, den nächsten Geniestreich, der alles auf den Kopf stellen kann. Besonders spannend wird es, wenn die Spieler in einer schwierigen Situation zusammenstehen und den nächsten Zug aushandeln. Da wird jedem Zuschauer klar, wie viel mehr in diesem Sport steckt, als einen knapp 20 Kilogramm schweren Stein 42 Meter vorwärts zu schieben. Das ist Schach auf Eis. Ein Intelligenz- und Geduldsspiel, eine Ode an die Achtsamkeit, eine wunderbare Abwechslung zur Hektik, von der wir im Alltag schon genug haben.