Tennis-Legende Marc Rosset wird 50
«Der Tod eines Freundes prägt mehr als ein Olympia-Sieg»

Zu seinem 50. Geburtstag spricht Marc Rosset über Abstürze im Leben – und wie sie ihn mehr prägten als sein Olympia-Sieg 1992.
Publiziert: 07.11.2020 um 00:49 Uhr
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Aktualisiert: 10.11.2020 um 09:55 Uhr
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Der frühere Schweizer Tennis-Profi Marc Rosset wird 50.
Foto: AFP
Cécile Klotzbach

BLICK: Marc Rosset, Sie werden 50 – Vorfreude oder Krise?
Marc Rosset: Ehrlich, das Alter ist mir komplett egal. Vielleicht wundere ich mich einen Tag lang darüber, aber danach ignoriere ich es wieder. Die 50 ist nur eine Zahl. Wichtig ist, wie ich mich fühle.

Gross feiern geht ja eh nicht…
Genau, das mache ich erst, wenn es die Situation wieder erlaubt. Ich habe auch gar keine Lust Geburtstag zu feiern, nicht mal Weihnachten. Es gibt durch die Pandemie derzeit so viele Probleme in der Welt, Menschen, denen es sehr schlecht geht. Das rückt alles ins andere Licht – da gibt es nichts zu Feiern! Das vertrage ich auf März, April oder später. Sieht man es so, bin ich ab Samstag also immer noch 49 – ich gewinne ein Jahr!

Sind Sie froh, in der heutigen Corona-Zeit nicht mehr Tennisprofi zu sein?
Es stimmt, es ist seit diesem Sommer sehr kompliziert für die Spieler. Ich weiss nicht, wie das einige noch aushalten. Einer wie Alex De Minaur in Australien zum Beispiel. Er ist erst 21, muss sehr lange reisen und dann nur in Hotelzimmern sitzen, das womöglich sechs Wochen lang – das ist nicht lustig und für die Jungen besonders hart.

Sind Sie gesund und fit?
Mir gehts bestens, ich habe sogar 19 Kilo verloren! Mein Höchstgewicht war 128, dann speckte ich ab auf 109, jetzt bin ich wieder auf 113 – dieser Lock Down in Genf tut mir nicht gut. Aber ich fühle mich immer noch viel besser als vorher.

Mit welcher Diät haben Sie das geschafft?
Keine Diät, ich esse nur etwas bewusster und achte mehr auf die Zeiten. Ich esse nicht mehr um 23 Uhr, sondern gegen 20 Uhr. Dazu mache ich in der Woche etwa dreimal Sport, spiele Tennis oder Paddle Tennis mit Freunden. Das ist sympa, man kann es schnell lernen, wie Badminton oder Squash.

Was wogen Sie als sie ein junger Profi waren?
(lacht) Da hatte ich weder Fett noch Muskeln, bestand nur aus Knochen. Damals war ich bei etwa 86 bis 89 Kilo.

Lassen Sie Ihr Leben bis jetzt Revue passieren – gab es Meilensteine, spezielle Momente?
Sie wollen einen Lebens-Rückblick? Das ist schwierig für mich – ich schaue nie zurück, lasse das Leben auf mich zukommen, weil ich an das Schicksal glaube. Es sind die harten Momente, die das Leben prägen. Wie der Moment, als ich 1998 den Swissair-Absturz in Halifax knapp verpasste, obwohl ich darauf gebucht war. Oder die Zeit der Panik-Attacken, als ich mich gar nichts mehr getraut habe.

Wann war das?
Gegen Ende meiner Tennis-Karriere. Ich konnte keine Matches mehr bestreiten, kein Flugzeug mehr besteigen, hatte Angst, nach links oder rechts zu gehen, einfach immer. Es gibt einige die das haben, Mardy Fish fällt mir da ein. Das war eine harte Zeit, ich musste zum Psychiater, lernen damit umzugehen. Heute habe ich keine Panik-Attacken mehr. Es war schwierig zu verdauen, erlaubt mir aber heute, mein Leben viel mehr zu schätzen.

