Auf einen Blick
Michael (52) und Carola Hartweg (50) sind ehrgeizige Leute. Vielleicht liegt das daran, dass beide seit Jahrzehnten den Sportsgeist in sich tragen. Beide waren Triathleten, lernten sich dadurch in Süddeutschland kennen und lieben. Sie hatten schon immer hohe Ziele, egal, was sie anpackten. «Doch die Biathlon-WM», so Michael Hartweg, «die hatten wir definitiv nicht auf dem Schirm, als wir mit diesem Projekt anfingen».
Dann schiebt er nach: «Grössenwahnsinnig sind wir nicht. Zumindest nicht völlig.» Er lacht herzlich. Überhaupt wirken er und seine Frau tiefenentspannt. Das liegt nicht nur an ihrem Naturell, sondern auch daran, dass sie wissen: Ihre Hauptarbeit ist getan. Sie haben den Biathlon-Sport in der Schweiz so sehr vorangetrieben, dass in Lenzerheide nun eine Elite-Weltmeisterschaft stattfindet. Zum allerersten Mal. Und nur wenige Jahre, nachdem die Sportart hierzulande zu versauern drohte, respektive alles andere als breit abgestützt war. Carola Hartweg nennt dazu ein Beispiel: «Als Selina Gasparin für ihr 2014 in Sotschi gewonnenes Olympia-Silber trainierte, tat sie das mit den Junioren zusammen. Das veranschaulicht die Situation von damals ganz gut.»
Nun, ein deutsches, sportbegeistertes Ehepaar rettete also mal schnell den Schweizer Biathlon, sorgte für einen neuen Nachwuchsstützpunkt, wichtiges Knowhow in Form von renommierten Trainern und eine Biathlon-Arena in Lenzerheide, die zu grossen Teilen den Hartwegs zu verdanken ist. Wie kommts? Um diese Frage zu beantworten, muss man in ihrem Leben einige Jahre zurückblättern.
«Die Schweiz ist eine Biathlon-Nation, sie weiss es nur noch nicht»
Michael Hartweg, ein Wirtschaftsingenieur, zog 2007 in die Schweiz, um das Fintech-Unternehmen Leonteq mitzugründen. Mit der Firma trieb er den digitalen Wandel in der Finanzbranche voran und machte damit eine ordentliche Stange Geld. Als er 2015 seine Anteile verkaufte, brachte ihm dies ein grosses Vermögen ein. Damit hätte er deutlich kürzertreten können, doch auch das ist nicht seine Art. Michael Hartweg liebt unternehmerische Herausforderungen, mit seinem Familien-Office investiert er regelmässig in Start-ups aus den Bereichen Fintech und Sport. Vor allem aber mag er «offensichtliche Cases», wie er sie gerne nennt.
Und genau so einer sei der Biathlon-Sport in der Schweiz gewesen. Sein Satz «Die Schweiz ist eine Biathlon-Nation, sie weiss es nur noch nicht» ist in der Szene mittlerweile berühmt. Und seine Begründung ist einleuchtend: Ein Land, das in fast jedem Dorf einen Schützenverein hat und so sehr auf Wintersport ausgerichtet ist, das müsse doch auch im Biathlon seine Bedeutung haben.
Und natürlich spielten dabei auch die Kinder der Hartwegs eine Rolle. «Vom Sport angefixt waren wir schon immer. Doch in der Schweiz kamen wir mit ihm das erste Mal in Berührung, als wir mit dem Triathlonclub in Goms in einem Langlaufcamp waren. Da gab es zufällig eine Kids Trophy im Biathlon und zwei unserer drei Kinder, Julia und Niklas, machten spontan mit. Sie waren direkt begeistert», erzählt Michael Hartweg.
Für Sohn Niklas sollte dies der Startschuss in seine Top-Karriere sein – mittlerweile ist der 24-Jährige der aktuell beste und konstanteste Biathlet der Schweiz. Mit sechs Top-10-Rangierungen in dieser Saison ist er die grösste Hoffnung auf die historische, erste Schweizer Medaille an der WM.
