2017 – was für ein Wahnsinns-Jahr für Federer! Rund neun Jahre nachdem wir Schreiberlinge bereits erstmals (2008 war Roger Federer am Pfeifferschen Drüsenfieber erkrankt und kam nicht auf Touren) und nach dem titellosen 2016 erneut den Abgesang angestimmt hatten, liess der damals 35-Jährige uns so richtig blöd dastehen. Nicht schlimm. Wer freute sich schon nicht diebisch, dass unser aller Liebling doch wieder an seine allerbesten Zeiten anknüpfen konnte!
Aber die Vorzeichen für die Saison sahen wirklich alles andere als gut aus. Vier Jahre lang hatte Federer kein Major-Turnier mehr gewonnen. Das Jahr zuvor war von körperlichen Rückschlägen geprägt gewesen, bis Federer die Olympia-Saison ganz abbrach. In der Weltrangliste purzelte er, als Nummer 17 kam er in Australien zurück. Ein Sprung ins kalte Grand-Slam-Wasser.
Dem Rekordsieger nur Aussenseiterchancen zuzuschreiben, schien fast unter unserer verwöhnten Würde. Aber wer glaubte damals schon an einen Sieg? Unterstellung: wohl nicht einmal er selbst! Die ersten Runden sind denn auch Kraftakte. Dann scheiden Turnier-Nummer 2 Novak Djokovic sowie der topgesetzte Andy Murray aus – und plötzlich öffnet sich das Tor zur Hoffnung. Der Schweizer Halbfinal gegen Stan Wawrinka – ein Bad der Gefühle zweier Schwimmer, die unter Krämpfen leiden.
Hormone spielten verrückt
Nebenbei erwähnt: Mit dem Thriller knackt Federer als zweiter Spieler nach Djokovic die Preisgeldmarke von 100 Millionen Dollar. Doch der übernächste Abend soll noch gewaltiger, noch spannender werden. Der Schweizer sieht sich in der brechend vollen Rod-Laver-Arena dem ewigen Rivalen Rafael Nadal gegenüber. Magie liegt in der Luft. Wenn da nur nicht die Statistik wäre: Die sechs letzten Grand-Slam-Duelle gingen an den Spanier – darunter drei an den Australian Open.
Euphorie und Ernüchterung wechseln sich in den Fan-Lagern immer wieder schnell ab, die Hormone spielen verrückt. Zweimal geht Roger in Satzführung, zweimal gleicht Rafa aus. Das ganze Stadion ist endorphin- und adrenalingeladen – unmöglich, sich dem als vermeintlich neutraler Journalist zu entziehen. Und doch muss der Kopf kühl für den fünften Wahnsinns-Satz bleiben. Roger kassiert früh ein Break, die Luft wird dünn. Doch Houdini aus dem Baselbiet zieht den Kopf aus dem Schwitzkasten des Toreros. Matchball, nach einer letzten Challenge die Erlösung für Federer. Welch magischer, unvergesslicher Moment!
«Ich glaube, es braucht länger, bis sich das setzt», sagt der nun 18-fache Grand-Slam-Champ. «Das war mein unglaublichster Erfolg, keiner war emotionaler. Es gibt immer noch Tage, an denen ich denke, ich träume», sagt er Monate später auf dem Weg zu weiteren sechs Titeln in seiner Comeback-Saison. Nein, kein Traum, auch nicht der Wimbledon-Sieg ohne Satzverlust.
Die kleine Bühne von Doha
2021 – wieder ein Wahnsinns-Jahr. Pandemie, Turniere in «Bubbles», wenn überhaupt. Und wieder ein Federer-Comeback. Endet es in einer Sternstunde wie vor fünf Jahren? Das kann es gar nicht. Das ist keine Medien-Schwarzmalerei, das sagt auch der Meister selbst. Die kleine Bühne in Doha und die geringere Bedeutung des 250er-Events können die Magie von Melbourne nicht heraufbeschwören. Zudem stellt sich Roger nach zwei Knie-OPs und seiner längsten einjährigen Pause bedeutend mehr Fragen. Die Erkenntnisse über seinen Körper sind diese Woche wichtiger als die Resultate.
Die werden – sofern das «Knie der Tennis-Nation» hält – in der Rasensaison relevant. Erst dann fange für ihn alles so richtig an, sagt Federer. Die Magie von Wimbledon lockt – und hüte sich, wer den Zauberer bis dahin wieder abschreibt.