Glauben Sie besonders seit dem Swissair-Absturz an das Schicksal?
Danach vielleicht noch etwas mehr. Ich glaube, dass das Leben aus dem Zusammentreffen der Menschen entsteht. Ich traf viele in meinem Leben als Tennisspieler, danach traf ich andere, die mich zu Neuem gebracht haben. Ich bin offen genug, um dann auch ausserordentliche Dinge zu erleben. Aber einen «Lebensplan» habe ich nicht.

Wie reagierten Sie damals nach dem Flugzeug-Unglück?
Mit viel Gänsehaut, ich war schockiert. Aber rückblickend war das nichts gegen den Moment vor ca. 12 Jahren, als ich einen Freund tot fand – er hatte sich in seinem Haus erhängt.

Wie hat dieser tragische Selbstmord Sie geprägt?
Ich bedaure das immer noch sehr. Man hört nie auf, sich schuldig zu fühlen – wenn dir noch so viele Leute sagen, dass du nicht schuld bist. Du fragst dich warum, hätte ich es ändern können? Voilà, das ist das Leben. Aber nur ein Teil davon. Alles in allem habe ich ein grossartiges, privilegiertes Leben und viel Glück gehabt. Ich durfte reisen und viele interessante Menschen kennenlernen. Und ich bin ja auch nicht der Einzige, der so tragische Erlebnisse kennt. Ich war beispielsweise an der Beerdigung von Federer-Coach Peter Carter und sah wie sehr Roger litt – er war zerstört.

Konnten Sie ihm helfen?
Man kann dann nur da sein, wenn man gebraucht wird. Als Roger für den Davis Cup in Melbourne war, wollte er Carters Eltern besuchen. Ich ging mit ihm, um für ihn da zu sein – das ist unter Freunden ja normal. Und ich hoffe, dass ein paar Menschen sowas auch für mich machen, wenn ich es nötig habe. Durch solche Momente muss man durch, sie sind prägender als ein Olympia-Sieg. Gewinnst du eine Medaille, bist du happy und alle gratulieren dir, okay. Aber die Trauer löst heftigere Emotionen aus.

Wechseln wir zu lustigen Anekdoten aus Ihrem Leben!
(Überlegt lange) Keine Ahnung, es gab wirklich zu viele. Wissen Sie, ich denke tatsächlich, man lernt viel mehr aus den dunklen Momenten als aus den fröhlichen. Durch die bleibt einem nichts. Vielleicht bin ich Masochist, aber ich schiebe das Schmerzhafte nie weg, im Gegenteil. Der wohl beste Match meiner Karriere war ein Daviscup-Spiel gegen Arnaud Clément, den ich im 5. Satz verloren habe, aber sehr guten Kampfgeist gezeigt habe. Es heisst immer nur gewinnen, gewinnen, gewinnen. Aber ich will die dramatischen Momente nicht vergessen. Für die schäme ich mich null – eigentlich bin ich sogar fast stolz drauf.

Auf was sind Sie noch stolz?
Dass ich frei lebe und das Glück habe, nur Dinge machen zu können, die mir Freude bereiten. Ich habe nie das Gefühl, gearbeitet zu haben. Tennis war eine Leidenschaft, meine Kommentatoren-Arbeit beim Westschweizer Fernsehen amüsiert mich auch. Das war einer dieser Zufälle, die nur durch Menschen-Kontakt entstand. RTS-Sportchef Pierre-Alain Dupuis fragte mich und ich bin ihm noch heute sehr dankbar für den Job. Freundschaften sind für mich das wichtigste der Welt und ich versuche stets, sie gut zu pflegen. Ich bin meinen Freunden extrem treu, es ist das Wichtigste für mich, dass ich sie nicht enttäusche und dass ich denen, die ich liebe Freude bereite. Aber das erwarte ich auch von ihnen, sonst existieren sie nicht mehr für mich.