«Wir mussten den Baum etwas schütteln»
Michael Hartweg sagt, die Kinder hätten ihren Teil dazu beigetragen, ausschlaggebend für das grosse Engagement seien sie aber nicht gewesen: «Als Niklas richtig einstieg, standen wir schon mittendrin in unserem Vorhaben. Grundsätzlich drang hier sicher unser Unternehmergeist durch. Und dass wir die finanziellen Möglichkeiten hatten, hat uns auch erlaubt, das Projekt gross aufzuziehen.»
Die Hartwegs wollten von Anfang an den Verband Swiss-Ski, bei dem der Biathlon gelinde gesagt ein Schattendasein fristete, miteinbeziehen, wie sie betonen: «Wir wollten das nicht im Alleingang machen, wir fanden es wichtig, für den Zweck der Sache mit dem Verband zusammenzuarbeiten. Dafür mussten wir – sagen wir es mal so – den Baum zu Beginn etwas schütteln.»
Mittlerweile ist die Sparte Biathlon bei Swiss-Ski fester Bestandteil. Und auch erfolgreich. Niklas Hartweg, Amy Baserga und Lena Häcki-Gross standen im Weltcup schon allesamt auf dem Podest, Letztere hat gar schon zwei Siege verbucht. «Wir hatten sicher auch Glück, dass gute Athletinnen und Athleten heranwuchsen», sagt Michael Hartweg. Doch letztlich folgte das Ehepaar auch dem Credo, dass man dieses Glück manchmal eben auch erzwingen muss.
«Da haben wir so richtig reingebuttert»
Carola Hartweg, die Sport studierte und in Wädenswil einst eine Schwimmschule aufbaute, zog den «Biathlon Stützpunkt Ostschweiz» hoch. Und Michael Hartweg investierte 2020 mit der Junioren-WM in den ersten Grossanlass: «Wir wussten: Das muss jetzt der Hammer sein! Dann könnte dies der Sportart viel Schub geben. Also haben wir da gemeinsam mit einem super Team an der Seite richtig reingebuttert.» Und tatsächlich: Es wurde eine WM der Rekorde, was Infrastruktur und Zuschaueraufkommen anbelangte. Später folgten eine EM, die Weltcup-Premiere im Dezember 2023 und nun die Elite-WM. Als Krönung ihres Engagements.
«Wir wurden immer wieder gefragt, warum wir uns nicht im biathlonbegeisterten Deutschland engagierten», erinnert sich Carola Hartweg, «doch wir wussten einfach, dass wir hier etwas bewegen konnten». Michael Hartweg ergänzt: «Wir sind mittlerweile beide Schweizer und fühlen uns auch als solche. Wir wollten dem Land auch etwas zurückgeben.»
«Ziel war: operativ eine schwarze Null»
Wie viel das Ehepaar in den Schweizer Biathlon investierte, verrät es nicht. Berichte von einem zweistelligen Millionenbetrag dementiert es aber genauso wenig. Ein finanzieller Profit für die Familie scheint über all die Jahre derweil nicht realistisch – doch damit können beide leben. Carola Hartweg spricht von einem «Herzensprojekt». Und ihr Mann sagt: «Bei gewissen Investitionen war für uns immer klar: Das kriegen wir nie zurück. Ziel war allerdings immer, dass wir operativ eine schwarze Null hinbekommen.»
Dass sie nun in ihrer Biathlon-Arena, die ihnen Swiss-Ski mittlerweile abgekauft hat, sitzen dürfen, erfülle beide «mit Stolz und Freude». Das i-Tüpfelchen wäre jetzt nur noch eine Schweizer WM-Medaille: «Egal, von wem!» Klar scheint aber auch: Ihr Engagement ist noch nicht vorbei, auch wenn ihr Kind mittlerweile laufen gelernt hat. Zwar gehen es die Hartwegs mittlerweile ruhiger an als auch schon. Michael hat im Herbst gerade seinen «definitiv allerletzten Ironman» auf Hawaii bestritten. Doch ihr Ehrgeiz, gerade in der Nachwuchsförderung, wird sie nach wie vor auf Trab halten.