Sie hatten…
Ach, eine lustige Anekdote fällt mir doch noch ein – aber sie hat nichts mit Tennis zu tun!

Schiessen Sie los!
Am Turnier in Taschkent habe ich mal einen Typen kennengelernt. Ich wusste nicht, was er machte, aber er schien wichtig zu sein. Eines Abends landete ich mit ihm in der Disco. Am nächsten Tag lud er mich zum Mittagessen ein – bevor mein Rückflug gegen fünf Uhr nachmittags ging. Plötzlich schaute ich auf die Uhr und stellte fest, dass ich meinen Flug verpasse. Damals gab es nur alle drei Tage Flüge aus Usbekistan… Der Typ sagte, keine Panik, und liess das Flugzeug wegen mir später fliegen! Nicht ein Privatflugzeug, ein Linienflugzeug – so etwas Verrücktes wegen einem Mittagessen ist mir noch nie passiert! Er war nicht der Chef der Airline, sondern der Chef des Landes. Als ich knapp zwei Stunden zu spät am Flughafen ankam, wartete das Flugzeug auf mich. Und darin ganz viele andere Tennisspieler, die mich beim Einsteigen übel beschimpften. Ich sagte: Hört auf. Wenn ich es schaffe, für eine Verspätung zu sorgen, schaffe ich es auch, dass ihr heute gar nicht fliegt (lacht). Genau solche Begegnungen machen mein Leben speziell.

Sie hatten immer das Image etwas «verrückt» zu sein. Sind Sie es noch?
Ach wissen Sie, das kam nur durch meine Schüchternheit! Als mich die Medien anfangs kennenlernen wollten, überdeckte ich sie aus Selbstschutz mit Provokation. Das Image bleibt dann an dir hängen, es verfolgt dich und du bringst es nicht mehr weg. Die Leute erwarten es fast von mir.

Auch heute noch?
Meine TV-Arbeit hat mir sehr geholfen, dass die Leute mich heute besser kennen und etwas anders von mir denken. Sie merkten, dass ich doch drei Sätze sagen kann, ohne Blödsinn rauszulassen. Dabei habe ich mich gar nicht gross verändert. Ich kann immer noch etwas verrückt sein, auch am Fernsehen.

Schon mal einen Shitstorm auf Ihren Kommentar bekommen?
Ehrlich, ich rede wie mir der Schnabel gewachsen ist. Als sässe ich mit einem Freund im Café und redete über einen Match. Dass mich dabei so viele Leute zuhause hören, scheint mir stets völlig abstrakt. Aber wenn es ihnen nicht gefällt, Briefe oder Mails schreiben, interessiert mich das gar nicht. Das Rampenlicht habe ich nie gesucht, auch nicht beim Tennisspielen. Kommen ich oder ein Artikel über mich nicht gut an, schlafe ich trotzdem gut.

Haben Sie Ziele für die nächsten Jahrzehnte?
Das Maximum tun, damit ich stolz auf mich sein kann – vor allem in Freundschaften. Materialistisch bin ich überhaupt nicht. Sollte es mir gelingen, weitere zwei, drei wichtige Menschen kennenzulernen, bin ich schon zufrieden.

Also doch etwas weniger extrem als früher...
Kommt darauf an, was Sie extrem finden. Wenn es bedeutet bis morgens um 10 Uhr auf einem Techno-Konzert zu sein, dann bin ich wohl immer noch extrem. Ich werde weiterleben, sicher nicht ab 50 nur noch zuhause bleiben und Bücher lesen.

Käme eine eigene Familie noch in Frage?
Natürlich, warum denn nicht? Aber auch die kommt von alleine, wenn es das Schicksal so will. Ich bin kein Mensch, der sucht, es muss natürlich kommen. Wenn mir das noch vergönnt ist, freue ich mich. Vielleicht bin ich ja doch etwas ruhiger geworden. Aber nicht im Kopf – da bin ich immer noch 20 Jahre jung.


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